Wie sollen wir das Buch Prediger verstehen und auf die heutige Zeit anwenden? Was ist der hermeneutische Schlüssel? Jürgen-Burkhart Klautke arbeitet dies gekonnt heraus (in “Neuausrichtung des Lebens – nicht nur nach der Urlaubszeit”):
Vom Ende des Buches her wollen wir versuchen, die Botschaft dieses Bibelbuches zu verstehen. Wir werden sehen: Salomo beabsichtigt keineswegs, uns in eine depressive oder schwermütige Stimmung zu versetzen. Im Gegenteil: Es geht ihm darum, aufzuzeigen, was in dieser Welt ein Leben kennzeichnet, das es wert ist gelebt zu werden. Er beantwortet die Frage: Was ist die Quintessenz eines guten Lebens? Seine Antwort sei gleich vorweggenommen: Fürchte Gott, und halte seine Gebote (Pred. 12,13).
Zunächst ist die Bedeutung des Begriffs “Nichtigkeit” wegweisend:
Wir können den Begriff auch übersetzen mit: Sinnlosigkeit oder mit Hohlheit, Leere. Das Wort, das hier im Hebräischen steht, kann sogar konkret gegenständlich verstanden werden. Dann meint es so viel wie Dunst oder Nebel. Salomo verkündet hier also durch den Heiligen Geist: In dieser Welt ist alles nichtig, sinnlos, und unser Leben ist in vieler Hinsicht unklar, dunstig, in Nebel gehüllt.
Wenn in Prediger 12,8 von Nichtigkeit der Nichtigkeiten gesprochen wird, dann ist das als Superlativ zu verstehen. Denken wir zum Vergleich an den Ausdruck König der Könige. Das meint so viel wie höchster König. Salomo verkündet hier also: Diese Welt ist von einem abgrundtiefen, alles bestimmenden Nichts durchzogen. Was uns in dieser Welt umgibt, ist unter der Sonne betrachtet totale Leere, Sinnlosigkeit, Nichtigkeit.
Das gilt auch für unser Erkennen. Es gilt für all das, was wir uns einbilden, über diese Welt und über unser Leben zu wissen. In Wahrheit ist alles Dunst. In Wahrheit ist all unsere Wissenschaft nichts anderes als ein Herumstochern im Nebel.
In den beiden ersten Kapiteln gewährt Salomo einen Streifzug durch seine Erkundungen dem Leben Sinn abzugewinnen:
Hören wir einmal, womit er so alles experimentiert hat. Er begann zunächst mit einer Lebensführung, in der die intellektuelle Arbeit im Vordergrund stand: Philosophie, Wissenschaft, Weisheitssuche. … In der Regel verfolgt unser geistiges Arbeiten die Absicht, diese Welt, oder zumindest Aspekte dieser Welt in ihren Zusammenhängen zu durchschauen, zu erfassen, zu vermessen, zu strukturieren, zu kategorisieren, zu ordnen. Aber nachdem Salomo das eine Weile gemacht hat, erkennt er: Das alles war und ist ein Haschen nach Wind. Es ist wie Staubwischen in der Wüste. … Dann ist noch ein zweiter Lebensentwurf vorstellbar. Man sucht seinen Lebensinhalt im Vergnügen. … Irgendwann ist jede Genusssucht ausgereizt, jede Party besucht, jedes scheinbare Vergnügen ausgekostet. Und dann kommt die Katerstimmung. Schließlich erörtert der König noch eine dritte Möglichkeit: Salomo macht sich zum workaholic. Er stürzt sich gleich in mehrere Arbeits-Projekte. Auf diese Weise, also durch seine übermäßige Leistung hofft er zu Reichtum zu gelangen, um dadurch vor anderen glänzen zu können, also von ihnen Anerkennung und Beifall zu erhalten.
Doch dann erblickt Salomo ein wunderbares Geschenk: Das Leben “unter dem Blickwinkel der Ewigkeit”:
Salomo legt seinen Finger darauf, dass im Grunde überhaupt nur derjenige in der Lage ist, diese Schöpfung wahrhaftig zu genießen, der Gott kennt. Allein derjenige, der von der Ewigkeit weiß, kann sich an der Zeitlichkeit dieser Welt erfreuen. Die anderen müssen diese Welt im Rausch erjagen und im Nebel ertragen. … Es ist ein riesiger Unterschied, ob wir auf die irdischen Dinge fixiert sind, ob wir sie als Letztwert begreifen oder ob wir sie als Geschenk Gottes an uns erfassen dürfen. … Dann erleben wir im Glauben unsere Umwelt als Gabe Gottes: unser Sitzen vor dem Computer, unsere Hausarbeit, unser Ausspannen im Urlaub und auch die hohen Leistungsvorgaben, die uns heutzutage an unserem Arbeitsplatz im Betrieb abverlangt werden. Denn wir machen das alles dann nicht, um auf diese Weise unsere eigene Identität herzustellen, sondern wir empfangen diese verschiedenen Möglichkeiten als Geschenke, als Gaben Gottes an uns.
Das kann dann zum Beispiel heissen:
Am guten Tag sei guter Dinge, und am bösen Tag bedenke: Auch diesen hat Gott gemacht gleichwie jenen – wie ja der Mensch auch gar nicht herausfinden kann, was nach ihm kommt (Pred. 7,14). Weil wir nicht wissen, was die Zukunft bringt, wissen wir im Grunde auch nicht, was ein guter Tag für uns ist und was ein böser Tag ist. Haben wir es noch nie registrieren müssen: Das, was sich uns zunächst als positiv darstellte, erwies sich nach einem gewissen zeitlichen Abstand als negativ? Und umgekehrt.
Gleichzeitig gilt:
Dass unser Leben nicht berechenbar ist, veranschaulicht Salomo einmal an einer Beobachtung: Ich wandte mich um und sah unter der Sonne, dass nicht die Schnellen den Wettlauf gewinnen, noch die Starken die Schlacht, dass nicht die Weisen das Brot erlangen, auch nicht die Verständigen den Reichtum, noch die Erfahrenen Gunst. Denn sie sind alle von Zeit und Umständen abhängig (Pred. 9,11). … Du musst noch nicht einmal dein eigenes Leben in all seinen Um- und Irrwegen begreifen. … Wenn wir erkannt haben, dass diese Welt, dass unser Leben von Gott geführt, getragen und gehalten wird, dann dürfen wir den heutigen Tag „pflücken“ und auch den morgigen Tag