In meinem Studium der Psalmen (einführend dazu siehe Mark Futato “Teaching the Psalms”, 60 Minuten) durchlief ich erneut die Erfahrung, dass die Texte mich wechselseitig zu einer grösseren Schau Gottes anleiteten, um dann wieder einen gereinigten Blick auf mich selbst und meine Erfahrungen werfen zu lassen. In diesem ständigen Austausch befinden wir uns als Geschöpfe. Insofern ist die Aussage “in der Bibel geht es nicht um mich” nicht korrekt. Der dreieinige Gott ist keineswegs auf mich (oder auf die Welt generell) angewiesen. Er ist unabhängig und selbstgenügsam. Ich bin zu seiner Ehre geschaffen worden. Doch als “Unterkönig” hat er mich mit der Regierung zumindest über einen winzigen Teil seiner Schöpfung beauftragt (siehe Psalm 8). Die Psalmen sind Lehrstück zu göttlichen Namen, Eigenschaften und Werken (siehe z. B. Psalm 33). Sie beschäftigen sich am anderen Ende mit der gesamten Anatomie der menschlichen Seele (Johannes Calvin) – sprich mit allen Gefühls- und Lebenslage von der Wiege bis zur Bahre und darüber hinaus (“er wird nichts bei seinem Sterben mitnehmen”, siehe Psalm 49). Es lässt mich auf meinen wahren Platz zurückfallen, was enorm entlastet. “Ich gehe nicht um mit großen Dingen, die mir zu wunderbar sind.” (Psalm 131,1)
Gott gehört das Mikrofon, damit ist uns Menschen am besten gedient. Dieses Gleichgewicht mit dem wechselseitigen Blick auf den Schöpfer und Erlöser einerseits und einer intensiven Selbstgesprächen vor Gott ist eine wirksame Kur gegen die auf Selbstoptimierung ausgerichtete horizontale Lesart der Schrift. Ein aktuelles Beispiel von dem auch von Christen gefeierten Jungianer Jordan Peterson:
Peterson … liest die Geschichte von Abraham als die Geschichte eines Mannes, der sich „auf ein Abenteuer“ einlässt, um sich selbst zu optimieren. Es ist die Geschichte eines Mannes, der alles hatte, was er für ein bequemes und zufriedenes Leben brauchte. Das aber bedeutete, dass er nicht alles hatte, was er brauchte; denn was Abraham wirklich brauchte, war nicht dort zu bleiben, wo er war. Abraham musste sich auf die Reise nach oben begeben. Nach Peterson ist dies also eine Geschichte der menschlichen Optimierung durch Abenteuer. Wir haben es mit einem Archetypen zu tun, der von der Notwendigkeit spricht, das Bekannte und Bequeme zu verlassen, um mehr zu werden, als man derzeit ist. Welchen Platz nimmt Gott in dieser Geschichte ein? Er war ganz einfach das notwendige Werkzeug, durch das Abraham den Ruf des Abenteuers erhielt. …
Petersons Haltung Gott gegenüber ist ähnlich pragmatisch. Gott ist der (notwendige) Protagonist, der in die Geschichte hineingeschrieben wird, um das Ziel der menschlichen Optimierung zu strukturieren und voranzutreiben. Gott ist das Medium, durch das wir dazu aufgerufen werden, uns nach oben ins Unbekannte aufzumachen oder in die „Schätze“ zu investieren, die unserer Optimierung am meisten nützen. Gott ist das Konstrukt, das notwendig ist, um die Erschaffung Evas als „nützliche Gegenspielerin“ zu erklären, die Adam auf Trab hält und ihn so nach mehr streben lässt. Gott ist das Mittel, mit dem wir einen Blick auf das Gelobte Land werfen können (das metaphorische Ziel unserer Reise nach oben).
Tremper Longman hat übrigens neun hilfreiche Prinzipien für das Lesen der Psalmen verfasst.
- Lies sie in ihrem Kontext, nämlich als Anthologie, gefasst in fünf Bücher, mit dem Schlusspunkt des Gotteslobs (Ps 146-150).
- Beachte das Genre des Psalms; es gibt einige grobe Kategorien, aber auch manche poetischen und kompositorischen Feinheiten.
- Denke über die Parallelismen – die Verstärkungen, Ergänzungen und Nuancierungen – nach.
- Hebe den Schatz an Bildern und Vergleichen.
- Gib auf den Titel, der im ersten Vers auftaucht, Acht.
- Lass den theologischen Gehalt – gerade zur Gotteslehre – auf dich wirken.
- Frage danach, wie der Psalm auf Christus hinweist.
- Lasse deine Seele in dem Psalm spiegeln.
- Folge dem Aufruf des Psalms für ein geheiligtes, erneuertes Leben.
Mark Dever stellt in seinem Überblick über die Psalmen (50 Minuten) sieben Kennzeichen für geistliches Wachstum auf:
- Gotteslob
- Gedenken
- Klagen
- Entscheiden
- Veränderung
- Vertrauen
- Dankbarkeit