Rezension: Ein mehrmonatiger Ritt durch die US-amerikanische Geschichte

Über die letzten Monate bewegte ich mich Lektion für Lektion durch die 84-teilige Vorlesung zur US-amerikanischen Geschichte «The History of the United States». Es bildet ein Gemeinschaftswerk dreier Professoren und setzt sich aus drei Teilen zusammen:

  • Beginn europäischer Besiedlung bis zum Grossen Kompromiss (1850)
  • Die Geschichte vor, während und nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg
  • Von der Industrialisierung des späten 19. Jahrhunderts bis ins 21. Jahrhundert

Ergänzt wird die Hörproduktion von einem 400-seitigen Kursbuch; zu jedem der drei Teile sind Timeline, Karten und eine ausführliche Bibliografie angefügt. Die 84 Einheiten dauern jeweils 30 Minuten, wobei ich sie mit einer Geschwindigkeit von 1.3 anhörte und mir die Freiheit herausnahm, einzelne Einheiten zweimal durchzuhören. Meine Merkfähigkeit steigerte sich, wenn ich das Anhören mit den Landschaften verknüpfte, durch die ich in meinen täglichen Wegstrecken durchwanderte.

Wie gelingt es den Verfassern, ein solch komplexes Unterfangen in 40 Stunden mit genügend Detaillierungsgrad bei gleichzeitigem Überblicken des Wesentlichen zu Boden zu bringen? Die Faszination dieser Serie bestand gerade im Zusammenspiel unterschiedlicher Kategorien und einzelner Faktoren, und zwar

  • Persönlichkeiten (Erfinder, Unternehmer, Politiker, Künstler, Straffällige)
  • Geografie (Klima, Bodenbeschaffenheit, Wald, Bodenschätze)
  • Geistesgeschichte (Christentum, Aufklärung, nationale Besonderheiten der Einwanderer)
  • Mutterländer (Kriminalität, Entwicklung, Kriege/Notlagen, Abstossungsprozesse)

Von jeder Einheit suchte ich mir einen Eindruck zu bewahren:

  1. Anstoss zur Besiedlung: Weil es im Osten nicht mehr weitergeht, probiert man es im Westen.
  2. Früh ausgestiegene Konkurrenten, die Spuren hinterliessen (Spanien, NL, F)
  3. Anfänge: Kommerzielle Misserfolge nötigten zum Bleiben.
  4. Süden (Kommerz & Politik) vs. Norden (Religion/Ideen)
  5. Die Rolle der Geografie, z. B. Flüsse und Buchten
  6. Arbeitskräftemangel: GB an Emigration nicht interessiert; «forced labor»
  7. Die Zuversicht des 17./18. Jh, dass die US-Kultur die anderen «outperformen» wird
  8. Kein einzelner Promotor, sondern die Grosse Erweckung als Versuch der religiösen Neuausrichtung
  9. GB: 100 Jahre nach erster Besiedlung immer noch uninteressiert und nur an Profit orientiert
  10. Der Wendepunkt: Krieg – Verschuldung – Abschieben – Widerstand
  11. Unabhängigkeitskrieg: Steuerstreit – Reaktion GB – spielt den Radikalen in die Hände
  12. USA: Start mit sehr begrenzten Ressourcen gegen einen wohl platzierten Gegner
  13. Eintritt der Franzosen führt zur Neuausrichtung der Strategie von GB
  14. Der Unabhängigkeit folgt das Problem der Verschuldung; eine neue Generation übernimmt das Ruder.
  15. Der Beginn der Republik: Washington muss erst staatliche Organe schaffen, die Konstitution sah keine vor.
  16. Die Schaffung von Parteien verstiess gegen das republikanische Commitment zur Tugend (gegen die Selbstinteressen).
  17. John Adams, 2. Präsident, legt Weichenstellungen innen- und aussenpolitisch.
  18. Mit Thomas Jefferson folgte ein Neustart des Republikanismus – ein Rückschritt für staatliche Strukturen, Militär etc.
  19. Die Hauptangst der ersten 30 Jahren war der drohende Zerriss durch die grossen europäischen Mächte und eine Re-Kolonisierung.
  20. Thomas Jefferson verfolgte ein agrarisches Ideal, verflochten mit der Idee der Unabhängigkeit.
  21. Es folgte 1812 ein demütigender Seekrieg gegen GB, dessen Folgen für die nächsten 40 Jahre spürbar blieben.
  22. Dem Krieg folgten mehrere Initiativen, ein amerikanisches System zu etablieren (Militär, Bank).
  23. 1824 mit dem 50-jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit markierte den Übergang zu einer Generation nach der Amerikanischen Revolution.
  24. 1819 zog das Schliessen regionaler Banken gravierende Folgen für die Bevölkerung nach sich (Armut und Hunger).
  25. Die zweite grosse Erweckung (1835) bedeutete ein bedeutendes Comeback des Christentums – den deistischen Gründern zum Trotz.
  26. Die industrielle Revolution veränderte den Handel für immer; Mühlen stehen sinnbildlich für das ausserordentliche wirtschaftliche Wachstum.
  27. Nach der Erweiterung des Wahlrechts zeigen sich zunehmend Risse innerhalb der Republikaner.
  28. Die Wahl von 1828 markierte den Wechsel von republikanischer zu demokratischer Politik.
  29. Die Zeiten des Aufschwungs wirkte sich dies auf ausufernde Nationalbankaktivitäten aus (exzessive Ausleihen, Steigerung der Geldmenge).
  30. Der Bankenkrieg zerstörte die Einheit der Republikanischen Partei; die Whigs – oftmals Farmer – standen für die ökonomische Dynamik ein.
  31. Amerikanische Kunst entwächst ihren Kinderschuhen, glorifiziert die Landschaft und steht auf die Gothik, im Literarischen auf den Romantizismus.
  32. Die US-Amerikanischer fokussieren sich auf das Experiment und entwickeln eine Mentalität der permanenten Verbesserung.
  33. Die Emanzipation stand in groteskem Gegensatz zur Realität der Sklaverei, welche vor allem der Süden vehement verteidigte.
  34. Ein weiterer Faktor des Optimismus verband sich mit der Besiedlung des Westens: Das Weitertragen von Republikanismus, Zivilisation und Christentum.
  35. Über die Annexion von Texas entspann sich 1845 der Mexikanische Krieg.
  36. Dieser endete im grossen Kompromiss von 1850; dieser klammerte die Frage der Sklaverei aus.
  37. Die 1850er sind als antebellum-Periode zu betrachten; die Menschen wussten nicht, dass sie in einer Periode vor einem Krieg lebten.
  38. Über dem Gerichtsfall eines entflohenen Sklaven in einem befreiten Staat entfachte sich der Konflikt.
  39. Der Wahlkampf von 1860 erwies sich mit 4 Kandidaten entlang den inneren Rissen als traumatisch.
  40. Das erste Jahr des Konflikts zeigte, dass beide Seiden gewinnen konnten; beide Seiten hofften auf die jeweilige Unterstützung der Grenzstaaten.
  41. 1862/63 wechselte das Kriegsglück wiederholt die Seiten.
  42. Die südliche Konföderation bemühte sich diplomatisch um die Anerkennung von GB und F.
  43. Ein massiver Nachteil war die schlechter ausgebaute und zerstörte Infrastruktur des Südens; der Norden erwies sich fähiger in der Nachschubproduktion und -lieferung.
  44. Die Krieg resultierte in der formellen Befreiung von Afro-Amerikanern, liess jedoch eine Menge sozialer und juristischer Fragen offen.
  45. Der Ausgang des Kriegs blieb bis 1864 unsicher, Lincoln zweifelte zwischenzeitlich an seiner Wiederwahl.
  46. Es folgte eine stark vom Präsidenten forcierte Wiederaufbauphase (1863-1877).
  47. 1866-1868 war von Konfrontationen zwischen den Forderungen des Präsidenten und den Vetos der zwei Kammern begleitet.
  48. Trotz 80 % schwarzen Wählern für die Republikaner dominierten die Weissen die Partei in den südlichen Staaten.
  49. Im späten 19. Jahrhundert wuchs die amerikanische Industrie dramatisch, unterstützt durch eine Generation brillanter Erfinder.
  50. Die ersten transkontinentalen Eisenbahnstrecken wurden 1866-69 errichtet; dabei wurde technische Meisterleistungen zum Überwinden des schwierigen Geländes erzielt.
  51. Damit wuchs die technologische Ungleichheit zwischen Besiedlern und Ureinwohnern; in den 1870ern wurden die Büffelherden fast vollständig ausgerottet.
  52. Verbunden mit der Erschliessung durch die Eisenbahn wurde die grossen Ebenen besiedelt und landwirtschaftlich erschlossen.
  53. Nach der Phase des Wiederaufbaus übernahmen Ex-Konföderaten erneut das politische Ruder im Süden, was zu einer Benachteiligung der befreiten Afroamerikanern führte.
  54. In der Mittelklasse wurden Männer und Frauen während des 19. Jahrhunderts in der Bipolarität betont: Muskulär/rational/intellektuell vs. zart/intuitiv/religiös.
  55. Die Viktorianische Religion legte die Betonung auf Jesus als Freund und Begleiter; D. L. Moody betonte das Angebot der göttlichen Liebe für alle.
  56. Aus den Reihen der Farmer, die ökonomisch durch fallende Preise während den 1890er in wirtschaftliche Schieflage gerieten, formierte sich ein Kreis politischer Populisten.
  57. Das späte 19. Jahrhundert war die Zeit von riesigen Wellen von Immigranten, wobei diejenigen von Russland, Indien und China durch ihre unterschiedliche Lebenswelt der Herkunftsländer benachteiligt waren.
  58. Durch die ansteigende Einwanderung wuchsen die Städte unaufhörlich.
  59. Die meisten Bewohner gehörten der Arbeiterklasse an; Gewerkschaften bildeten sich nur langsam.
  60. Theodore Roosevelt steht für eine Welle progressiver Reformer und damit verbundener Zentralisierung, um Regierung und Wirtschaft effizienter zu machen.
  61. Die industrielle Revolution basierte auf den Branchen Textil, Eisen und Stahl sowie Eisenbahn- und Ölproduktion.
  62. Der Kriegseintritt der USA 1917 liess die vorher kleine Armee explosionsartig anwachsen. 
  63. Die Vision des US-Präsidents Wilson setzte sich in Versailles nicht durch – im Gegenteil.
  64. 1921 und 1924 bremste die Einwanderung aus dem südlichen und östlichen Europa, von Asien wurde sie gar ganz unterbunden; ansonsten bedeuteten die 20er Jahre kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufstieg.
  65. Dem folgte der Wall Street Crash und die Grosse Depression; die Aktienmärkte fielen nach einer Überhitzung auf ihre realen Gegenwerte zurück.
  66. Roosevelts Interventionen, bekannt geworden als New Deal, versetzten dem Markt zwar Impulse, die definitive Erholung kam aber erst durch die Kriegsproduktion.
  67. Die USA hielten sich erneut heraus, wurden jedoch durch den Angriff der Japaner 1941 in einen Schock versetzt und in die Mitte des militärischen Geschehens katapultiert.
  68. In Europa folgte 1944 die Landung von der Normandie her, massgeblich durch die massiven See- und Landstreitkräfte der USA alimentiert.
  69. Im Pazifik folgte ein jahrelanger harter Krieg von Insel zu Insel, abgeschlossen durch den Abwurf der Atombomben.
  70. Trueman kehrte nicht zum Isolationismus der USA zurück, sondern übernahm für die USA die Rolle der Weltvorherrschaft mit all den verbundenen Bürden.
  71. In den 50ern waren die Ängste vor einem kommunistischen Domino auf dem Höchststand; die USA griff in Korea auf Seiten des Südens massiv ein.
  72. Die 50er Jahre waren begleitet von einer hohen Geburtenrate und eines beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwungs.
  73. Verschiedene Gerichtsentscheide 1954-56 lösten die Bürgerrechtsaktivitäten aus, was zu einer Bewegung wurde.
  74. Kennedys Wahl als erster Katholischer Präsident reduzierte die inner-religiösen Risse, parallel wuchs der Kalte Krieg auf höchstes Eskalationsniveau.
  75. Nach der Verbreitung des Radios ab den 20ern und durch das Fernsehen ab den späten 40ern entwickelten sich die Massenmedien; es wurden fiktionale Charakteren produziert, zudem übernahmen die Medien eine kritische Rolle bezüglich politischen Entscheidungen.
  76. Das Eingreifen der USA auf Seiten F in Vietnam stellte einen Anachronismus dar – als Gegenleistung für die Teilnahme F an der NATO
  77. Eine Publikation von 1963 zeigte die Frauen der Mittelklasse als gelangweilt und unterfordert; es entwickelte sich eine Bewegung zu deren Emanzipation.
  78. Nixons Watergate-Skandal erschütterte das Vertrauen in Washington und die Regierungskreise…
  79. Und führte den unbescholtenen, widergeborenen Christen Jimmy Carter ins Präsidentenamt; dieser wurde aber von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten und einem aussenpolitischen Desaster im Iran eingeholt.
  80. In den 60er Jahren entwickelte sich schrittweise ein Konsumenten- und Umweltbewusstsein; Energiekrise und Umweltkatastrophen förderten dies.
  81. Das 20. Jh. Erlebte eine beispiellose Integration verschiedener Religionen und Kulte innerhalb der USA.
  82. Reagans Antritt läutete ein Comback der religiösen Rechten ein, die seit den 20ern den Verfall der Gesellschaft brandmarkten.
  83. Durch den Fall des Eisernen Vorhangs entstand eine neue Weltordnung, die USA als Hüter dieser Ordnung wurden im Nahen Osten vor verschiedene aussenpolitische Hürden gestellt.
  84. Es vergrösserten sich in den 90ern die Abstände zwischen Armen und Reichen; der Vorfall 9-11 sowie die Intervention der USA im Irak zeigte die aussenpolitische Verletzlichkeit und die Grenzen auf.