Hier wird sehr anschaulich eine der grössten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts im Westen beschrieben – die Betäubung durch die endlosen Angebote der virtuellen Welt. “Ein stimmiger Gefühlshaushalt ist das Gütekriterium ersten Ranges. Was ist aber, wenn sich andere Ereignisse dazu schieben? Dann gilt es diese zu verdrängen, sie zu vermeiden und bei Auftauchen zu betäuben.” So habe ich es anlässlich einer Konferenzausschreibung zusammengefasst.
Die mir anfangs noch sanft vorkommende Animation der Sanduhr, die ankündigte, dass meine Zeit aufgebraucht war, verwandelte sich in einen Albtraum. Bald dankte ich ihr nicht mehr für ihre Regulation, sondern dachte mir wüste Schimpfnamen für sie aus. Denn sie unterbrach mich täglich, immer in der zwölften Minute, und jedes Mal mit einem peinigenden Cliffhanger. Diese brutale Unterbrechung vermittelte mir untergründig die Botschaft, dass ich stets etwas verpasste. Wie ging der Prank weiter? Was waren die anderen technischen Neuerungen der Smartwatch, die der YouTuber im weiteren Verlauf des Videos vorstellen würde? Und warum hatten sich diese Influencer getrennt? Unbefriedigt und frustriert blickte ich jeweils auf den herunterkullernden Sand der mahnenden Uhr, dessen Animation geradesogut für ein Bild meiner schwindenden Nerven hingehalten hätte.
Ich empfehle dazu passend das Interview mit dem Seelsorger Beat Tanner (ab Minute 8 legitime Bedürfnisse zu einem falschen Götzen machen; der Unterschied zwischen Herz und Frucht).
Einige Kreisläufe habe ich mit dem Modell “Das Streben nach der falschen Freude” zu beschreiben versucht. Etliche Male war ich zudem mit dem Argument konfrontiert: Gott hat sich mir nicht gezeigt – also will ich Spass. Auch hier zeigt sich der starke Drang nach der Befriedigung unserer Ansprüche.
Dem Problem meiner Online-Sucht lediglich mit Bildschirmzeitlimits entgegenzutreten, greift also zu wenig weit. Um wirkliche Wurzelbekämpfung dieser Gewohnheit zu betätigen, muss der Sanduhr also erstmals gekündigt werden. Wer soll als nächstes angestellt werden?
Ben Sasse schlägt vor (und ich füge hinzu: Ausgehend von einer innerlichen Neuorientierung):
Vorschlag #1: Fliehe der Gleichaltrigen-Orientierung – zurück zu einem generations-durchmischten Leben.
Vorschlag #2: Ermögliche, ja fördere harte Arbeit. Das Kind wächst am Widerstand durch Hindernisse.
Vorschlag #3: Fahre den Konsum zurück. Er schafft keine Zufriedenheit, sondern führt in den Sumpf.
Vorschlag #4: Gehe in andere Kulturkreise – nicht als Tourist, sondern um mitanzupacken.
Vorschlag #5: (nicht nur für Amis) Schäme dich nicht für deine nationalen Wurzeln. Scheue den Wettbewerb der Ideen nicht.