Zitat der Woche: Die Grundideen des Stoizismus

Die Unterscheidung zwischen stoizistischem Gedankengut und der biblischen Weltanschauung ist subtil (siehe dieser Beitrag). Ähnlich ist es auch um die klassische Tugendethik bestellt (hier näher ausgeführt).

Der Psychologe und Philosoph Daniel Robinson (1937-2018) fasst die wichtigsten Ideen dieser antiken Weltsicht so zusammen:

  1. Ausgangsfrage: Was setzt sich denn am häufigsten über die Ratschläge der Vernunft hinweg? Die Antwort darauf: Emotionen – Leidenschaften, Wut, alles, woran wir ein so starkes emotionales Interesse haben, dass wir dafür Dinge tun, egal, was die Ratschläge der Vernunft empfehlen würden.
  2. Ontologie: Die stoische Ontologie ist physikalistisch, aber auf eine interessante und subtile Weise. Wenn wir Platons Standard der Existenz akzeptieren – damit etwas existiert, muss es fähig sein, zu handeln oder auf es einzuwirken -, dann ist die Schlussfolgerung, dass nur physische Objekte diesen Standard erfüllen.
  3. Grundüberzeugung: Die gesamte physische Welt wird von Gesetzen bestimmt. Die menschlichen Angelegenheiten müssen sich diesen gleichen Prinzipien der Gesetzmäßigkeit annähern und ihnen gehorchen.
  4. Lebensführung: Die stoische Darstellung stützt sich auf den Begriff des oikeion, der natürlichen Angemessenheit, einer Angemessenheit, die die Ordnung der Natur selbst zum Ausdruck bringt. Die Natur als Ausdruck des Logos ist ein geordnetes Reich, das von Gesetzen beherrscht wird, die kollektiv festlegen, was für die Wesen, aus denen es besteht, “richtig” ist.
  5. Menschsein: Es gibt nur ein Lebewesen, das über Sprache verfügt, und daher kann auch nur ein Lebewesen mit den Abstraktionen umgehen, die für die Rechtsstaatlichkeit und ein ethisches Leben von zentraler Bedeutung sind: der Mensch.
  6. Emotionen: Emotion und Leidenschaft sind das, was der Vernunft am meisten widerspricht. Nur der Mensch ist in der Lage, seine Lebendigkeit zu beherrschen und schließlich als vollkommen rationales Wesen aufzutreten, das nun am universellen Logos teilhat. Die richtige Haltung ist die der Apathie, nicht “Apathie” im Sinne von Gleichgültigkeit, sondern Resignation angesichts der Tatsache, dass die kosmische Ordnung bestimmend ist.
  7. Staat: Es gibt eine Ordnung und einen rationalen Plan für die Dinge. Nichts geschieht ohne Ursache, alles ist Ausdruck des übergreifenden Logos. Der Einzelne muss seinen Platz verstehen, zunächst innerhalb der Familie, dann innerhalb der bürgerlichen Gemeinschaft. Die letzte moralische Gemeinschaft ist die Gemeinschaft der sprechenden, denkenden und begründenden Wesen, die über die natürlichen Anlagen und Kräfte verfügen, die sie für ein Leben im Rechtsstaat qualifizieren.

Aus: Daniel N. Robinson. The Great Ideas of Philosophy. Kapitel 15.