Zitat: Treffende Charakterisierung von Wokeness

Wokeness ist dieser Tage als Kampfbegriff in aller Munde. Viel wichtiger als Schlagwörter ist die Auseinandersetzung mit der säkularen und der christlichen Weltsicht. Bisher profitierte ich bei der Erarbeitung von “Der neue Kulturkampf: Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht” (Susanne Schröter, Ethnologin); “Zynische Theorien: Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt – und warum das niemandem nützt” (James Lindsay; Helen Pluckrose); “Fire in the Streets: How You Can Confidently Respond to Incendiary Cultural Topics” (Douglas Groothuis); “Schäm dich!: Wie Ideologinnen und Ideologen bestimmen, was gut und böse ist” (Judith Sevinç Basad).

Neu höre und lese ich parallel “Woke: Psychologie eines Kulturkampfs” (Esther Bockwyt). Die Verbindung zu und Weiterentwicklung von postmodernen Theorien wird gut verständlich nachgezeichnet (hier S. 16f):

Die postmodernen Entwicklungen hingegen brechen mit einigen dieser Werte. Grundlegend in dieser Philosophie sind die Annahmen von Relativismus und Sozialkonstruktivismus, also die Annahmen, dass Realität immer auch anders erzählt werden könne und dass Realität sozial konstruiert wird. Und zwar dadurch, wie Menschen sozial miteinander interagieren, und über die Geschichten, die Menschen über die Wirklichkeit erzählten. Diese Geschichten bilden ein jeweiliges Narrativ und seien allein durch existierende Machtverhältnisse bestimmt. Alles sei nur eine Erzählung, die mit anderen Erzählungen, also Sichtweisen, konkurriere. Zwei mal zwei muss nicht vier sein, es kann auch, je nach Umständen, fünf oder irgendetwas anderes sein. Wem diese Gedankenwelt bekannt erscheinen mag, könnte auf Einstein kommen, nach dem, so meint man, alles relativ war. Fortgesetzt könnte diese populäre Annahme so lauten: Es gibt keine absolute Wahrheit, alles hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Von hier aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt bis zum Credo der Postmoderne, dass nichts wahr ist. Während aber in Einsteins Relativitätstheorie tatsächlich nicht alles relativ verstanden war, findet sich in der Postmoderne ein radikaler Skeptizismus gegenüber jeder Realität, der alles – außer eben die grundlegenden postulierten Machtverhältnisse – infrage stellt. Hieraus folgt auch, dass zwischen unterschiedlichen Kulturen gegenseitige Verständigungsschwierigkeiten bestehen, jede Kultur hat schließlich ihre eigene Realität. Über die Sprache werde nämlich Realität erzeugt und daher sei alles anhand der Sprache erkennbar (und kontrollierbar). Wenn man die Sprache kontrollierte, könne man auch die Realität kontrollieren. Die postmoderne Methode hierfür ist die Diskursanalyse. …

Während ursprünglich jegliche Objektivität und Wahrheit negiert wurde, findet sich im angewandten postmodernen Prinzip ein Bruch mit der radikalen Konsequenz der ursprünglichen Philosophie. Nämlich dahingehend, dass man die spezifische und willkürliche Einschränkung des Prinzips vornimmt, in der Annahme, neben den Machtverhältnissen und der Unterdrückung bestimmter Gruppen sei auch die Identität des Menschen real. Diese Annahmen bereiten schließlich den Boden für identitätsideologische sowie politische Glaubenssätze und Forderungen.

Wie zeigt sich diese Herangehensweise beispielsweise zum Thema Rassismus?

Der woke Antirassismus bekämpft … nicht mehr einen Rassismus, wie er seit eh und je verstanden wurde, nämlich als systematische Einteilung von Menschen nach Rassen und als Ausgrenzung wie Abwertung des Fremden und Anderen, sondern fördert gar die Einteilung von Menschen nach deren Herkunft, betont damit Unterschiede zwischen Ethnien und führt letztlich eher zur Trennung als zur Vereinigung und Verständigung. Der Einwand, man fände im woken Antirassismus gar einen Rassismus gegen Weiße, wird indes abgeschmettert, einen solchen gebe es nicht, könne es nicht geben. (42)

… Verfechter der Wokeness argumentieren also, dass unbewusste rassistische Stereotype in allen weißen Menschen oder eben in deren System verankert seien und bewusst gemacht werden müssten. Diese Stereotype führten dann zu den strukturellen und ständig reproduzierten (wiederholten) Diskriminierungen und Rassismen in jeder Faser der Gesellschaft. Diese Annahmen beruhen also nicht mehr auf empirischen Daten, sondern auf Vorstellungen, auf Glauben. Doch unbewusste Stereotype an sich sind zum einen schwer valide zu erforschen, zum anderen an sich ungefährlich und keinesfalls zwangsläufig mit gefährlichen Vorurteilen und Diskriminierungen verbunden. (41)

Oder auch zum Thema Geschlechter:

(Durch die Bemühungen des Feminismus aufgelockerte) Geschlechtsrollen reicht einigen Gender-Aktivisten und manchen Feministinnen der neuen Welle nicht aus. Sie sind der Meinung, dass alle Eigenschaften, die Menschen als männlich oder weiblich wahrnehmen und kategorisieren, abgeschafft werden müssen. In der Folge soll es dann irgendwann keine unterschiedlichen Geschlechter mehr geben. Das vermeintliche Konstrukt Geschlecht müsse überwunden werden. Sexismus gilt ihnen heute nicht mehr als Ungleichbehandlung, sondern als Ungleichheit. Frauen und Männer sollen nicht mehr nur gleiche Rechte haben, sondern fluide oder am Ende gleich sein. Entsprechend werden auch sämtliche (evolutions-) biologisch und psychologisch bedingten realen Unterschiede in geschlechtstypischem Erleben und Verhalten zwischen Männern und Frauen, zwischen Jungen und Mädchen negiert, abgestritten. Ebenso wie in der woken Antirassismusbewegung wird eindimensional davon ausgegangen, dass alle bestehenden Unterschiede im Fühlen, Denken und Verhalten zwischen Männern und Frauen nur sozial konstruiert sind. Man nennt dieses Weltbild deshalb auch den »sozialen Konstruktivismus«, der allen woken Inhalten zugrunde liegt. Alles, was diese sogenannten geschlechtstypischen Stereotype reproduziere, wird abgelehnt. (49f)