Gelernt: Dieser Aufsatz half mir, mein methodisches Vorgehen – in der Treue zu Gottes Wort – zu schärfen und gleichzeitig Anschauungsunterricht zu bekommen, wie ein Theologe sich in einem hermeneutisch strittigen Terrain Rechenschaft über seine eigene Position abgibt.
Fragestellung herausarbeiten
- Es geht bei der Diskussion über Schöpfung und Evolution um die Spannung zwischen dem Zeugnis der Genesis und der Rekonstruktion der Vorgeschichte auf der Grundlage naturwissenschaftlicher Daten.
- Kann die Kenntnis der Natur und der Geschichte die Auslegung der Heiligen Schrift beeinflussen?
- Dürfen Texte, die von der Erschaffung der Welt und des Menschen zeugen, anders interpretiert werden, als es die grammatikalische und historische Lesart der Genesis nahelegt, weil diese Lesart dem aktuellen Stand der Naturwissenschaft und der darauf basierenden Rekonstruktion der Vorgeschichte widerspricht?
Wir stehen auf den Schultern anderer: Position der Reformatoren
- Luther: Er unterscheidet zwischen der äußeren Klarheit der Schrift und der claritas interna, die den durch den Geist Erleuchteten vorbehalten ist (“traue dem Heiligen Geist zu, dass er gelehrter ist als du“); wendet sich gegen die Willkür allegorischer Auslegung. Für ihn ist stets die reine Gnade, die wir allein durch den Glauben empfangen, der hermeneutische Schlüssel zur Schriftauslegung
- Calvin: Er stellt die Klarheit der Schrift der relativen Unklarheit der Gotteserkenntnis der Natur gegenüber. Die Heilsbotschaft ist klar, die unklaren Texte sollten aus den klaren erklärt werden und nicht umgekehrt.
Methodik bei der Rekonstruktion der Profangeschichte
- Die Rekonstruktion der Vorgeschichte in der Schöpfungs- und Evolutionsdebatte stellt sich oft als Naturwissenschaft dar, während sie eigentlich eine Form der Geschichtsschreibung ist.
- Historisches Quellenwissen über die Weltgeschichte und offenbarungsbasiertes Wissen über die Heilsgeschichte kollidieren größtenteils nicht, weil sie sich nicht überschneiden.
- In den meisten Fällen von Spannungen (Darius in Daniel; Volkszählung bei Christi Geburt; Auszug aus Ägypten) ist eine Harmonisierung nicht unmöglich, auch wenn die vorgeschlagenen Lösungen manchmal etwas konstruiert sind. Manchmal muss einfach eine Entscheidung getroffen werden.
- Epistemologisches Argument: Manchmal können unsere Exegese und unsere naturwissenschaftliche Wahrnehmung trügerisch sein, aber das bedeutet nicht, dass das gewöhnliche historisch-grammatische Lesen der Bibel und die gewöhnliche Sinneswahrnehmung notwendigerweise unzuverlässig sind.
Eingrenzung der Thematik
- Die auf naturwissenschaftlichen Daten basierenden historischen Behauptungen zur Vorgeschichte beziehen sich auf a) das hohe Alter des Kosmos, b) die Existenz eines Zyklus von Leben und Tod in der Tierwelt vor dem Aufkommen des Homo sapiens, c) die evolutionäre Kohärenz allen Lebens und d) die natürliche Selektion als Antriebsmechanismus der Evolution.
- Die Behauptung a), dass etwas stattgefunden hat, ist eine andere als die Behauptung b) bezüglich der Umstände. Der Nachweis c) der Kausalität ist noch schwieriger, ganz zu schweigen von d) dem Nachweis einer inneren Motivation.
Positionsbestimmung
- Ebene a: Die Behauptung steht zwar fest, ist aber immer noch recht bescheiden, denn es geht nur um die Tatsache, dass der Kosmos seit Millionen von Jahren existiert. Der Konflikt mit den biblischen Daten betrifft hauptsächlich die Berechnung des Schöpfungszeitpunkts auf der Grundlage von Geschlechtsregistern.
- Ebene b: Die Behauptung für diese zweite Ebene ist ebenfalls recht bescheiden: Der Zyklus von Tod und Leben im Pflanzen- und Tierreich ist um ein Vielfaches älter als die menschliche Geschichte. Diese Behauptung steht im Widerspruch zu dem Glauben, dass Leiden und Tod erst durch den Sündenfall der ersten Menschen in die Schöpfung gekommen sind.
- Umkehr von a) und b) Die (vorhandenen) Daten für diese ersten beiden Schichten sind so überzeugend, dass die Alternative des Jungerde-Kreationismus einen Paradigmenwechsel erfordert, bei dem alle Daten unter der Prämisse neu interpretiert werden.
- Ebene c) und d): Sobald sie von der Beschreibung von Fossilien in der geologischen Spalte zur chronologischen Interpretation dieser Fossilien übergehen, bewegen sie sich in einem anderen Wissenschaftszweig und müssen ihre historiographischen Behauptungen mit der von den Regeln der Geschichtswissenschaft geforderten Vorsicht präsentieren.
Eigene Beurteilung
- Die “Historizität” von vier heilsgeschichtlichen Momenten unübersehbar: die gute Erschaffung der Welt, der unvorbereitete Ausbruch des Bösen in dieser Schöpfung – gewöhnlich als Sündenfall der Engel bezeichnet -, die Erschaffung des Menschen und der Sündenfall. Der Autor hält die Ebenen a) und b) in diesem Rahmen für vertretbar.
- Die Ebene a) kann ich nachvollziehen. Für die junge Erde gilt es dieses Argument mitzubedenken: Die moderne Naturwissenschaft und die theologische Hermeneutik, die diese Erkenntnisse einbezieht, dürfen nicht zu einer ungesunden Abhängigkeit von der Autorität von Experten führen, seien es Jungerdekreationisten oder Befürworter der theistischen Evolution.
- Dieses Argument für b) ist meines Erachtens nicht schlüssig: Die Existenz eines Zyklus von Leben und Tod in der Pflanzen- und Tierwelt bedeutet, dass das Leiden in der guten Schöpfung vor der Erschaffung und dem Sündenfall des Menschen kam. Theologisch ist dies nicht sehr bedenklich, denn nicht alles Leid in der Welt geht auf das Konto des gefallenen Menschen. Die Schlange war bereits vom Teufel besessen, bevor der Mensch fiel.
Weiterlesen:
- Der Streit um den Anfang (Darstellung/Übersicht der Lösungsansätze)
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