Rebecca McLaughlin gehört für mich zu den Entdeckungen der letzten Jahre. Nun werden einige ihrer Bücher in die deutsche Sprache übersetzt. Die britische Literaturwissenschaftlerin und Theologin mit Wohnsitz in den USA stellte sich in München einigen harten Anfragen an den christlichen Glauben. Ich habe mitgeschrieben.
Warum werden die neuen Fragen z. B. zur Sexualethik immer wichtiger? Was hat sich gesellschaftlich verändert?
Es gibt zwei Herangehensweisen, um über Fragen zum Glauben nachzudenken: Ist dies wahr? Ist dies gut? Traditionellerweise ging es um Fragen nach der Wahrheit. Heute geht es vermehrt darum, ob das Christentum gut sei. Bevor unsere Zeitgenossen nicht sehen, dass das Christentum gut für sie ist, werden sie sich nicht der Wahrheit zuwenden.
Glauben ist schädlich und sollte komplett verschwinden.
Als ich in England aufwuchs, waren die meisten Nichtchristen der Ansicht, dass Religion und Christentum für die Gesellschaft und für die Einzelnen schlecht seien. Aktuellen Studien zufolge sind Religion und der wöchentliche Besuch des Gottesdienstes für die mentale und physische Gesundheit sehr förderlich.
Zu innersten tiefsten Bedürfnissen «Nein» zu sagen und nicht ihnen nachzukommen, steht dem aktuellen gesellschaftlichen Konsens entgegen. Dies sei der schnellste Weg zum Unglück. Jeder müsse sich täglich selbst entscheiden, was zu seinem individuellen Glück führe.
Der Angriff auf überkommene Strukturen wird immer grösser. Unterdrückt das Christentum nicht die Frauen?
Ich habe eben ein Buch über Jesus Beziehungen zu Fragen in den Evangelien geschrieben. Etwas von dem, was der damaligen Gesellschaft am meisten entgegenstand, war die Wertschätzung von Frauen, die zur Randgruppe gehörten. In der westlichen Ideengeschichte war die Gleichwertigkeit von Mann und Frau keine Selbstverständlichkeit, sondern entstammt letztlich dem Christentum.
Zum aktuell schlechten Image des Christentums trägt die Vorstellung der Ehe bei. Dabei ist die Rolle in einer christlichen Ehe etwas vom Besten, was Frauen in der gesamten Geschichte widerfahren ist. Die sexuelle Ausbeutung der Frauen in der Antike war von unvorstellbarem Ausmass. Die Treue eines Mannes zu einer Frau und seine aufopfernde Liebe ihr gegenüber wäre damals unvorstellbar gewesen. Interessant ist zudem, dass in der Kirchengeschichte die Frauen schon immer in der Mehrheit waren.
Kritiker des Glaubens berufen sich oft auf die Naturwissenschaft. Diese hätte gezeigt, dass der Glaube an Gott überflüssig sei.
Das Christentum war das ursprüngliche philosophische Fundament für die Naturwissenschaft. Wissenschaft galt damals niemals als alternative Hypothese zum christlichen Glauben. Christliche Wissenschaftler glaubten an einen Gott, der rational und frei ist. Hans Halversen, Wissenschaftsphilosoph, argumentiert dahin, dass Christen nicht nur die ersten waren, welche die naturwissenschaftliche Forschung betrieben. Sie ist auch mehr auf dem Christentum als auf dem Atheismus gegründet. Christen glauben daran, dass Gott die gesamte Welt geschaffen hat. Er ist damit nicht nur ein Lückenbüsser. Der Glaube an den Schöpfergott lässt sein Wirken in grösserer Detailliertheit erscheinen. Christen diskutieren seit dem 4. Jahrhundert darüber, wie Wissenschaft und Glaube zusammengehen. Sie waren seither auch immer mit dabei, wenn es um bahnbrechende Entdeckungen ging.
Eine Frage, ob der christliche Glaube gut sei, betrifft im Besonderen die Homosexualität. Du selbst empfindest homosexuell. Viele finden für sich keinen Weg, trotz dieser Empfindung sich dem christlichen Glauben zuzuwenden.
Die zentrale biblische Botschaft ist die Liebe von Jesus für seine Gemeinde. Die Bibel präsentiert die christliche Ehe als Miniatur-Abbild der viel grösseren Ehe zwischen Christus und seiner Gemeinde. Die beste menschliche Romanze ist nur ein schwaches Abbild bzw. Echo der Liebe Jesu. Wenn dies wahr ist, bedeutet es, dass niemand, der gegen seine sexuellen Sehnsüchte Jesus nachfolgt, Gutes vorenthalten bleibt. Umgekehrt heisst es, dass jeder, der sich von Jesus abwendet, um seinen sexuellen Wünschen nachzugehen, der Verzweiflung entgegengeht.
Jemand, der Jesus nachfolgt, verleugnet sich selbst und nimmt sein Kreuz auf sich. Die gleichgeschlechtliche Anziehung fühlt sich wie eine Frage über Leben und Tod an. Sie ist es auch. Die radikale Anfrage, die Jesus stellt, lautet: Meine Liebe ist besser als jede menschliche Liebe. Es geht um den Glauben, dass er uns nichts Gutes vorenthalten möchte. Die Bibel plädiert für die Liebe zwischen Gläubigen desselben Geschlechts, nämlich durch Freundschaft. Ich erlebe diese Art der Liebe in den Beziehungen mit christlichen Freundinnen.
Transgender ist ein anderes hochemotionales Thema. Pubertierenden werden Wachstumsblocker verschrieben. Die einen sind begeistert, die anderen schockiert. Was ist die christliche Antwort?
Gott hat mich gemacht – das ist eine der wichtigsten christlichen Grundannahmen. Er schuf nicht nur meine Seele, sondern auch meinen Körper. Damit verfolgte er eine besondere Absicht. Als Christen können wir die Frage nach unserer Identität nicht von unserem Körper trennen. Eben so wenig glauben wir daran, dass unsere Körper so bleiben, wenn Jesus wiederkommt und unsere Körper auferweckt.
Es gibt viele Wege, unsere Existenz im Körper als schwierig zu erleben. Einige erleben zum Beispiel chronische Rückenschmerzen. Andere kommen ihr ganzes Leben nicht damit klar, dass sie Mann oder Frau sind. Was bedeutet es für Christen, die mit ihrem eigenen Geschlecht nicht klarkommen? Sie können Jesus vertrauen, dass sie mit Absicht als Frau oder Mann geschaffen sind.
Es ist eine säkulare Kuriosität, dass die Menschen keinen Grund dafür sehen, dass wir mehr als unsere Körper sind. Dabei gehen sie von der Annahme aus, dass es etwas gibt, was nicht mit unserem Körper zu tun hat. Sie glauben an eine Geschlechter-Seele, die von unserem geschlechtlichen Körper getrennt ist. Wenn wir diese Trennung zwischen Identität und biologischem Geschlecht machen, können wir letztlich nichts mehr wissen, was das Wort «Frau» bedeutet. Alles, was übrigbleibt, sind Stereotypen. Es gibt Feministen, die aus diesem Grund gegen Transgender sind.
Wie ist zu unterscheiden zwischen einem Gott, der einen Grund hat, warum wir leiden (wir es aber nicht wissen), und einem Gott, dem es egal ist?
Im Zentrum des christlichen Glaubens steht ein unschuldiger Mann, der einen brutalen Tod gestorben ist. Christen glauben, dass dieser Mann der menschgewordene Gott ist. Dieser liebte die Menschen so sehr, dass er bereit war auf die Erde zu kommen, zu leiden und zu sterben. Dies geschah nicht deshalb, weil wir gut, sondern weil wir böse waren. Wenn Jesus derjenige ist, der die Kontrolle über dein und mein Leben innehat, dann kann es ihm unmöglich egal sein. Er liebt dich so sehr, dass er bereit war, an deiner Stelle zu leiden.
Wie können wir Nichtchristen kommunizieren, dass wir uns in unseren Wünschen einschränken, auch wenn sie direkt niemandem weh tun?
Es besteht die Versuchung für Christen, andere Menschen von christlichen Moralvorstellungen zu überzeugen. Das ist jedoch nicht unsere Aufgabe. Wir sollen die anderen wie uns selbst lieben und anderen Menschen von der Liebe Jesu erzählen. Wenn jemand glaubt, umkehrt und sich ihm anvertraut, ändert sich eine Menge in dessen Leben. Jesus hat nun die Herrschaft übernommen. Vertrauen wir Jesus genug, um ihm zu glauben, um Dinge zu tun, die wir nicht ganz nachvollziehen können?
Vielfalt ist ein biblisches Konzept. Inwiefern steht dieses in Konkurrenz zum säkularen Diversitätsbegriff?
Diversität umfasst im heutigen Verständnis sowohl die ethnische als auch die sexuelle Vielfalt. Die Argumente von der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurden von Aktivisten heute übernommen. In der Bibel geht es um die Liebe zu allen verschiedenen Ethnien. Das Christentum ist bezüglich Rassenfrage die vielfältigste Bewegung der gesamten Menschheitsgeschichte – und auch die grösste. In meiner eigenen Kirche sehe ich diese wunderbare ethnische Vielfalt verbunden mit dem Wunsch, eigene Bedürfnisse um der Liebe zu Jesus willen aufzugeben.
Warum ausgerechnet der christliche Glaube? Sind andere Religionen nicht auch überzeugend?
Ich lese zahlreiche Bücher von nichtchristlichen Autoren und werde gefragt, ob dies nicht meinen Glauben herausfordert. Je mehr ich mich mit Alternativen beschäftige, desto schöner erscheint mir der christliche Glaube.
So hörte ich eben von der Todesnachricht einer krebskranken Person. Die Tochter der Frau, die jetzt gestorben ist, und ihren Vater schon vor zehn Jahren verloren hat, meinte: «Ich sehe den Himmel als den Ort an, an dem ich endlich meinen Papa wiedersehe.» Dies ist jedoch noch zu wenig. Der Himmel ist der Ort, an dem wir Jesus von Angesicht zu Angesicht sehen werden. Darauf freue ich mich.