Ähnlich wie beim Buch Esther neigen wir als Leser des 21. Jahrhunderts beim Lesen des Buches Hiob dazu (und ich schliesse mich da selbst nicht aus), die beschriebene Tragödie gedanklich in ein süffiges Musical zu übersetzen und dann zum Beispiel mit dem Fokus “Happyend” unsere eigene psychologische Deutung dem Text aufzuzwingen. Ich habe vor einigen Jahren den Versuch unternommen Zugang zum Buch Hiob zu schaffen.
Eric Ortlund hat intensiv zum Buch Hiob gelesen, geforscht und gepredigt (z. B. Piercing Leviathan, Suffering Wisely and Well). In einer stündigen Vorlesung am niederländischen Tyndale Seminary sprach er kürzlich über dieses kunstvoll angeordnete Buch mit seiner zeitlosen Botschaft. Der Alttestamentler empfiehlt darin übrigens die Predigten von Christopher Ash. Allerdings gebe es generell überzeugende Auslegung zum Buch selber. Das eine helfe nicht weiter, das andere gehe in die häretische Richtung.
Jede Kirche, so Ortlund, habe ihre künftigen oder aktuellen Hiob-Vertreter, die von ihrem eigenen Leben bezeugen könnten: “Mein Leben hallt von Hiob wider.” Zwei geläufige Kategorien für Leid, nämlich Sünde (2Samuel 12) und geistliches Wachstum (Römer 5, Jakobus 1), treffen im Fall von Hiob beide nicht primär zu. Sowohl Hiob selbst wie seine Freunde scheitern letztlich auch in ihrer Verteidigung von Gottes Gerechtigkeit. Ja, nicht einmal der professionelle Ankläger – Satan – findet Gründe zur Anklage gegen den Geplagten!
Wir erfahren bereits im Prolog des Buches, dass Gott dem Widersacher erlaubt Hiob Leid zuzufügen. Das Leid, das ihn trifft, ist so offensichtlich und umfassend, dass es nicht verborgen bleiben kann. Es ist jedoch nicht wie bei einem Krebsleiden, wo der Betreffende den (körperlichen) Grund seines Leids kennt.
Es kann sich demnach nicht um die Verteidigung von Gottes Wegen mit der Welt handeln. Der Schlüssel wird uns gleich zu Beginn geliefert, ob nämlich Hiob umsonst so untadelig lebt (1,9). Der mögliche Sarkasmus, der damit aufkommen könnte, wird ebenso schnell beseitigt. Nein, Hiob war nicht wegen den sekundären Segensgütern, die ihm zuteilwurden, zu einem untadeligen Leben gewillt!
Gott ist, wenn wir sein Handeln gesamthaft betrachten, überaus gnädig mit den Seinen. Er segnet sie mit geistlichen und materiellen Gütern. Hiob liess er diese jedoch entziehen. Hiob selbst und seine herbei gereisten Freunde argumentierten alle aus ihrem theologischen Verständnisrahmen heraus. Nicht komplett falsch, aber doch daneben. Die Gesprächsrunden ermüden selbst den Leser. Worum geht es wirklich? Es ist keine menschlich-argumentative Lösung in Sicht.
Hiob anerkennt zwar weiterhin Gottes souveränes Handeln. Doch irrtümlich steigert er sich in die Behauptung hinein, dass Gott ihn willkürlich zerstöre. Er erwartet einen partnerschaftlichen Dialog, aus dem er als Resultat sein Recht behauptet haben wollte.
Gott antwortet dem Leidenden schliesslich aus dem Sturm. Dieses Bild wird im AT für Gott als Verteidiger gebraucht, der die Sache der Seinen führt. Seine Fragen sind nicht in erster Linie als Entlarvung, sondern im Sinne eines weisen Lehrers, der seinen Schüler ermutigen will, gedacht.
Schliesslich re-fokussiert Gott Hiob zurück auf Ihn selbst. Selbst unschuldig, erleidet dieser scheinbar Gottes Zorn. In Wahrheit wird die Anklage des Teufels zunichte gemacht. Hiob verherrlichte Gott wider sein Wissen (siehe Minute 26).