Am Anfang (Kapitel 2) des Romans «Der erste Kreis der Hölle», wie andere Werke angelehnt an die eigene Erfahrung, berichtet Alexander Solschenizyn – ich habe eine Einführung zu diesem bemerkenswerten Autor geschrieben – vom Einzug aus Übergangslagern. Neue Gefangene treffen in der Scharaschka, dem Gefängnis für Wissenschaftler und Gelehrte ein (1948/49 während der stalinistischen Zeit). Teilweise haben sie Jahre voller Entbehrung hinter sich. Dies öffnet den Blick selbst für kleine Annehmlichkeiten. Solschenizyn lässt einen neuen Gefangenen aussagen:
Wissen Sie, Lew Grigorjitsch, von diesen vielen Eindrücken, von diesem Wechsel der Verhältnisse ist mir schon ganz schwindlig. Zweiundfünfzig Jahre bin ich jetzt auf der Welt, habe schwerste Krankheiten überstanden, schöne Frauen geheiratet, Kinder bekommen, akademische Ehrungen erhalten. Aber noch nie in meinem Leben war ich so wahnsinnig glücklich wie heute! Wo bin ich nur. Man wird mich morgen nicht ins kalte Wasser jagen! Vierzig Gramm Butter! Schwarzbrot – auf dem Tisch! Man kann sich sogar rasieren! Die Aufseher werden die Gefangenen nicht schlagen! Was für ein großer Tag! Ich bin auf dem Gipfel meines Lebens! Vielleicht sterbe ich! Oder träume ich vielleicht? Ich komme mir vor, als wäre ich – im Paradies!
Diese Sichtweise nämlich auf das, was uns entgangen ist bzw. mit welcher Güte uns Gott versorgt, führt uns zur Dankbarkeit.
Solschenizyn lässt dann einen bereits sitzenden Gefangenen diese Worte sprechen, wie sie Dante in seiner Göttlichen Komödie bereits im Mittelalter oder Zwingli (siehe die Untersuchung “Die Seligkeit erwählter Heiden bei Zwingli” vom Schweizer Kirchenhistoriker Pfister) in der Anfangszeit der Reformation zum Ausdruck gebracht hatten: Einen vornehmsten Kreis der Hölle für die edlen Heiden.
…«Nein, mein Hochverehrtester, Sie sind nach wie vor in der Hölle, man hat sie aber in ihren besten und vornehmsten Kreis aufgenommen – in den ersten Kreis. Sie fragten, was Scharaschka heisst? Wenn Sie so wollen, so stammt das von Dante. Verstehen Sie? – Dante zerfleischte sich über der Frage, wo er die antiken Helden unterbringen sollte. Die Pflicht eines Christenmenschen war es, diese Heiden in die Hölle zu werden. Aber das Gewissen eines schöpferischen Menschen konnte sich nicht damit abfinden, dass diese Erleuchteten – kluge Männer – mit einfachen Sündern in einen Topf geworfen und zu körperlichen Qualen verurteilt würden. Und Dante ersann für sie einen besonderen Platz in der Hölle. …»
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