Bavinck-Forscher unterhalten sich über den Lernertrag ihrer Lektüre bezüglich Bibelverständnis. Sie sehen ein stark entwickeltes Bewusstsein für Tradition und Standort innerhalb der Kirchen- und Dogmengeschichte, für die Betonungen ihrer Zeit und die damit einhergehende Standort-Gebundenheit, für die Gefahr eines historischen Relativismus und die Notwendigkeit, die Bibel möglichst mit den Augen der ersten Leser zu sehen.
Zunächst ist da das Bewusstsein vorhanden, dass die Kirche im Lauf ihrer Geschichte klar definierte Inhalte bekannt hat:
(Minute 5) Wenn man die Bibel im Licht dessen liest, was die Kirche über all die Jahrhunderte hinweg bekannt hat, spielt das eine große Rolle dabei, ob man bereit ist, einige der Prinzipien herauszuarbeiten, die wir in der Tradition festgelegt haben oder nicht.
Gleichzeitig gibt es unterschiedliche Betonungen der einzelnen Bekenntnisschriften:
(Minute 6) Der Heidelberger Katechismus beginnt nicht mit Beweistexten oder irgendwelchen vernunftbasierten Argumenten, warum man die Heilige Schrift annehmen sollte. Stattdessen beginnt er existentiell mit dem, was dein einziger Trost im Leben und im Tod ausmacht.
Es ist das heilige Evangelium, und wenn man seine Schuld vor Gott sieht und Gottes Gnade für einen in Christus, dann ist das Evangelium absolut zwingend und die einzige Hoffnung.
Das Bewusstsein Kinder ihrer Zeit zu sein, war für Männer wie Kuyper und Bavinck prägend:
(Minute 7) Für jemanden wie Herman Bavinck ist das Argument, dass niemand die Bibel aus dem Nichts heraus liest… es gibt eine Ehrlichkeit und Offenheit und Transparenz in Bezug darauf, wo und aus welcher Perspektive sie die Bibel lesen. Offen und transparent auch in Bezug auf die Priorisierung der Voraussetzungen und auch offen und transparent in Bezug auf das Lesen der Bibel als Kinder ihrer Zeit.
Auf der anderen Seite ist das Bewusstsein, zu rasch in einen historischen Relativismus abzugleiten, stets vor Augen:
(Minute 8)… wie können wir verhindern, dass das Ganze in einen historischen Relativismus ausartet, in dem es überhaupt keine wahre Lesart der Bibel gibt?
Wir bejahen, dass wir die Bibel mit all den Besonderheiten unseres kulturellen Standorts und unserer Endlichkeit lesen, aber wir haben auch einen Blick dafür, dass es in der Lektüre eine Wahrheit gibt, die über diesen Standort hinausgeht.
Der Startpunkt sollte die Bedeutung des Textes für die ersten Leser sein
So denke ich, dass eines der Dinge, die ich von der niederländisch-reformierten Tradition über das Lesen der Bibel gelernt habe, und eine der Arten, wie es mir wirklich geholfen hat oder wie ich über das Predigen nachdenke, ist, dass ich das Gefühl habe, dass die neocalvinistische Tradition oft mit der Betonung auf der Frage begonnen hat: Was hat der ursprüngliche Autor in seinem ursprünglichen Kontext gesehen?