Einige Jahre nach dem 1968er-Jubiläum (siehe Repressive Toleranz, Die Asche des Abendlandes, Drei Generationen, Kulturrevolution in Deutschland) las ich die dicht gedrängte, in elegantem Deutsch verfasste, auf die historischen Ereignisse der einzelnen Schauplätzen fokussierte, mit zahllosem Archivmaterial unterfütterte Monografie “1968” von Norbert Frei.
Frei schreibt bezüglich Realitätsbezug von Horkheimers und Adornos Schriften (93):
Nüchtern betrachtet, war die Kritische Theorie, wie Max Horkheimer und Theodor Adorno sie in den fünfziger Jahren (noch ohne großes K) vertraten, als Anleitung einer radikalen Praxis nicht zu gebrauchen. Wer die Arbeiten der beiden aus der Kriegszeit im amerikanischen Exil studierte oder auch nur ihre aktuelle Politikberatung und die empirisch-tüchtige Auftragsforschung des Frankfurter Instituts zur Kenntnis nahm, der konnte kaum entgehen, dass nichts davon auf revolutionäres Handeln zielte. Die Diskrepanz zwischen der Radikalität ihrer Kapitalismus- und Faschismuskritik aus den frühen dreißiger Jahren und ihrer späteren, dem »universalen Verblendungszusammenhang« der modernen Bewusstseins- und Kulturindustrien geschuldeten » Negativen Dialektik« war eigentlich unübersehbar, ebenso aber auch ihre über alle theoretische Ausweglosigkeit hinweg (»Es gibt kein richtiges Leben im falschen. «) stets vorhandene Bereitschaft, sich für das Gelingen einer »bürgerlichen Demokratien in Westdeutschland praktisch zu verwenden. Das Risiko des Scheiterns blieb den Zurückgekommenen indes zeitlebens bewusst. Anfang der Sechziger, nach einem Jahrzehnt des herausgehobenen universitären und öffentlichen Wirkens, schien es vor allem Horkheimer, aber auch Adorno, als mehrten sich die Menetekel gar.