Das durch Ron entdeckte Werk zur Frankfurter Schule “Grand Hotel Abgrund: Die Frankfurter Schule und ihre Zeit” (Clett-Cotta, 2019) bietet einen faszinierenden biografischen Einblick in die Vater-Sohn-Beziehung seiner Gründerväter.
“Die Söhne revoltierten gegen das Erbe der Aufklärung, zu welcher sich ihre säkular eingestellten Väter eben aus dem Grund hingezogen gefühlt hatten, weil sie ihrem materiellen Erfolg einen intellektuellen Glanz verliehen hatte.” (50) Sie bauten “aus einer Haltung geistigen Protests heraus ihre Gegenwelten” (48). Leo Löwenthal (1900-1993) beispielsweise rächte sich bei seinem Vater, indem er “sei es bewusst oder unbewusst –, … später absolut ›frei‹ wurde: nicht nur areligiös, sondern dezidiert antireligiös” (49). Dabei gab es “durchaus genügend Ersatzväter, welche altklugen Söhnen die geistige Nahrung zu geben wussten” (50). Für den Vater war es damals eine “entsetzliche Enttäuschung, dass sein Sohn, den er, der Vater, ein wahrer Nachkomme der Aufklärung, so ›fortschrittlich‹ erzogen hatte, jetzt in die ›widersinnigen‹, ›obskuren‹ und ›betrügerischen‹ Klauen einer positiven Religion geraten war.” (ebd.)
Max Horkheimer seinerseits verliess mit 15 Jahren die Schule, um im elterlichen Geschäft mitzuarbeiten und zum Juniorchef befördert zu werden.
Nachdem er die elterlichen Fesseln und die erstickend bürgerliche Stuttgarter Atmosphäre hinter sich gelassen hatte, schrieb er an einen Freund: ‘Wir sind der Welt entkommen, in der du leidest, und unsere Erinnerung daran besteht in einer anhaltenden Freude darüber, dass wir sie losgeworden sind.’ (52)
Später zurück im Geschäft, liess er sich mit der Privatsekretärin seines Vaters ein, die daraufhin entlassen wurde. Nicht nur bei Horkheimer, auch bei anderen wurde die “Religion der Liebe” zum Ersatz für die Religion der Väter, die sie verlassen hatten. Es ging um “das unentrinnbare, harte Schicksal der Geschöpfe, die Sucht nach Lust, die ewig brennt und quält, die alle Übel schafft und nie gelöscht wird.” (54) Trotz seinen Ängsten “vor der Irrationalität der Unterschicht (verband sich) sein Schuldgefühl wegen seiner eigenen privilegierten Stellung als Sohn eines reichen Stuttgarter Geschäftsmanns mit seinem Wunsch nach sozialem Wandel” (57).
Auch Walter Benjamin (1892-1940) bezog beträchtliche Summen von seinen Eltern. Sein Vater unterstützte jedoch nur, “wenn Walter und seine junge Familie sich darauf einließen, in eine Wohnung im väterlichen Haus einzuziehen” (59). Franz Kafka (1883-1924) schrieb 36-jährig einen “Brief an den Vater”, der ihm Lebensuntüchtigkeit vorwarf. Der Sohn entsprach nicht dem, “was von ihm erwartet wurde, wohingegen die Potenz des Vaters unbeeinträchtigt blieb” (61). Von da an ist es nicht weit weg zu Benjamins These: “der Sohn nicht dem entsprach, was von ihm erwartet wurde, wohingegen die Potenz des Vaters unbeeinträchtigt blieb.” (62)
Eine weitere Facette war die väterliche Grosszügigkeit und Duldsamkeit wie im Fall von Theodor Adorno (1903-1969). Fleiss, “sein souveränes Auftreten, sein Selbstvertrauen –, und mit dem Pfund seiner Herkunft zu wuchern, (verhalf ihm dazu), dorthin zu kommen, wo er hinwollte.” (65) Er sei “ein Wunderkind gewesen, das nie erwachsen wurde (weil er es nicht musste), das aber paradoxerweise im Unterschied zu Benjamin in der Erwachsenenwelt sehr gut zurechtkam.” (66)
In einer patriarchalen Kultur konnte der von Schuldgefühlen gepeinigte Sohn den Wünschen seines Vaters nie vollständig gerecht werden. Er wurde sozusagen zum Symbol der Verfassung jener kapitalistischen Gesellschaften, die sich in Europa herausbildeten – seine Schuld, seine Entfremdung, seine Distanz zu sich selbst, seine Anfälligkeit für Konflikte und emotionale Unterdrückung. (68)