Nancy Pearcey begleitet mich seit Jahren (siehe dieser zusammenfassende Beitrag). Ich freute mich sehr, dass sie kürzlich in der Schweiz an der Culture Shift-Konferenz sprach. Hier sind meine Notizen aus dem ersten Vortrag:
Viele Christen haben eine säkulare Sicht von Wahrheit übernommen.
- In der Vergangenheit gingen die Menschen von einer integrierten natürlichen und geistlichen Ordnung in einem Kosmos aus.
- Nach der wissenschaftlichen Revolution kippte diese Grundhaltung. Es gab nur noch eine zuverlässige Quelle der Wahrheit – empirisch überprüfbare Fakten.
- Heute besteht ein Fakten-/Werte-Split, in der Metapher ein zweistöckiges Gebäude der Wahrheit: Wissenschaftliche, messbare, öffentliche zugängliche Fakten auf der unteren Etage und private, individuelle, relativistische Werte auf der oberen.
- Die Studenten kommen aus dem Studium und haben diese Zweiteilung internalisiert.
- Eine christliche Perspektive auf Politik oder Pädagogik in der Öffentlichkeit zu werfen, wird deshalb auf dem Marktplatz der Meinungen zurückgewiesen: Der erste Stock hat im Parterre nichts zu suchen.
- Religion ist wie ein Roman: Sie kann Vergnügen bereiten und Sinn machen, auch wenn sie nicht wahr ist. Die Überzeugungen sind willkürlich, geschaffen für die emotionalen Bedürfnisse.
- Die eine Seite (die säkulare Leitreligion) verfügt über die Fakten, das Christentum über Vorurteile.
- Das säkulare Verständnis von Werten legt den Schwerpunkt auf die Tätigkeit: Was eine bestimmte Gruppe bevorzugt.
- Die Fakten werden die Werte sowieso übertrumpfen; es sind private Emotionen, so teuer sie dem Einzelnen erscheinen und er beteuert, diese doch zu respektieren.
- Das Herz für die Religion, das Gehirn für die Wissenschaft – wie sollen Christen lernen ihren Gott mit ihrem ganzen Verstand zu lieben?
- Fazit: Bevor wir uns der Wahrheitsfrage bezüglich Christentum zuwenden, müssen wir die Frage nach der Wahrheit an sich klären.
Beispiele der Auswirkung dieses zweigeteilten Denkens bei bekennenden Christen
- Student: Evolutionslehre beeinflusst den Glauben nicht – weil der Glaube nichts mit Verstand zu tun hat.
- In einem Magazin schreiben College-Studenten über Glaubenserfahrungen, auf der nächsten Seite über sexuelle Erfahrungen. Das eine ist unverbunden mit dem anderen.
- Bekehrungserfahrung im mittleren Leben; doch: in einem christlichen Dienst nutzte er statistische Tricks, um Spenden zu sammeln.
- Fazit: Viele haben keine Idee, wie sie den Glauben auf verschiedene Felder ihres Lebens anwenden können. Warum sollte ein Glaube interessieren, der keinen Einfluss auf 9 Zehntel unseres Lebens hat?
Josh McDowell (* 1939) bemerkte einen deutlichen Wandel in den Fragen der Studenten. Während früher nach Evidenz für die Gottheit Jesu oder seine Auferstehung gefragt wurde, sind solche Fragen völlig von der Bildfläche verschwunden. Das Christentum ist in der oberen Etage untergebracht. Deshalb lautet eine aktuelle Frage der Studenten: Wie kann der christliche Glaube mir etwas über mein Sexualleben vorschreiben?
Christliche Weltanschauung meint: Es gibt keine Zweiteilung. Wahrheit ist immer noch ganzheitlich und integrativ. Wir müssen mit der Lehre der Schöpfung beginnen. Die erste Ansprache Gottes an den Menschen war sein Auftrag an sie: Das kulturelle Mandat. Das ist ihr “Purpose” – er hat mit dem Sündenfall nicht aufgehört. Wir warten nicht nur auf die nächste Welt!
Das Christentum ist in vielen Weltteilen auf den Vormarsch, etwa in Afrika. Auch dort gilt: Zwar wird den Menschen gelehrt, dass sie ihre Sünden bekennen sollen; doch wie hängt dies damit zusammen, eine gerechte Nation zu bauen? Menschen beten, um nachher den lokalen Schamanen aufzusuchen. Es geht um Seelenrettung, nicht um das gesamte Leben. “Wenn wir ein neues Afrika wollen, brauchen wir eine neue Form des Christentums.”