Vortrag: Warum ich meine Meinung über das Christentum geändert habe

Ich habe mir den bewegenden Vortrag “Why I changed my mind about Christianity” des Historikers Tom Holland (* 1968) angehört. Er zeichnet darin seinen persönlichen, lebenslänglichen Weg weg vom Christentum und dann zurück auf.

(Minute 12) In gewisser Weise war das Beunruhigendste an Rom und Sparta, dass niemand in unserer Gesellschaft ihre Moral und ihre Werte überhaupt beunruhigend fand. Wenn sie grausam waren, wenn sie gefühllos waren, dann war es in gewisser Weise unschuldig gefühllos.

Es war nicht nur in Moral und Ethik, wo mir eine immense Kluft zwischen der Antike und unserem Zeitalter bewusst wurde, sondern auch in den Grundlagen der Sprache, die ich benutzte. …

(Minute 19) Das Römische Reich wie alles menschliche Leben gehört zur Dimension des saeculums. Saeculum bedeutet auf Lateinisch die Spanne des menschlichen Lebens und im weiteren Sinne die Art und Weise, in der Geborene leben, dass sie nämlich im Wesentlichen zum Sterben verurteilt sind. saeculum bedeutet für Augustinus der Fluss der gefallenen Welt, die Art und Weise, in der nichts ewig ist. Dem stellt er die Dimension des Himmels, wo alles strahlend und ewig ist, gegenüber.

Der einzige Weg, auf dem trotz Sündenfall der Menschheit dieser die strahlende Ewigkeit erreichen kann, ist laut Augustinus dank der religio (lat.), dem Band, das die Kirche und damit die lateinischsprachige Welt zur Verfügung stellt.

Dies steht für die Art und Weise, wie die Christen in der lateinischen Welt den Gegensatz zur griechischsprachigen Welt verstehen, nämlich wie die Gesellschaft geordnet sein sollte. Mit dem Aufkommen der Reformation und in der modernen Welt wird dieses Gefühl, dass es zwei Dimensionen gibt, dass es etwas gibt, das man das Säkulare und etwas, das man Religiöse nennt, prägend. Dass diese beiden Dimensionen getrennt sind, wie die Menschen im modernen Westen die Welt verstehen, ist grundlegend.

Ich begann mich zu fragen: Wenn unsere Moral so unterschiedlich ist, wenn unsere Werte so unterschiedlich sind und die Art und Weise, wie wir die Gesellschaft verstehen, so anders ist, was war dann die volle Wirkung des Christentums? Wie tiefgreifend war dieser Prozess der Veränderung! Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass es sich tatsächlich um die tiefgreifendste Revolution nicht nur des europäischen Weltbildes, sondern – bewirkt durch die weltweite Verbreitung der Reformation – um eine globale Revolution schlechthin handelte. 

(Minute 29) Der allmächtige, alles schaffende, allwissende Gott kam nicht als Eroberer, sondern als jemand, der den grausamsten Tod erlitt, den das Römische Reich ihm zufügen konnte. …  Die Kreuzigung der Römer war eine so monströse und entsetzliche Bestrafung, dass sie als Macht des dramatischen Schicksals angesehen wurde, die nicht nur für Rebellen gegen die römische Macht, sondern speziell für Sklaven eingesetzt wurde. …  Es war so schmerzhaft, nicht nur weil es sich in die Länge zog, sondern weil es öffentlich war und die Leiden und Erniedrigungen für alle sichtbar waren. Die Gekreuzigten wurden genagelt, gefesselt und an einem Stück Holz aufgehängt. Die Menschen versammelten sich und sahen zu. 

Vögel schwärmten um deinen sterbenden Körper, pickten vielleicht deine Augen aus, vielleicht griffen sie deine Genitalien an. Der Gekreuzigte trug keinen Lendenschurz, er war nackt. Die Zuschauer würden beobachten, wie er nach nach Luft schnappend auf und ab wogte, bis er schließlich starb. … Wenn Paulus an die Korinther davon schrieb, dass Christus gekreuzigt wurde, dann war dies tatsächlich ein Stein des Anstosses für die Römische Welt.