Sehr ehrlicher Bericht des begabten Auslegers und Musikers Rudi Tissen:
Leidende Herzen sind unfassbar anfällig für Versuchung. Blutende Seelen können unglaublich schnell offen dafür sein, Grenzen zu verschieben, um zu bekommen, was man sich so sehr wünscht.
… real erlebter Schmerz kann dazu führen, dass zwischen Wissen und Empfinden ein Graben entsteht, der immer wieder ganz bewusst durch die Erinnerung an die Zusagen Gottes geschlossen werden muss.
… Mit den Jahren, die ins Land gingen, kam dann eine andere Frage immer häufiger auf: Warum gerade wir? Ja, mein Herz neigte sogar regelmäßig dazu, diese Frage zu einer Anklage Gott gegenüber zu machen.
So war die Zeit des Wartens für uns als Ehepaar eine Zeit, in der unsere Herzen zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin- und hergerissen wurden. Manchmal waren wir voller Hoffnung, dass der Gott, der das Nichtseiende ruft, als sei es da, uns doch noch ein Kind schenkt. Dann saßen wir wieder weinend und verzweifelt auf dem Boden unseres Wohnzimmers.
Ich durfte in dieser Zeit lernen, dass Klage fester Bestandteil christlicher Frömmigkeit, ja Ausdruck echten Glaubens ist. Ich darf vor Gott weinen – über den Zustand und das Elend einer gefallenen Welt und auch über das Leid in meinem persönlichen Leben. Ja, ich darf es nicht nur – ich brauche das. Mein Herz braucht es, weil es sich in der Klage an den wendet, dessen Trost allein groß genug ist, um Wunden zu heilen und Schmerz zu lindern. Meine Seele braucht an Gott gerichtete Klage, weil sie dort entdecken und zu empfinden lernen darf, dass nichts im Himmel und auf der Erde (auch kein Kind) mir das Glück schenken kann, das er mir gibt (siehe z.B. Ps 73).