Xu Ximian (University of Edinburgh) umreisst in dessen Dissertation “Theology as the Science of God” Bavincks Verständnis von Theologie als (eigener) Wissenschaft in Abgrenzung zur (vergleichenden) Religionswissenschaft (Auszüge S. 80-93):
Eigenständiger Charakter
Die wissenschaftliche Theologie ist eine besondere Art von wetenschap (Wissenschaft). Theologie und die anderen Wissenschaften sind verwandt (congeneric). Die Parallele zwischen der Theologie und den anderen Wissenschaften bestärkte Bavinck in dessen Widerstand gegen die Ersetzung der Theologie durch die Religionswissenschaft an den niederländischen Universitäten seiner Zeit. Diese Parallele weisen jeden Versuch, die Theologie den Normen der Naturwissenschaften unterzuordnen, unerbittlich zurück. (80)
Das Endziel der wissenschaftlichen Theologie erinnert wiederum an Bavincks organisches Motiv, das das eindeutige Telos betont. In der Theologie ist das einzige Telos kein anderes als Gott, was sich in „von Gott“, „durch Gott“ und „für Gott“ deutlich zeigt. Diese theozentrische Zielsetzung macht deutlich, dass die wissenschaftliche Theologie nicht nur die Erkenntnis Gottes darlegen soll, sondern auch wesentlich in der Hingabe und im Gotteslob besteht. (89)
Drei entscheidende Faktoren
Bavinck argumentiert, dass die wissenschaftliche Theologie ihren eigenen wirklichen Gegenstand hat, nämlich den Gott, der in seiner Offenbarung erkannt wird. … “Der Gegenstand der Theologie war Gott selbst, wie er sich den Menschen in der Natur und in der Gnade offenbart hatte. Von diesem Prinzip her wurde die ganze Disziplin der Theologie entfaltet und geordnet.“ (zit. „Theologie und Religionswissenschaft,“ trans. Harry Boonstra in Essays on Religion, Science, and Society, 50)
Indem er auf Gott als dem Gegenstand der Theologie besteht, weist Bavinck die Auffassung von Theologie als einer historischen Beschreibung der christlichen Religion bzw. des christlichen Glaubens und der christlichen Lehre zurück, wie sie von Denkern nach Kant und Schleiermacher gemeinhin beschrieben wird. (82)
Bavinck verwendet außerdem das Argument, dass Gott der eigentliche Gegenstand der Theologie ist, um die Unterordnung der Theologie unter die Religionswissenschaft zurückzuweisen. Seiner Ansicht nach geht es in der Religionswissenschaft nicht um die Erkenntnis Gottes, sondern um die Erkenntnis der verschiedenen Religionen aller Völker und aller Zeiten. (ebd.)
Der zweite Faktor der wissenschaftlichen Theologie sind die Annahmen von Gottes Existenz, Selbstoffenbarung und Erkennbarkeit. Keine dieser Hypothesen kann bewiesen, sondern muss als a priori durch den Glauben akzeptiert werden. Indem er auf der Bedeutung von Hypothesen besteht, weist Bavinck die angebliche wissenschaftliche Neutralität bewusst zurück. (84)
Die (p)ositivistische Wissenschaft ist nicht in der Lage, das zu erforschen, was jenseits der menschlichen Sinneswahrnehmung liegt, etwa das Wesen und die Ursache der Dinge. In Anbetracht dieser Unfähigkeit urteilt Bavinck, dass „[p]ositivistische Wissenschaft Raum für alle möglichen angeblichen Kompensationen der Religion lässt, für einen Kult der Menschlichkeit, für eine Verehrung toter Geister, für einen Altar des unerkannten Gottes, sogar für einen Gottesdienst des Satans“ (zit. Christian Worldview, 24).
Bavinck besteht darauf, dass die Heilige Schrift, in der sich Gott geoffenbart hat, das einzige principium externum der Theologie ist, und die gläubige Vernunft das einzige principium internum. (siehe RD 1,88).
In Bezug auf die theologische Methode ist der Glaube das subjektive Organ im Menschen, der sich die objektive Offenbarung Gottes aneignet. (86)
Der dritte entscheidende Faktor der wissenschaftlichen Theologie ist, dass sie „von einem hochbedeutsamen Dogma ausgeht“, was bedeutet, dass sie mit ihrem Gegenstand, Gott, verbunden ist. Der dritte Faktor steht in engem Zusammenhang mit den beiden vorhergehenden. Wenn Gott der eigentliche Gegenstand der Theologie ist und wenn Gottes Existenz, Selbstoffenbarung und Wissbarkeit im Glauben vorausgesetzt werden, muss das gesamte Projekt der wissenschaftlichen Theologie auf Gott beruhen. (87)
Drei vorrangige Aufgaben
Erstens soll die wissenschaftliche Theologie ein organisches System der Gotteserkenntnis artikulieren. … ‘System ist das oberste Desiderat aller Wissenschaft. … Auch für die Theologie ist das oberste Desiderat die Einheit der Wahrheit, das System der Gotteserkenntnis.“ (90, zit. RD I,618)
Die zweite Aufgabe der Wissenschaft von Gott ist es, der Kirche zu dienen. Dies entspricht dem sozialen Charakter des Dogmas, das heißt, dass das Dogma mit der Kirche und ihrem Bekenntnis verbunden ist. (91)
Die dritte Aufgabe der wissenschaftlichen Theologie besteht darin, das Volk Gottes zur Verherrlichung und Anbetung Gottes zu führen. Diese Aufgabe ist freilich von Gott als dem Gegenstand der wissenschaftlichen Theologie und ihrem doxologischen Telos bestimmt. (92)
Diese drei Hauptaufgaben der Theologie sind durch und durch theozentrisch.
Die Theologie wird von einer inneren Sehnsucht getrieben, alle Worte und Taten Gottes zu betrachten, ihren Zusammenhang zu erkennen und sie alle zusammen auf das göttliche Wesen zurückzuführen, das Ursprung und Ziel aller Dinge ist. Theologisch gesehen ist es also vom Anfang bis zum Ende von Gott ausgehend und zu ihm zurückführend. Sie hat keine Ruhe, bis sie in Ihm Ruhe gefunden hat. (zit. Religion und Theologie, 125)