Jahresfazit: Lesen und schreiben – von anderen lernen

Doug Wilson und Andy Naselli unterhalten sich (hier) zum Lesen und Schreiben. Solche Unterhaltungen finde ich sehr lehrreich.

Andy Naselli: Von der Idee zum fertigen Buch

  • Langjährige Vorarbeit
    Andy betont, dass viele seiner Buchprojekte auf jahrelanger Exegese und Lehrtätigkeit basieren. Beispielhaft nennt er sein Predestination-Buch, das 2024 bei Crossway erscheint. Bereits vor der eigentlichen Schreibphase hatte er sich über Jahrzehnte mit den zugrunde liegenden biblischen und theologischen Themen beschäftigt.
  • Planung mit Bibliografien
    Um fundiert zu arbeiten, erstellt Andy zunächst eine umfangreiche Literaturliste, die leicht mehrere hundert Werke umfasst. Er nutzt dafür digitale Hilfsmittel wie Zotero. Aus dieser Gesamtliste filtert er die wichtigsten fünf bis zwanzig Bücher, die er besonders genau liest, bevor er mit dem eigentlichen Schreiben beginnt.
  • Rohentwurf („Datendump“) in Google Docs
    Andy legt eine grobe Gliederung an und schreibt im ersten Schritt möglichst frei und umfassend alles nieder, was er zu den Themen zu sagen hat. In diesem Stadium kümmert er sich kaum um Verweise oder Fußnoten, sondern fokussiert darauf, den Argumentationsfluss in einer rudimentären Form festzuhalten. Dabei entsteht ein erster Entwurf, der später überarbeitet wird.
  • Iterative Überarbeitung und Quellenintegration
    Sobald das Grundgerüst steht, fügt Andy nach und nach Fußnoten hinzu und ergänzt Belege aus seiner Literaturrecherche. Häufig fügt er eine Quelle erst beim zweiten oder dritten Durchgang ein. Dabei kann sich die Kapitelstruktur noch ändern, neue Kapitel kommen hinzu oder werden zusammengelegt. So entsteht Stück für Stück der Hauptteil des Manuskripts.
  • Feedback-Schleife
    Schließlich teilt er das digitale Dokument mit Freunden und Kollegen, die online ihre Kommentare abgeben können. Andy überarbeitet den Text fortlaufend anhand des Feedbacks. Da alles in einem geteilten Google-Dokument passiert, entfällt ein aufwändiges Hin- und Herschicken verschiedener Word-Versionen.

Doug Wilson: Die „zerstückelte“ Methode des Lesens (Leaf Mold of the Mind)

  • Kleine Zeitfenster, große Wirkung
    Doug bevorzugt eine sehr flexible Arbeitsweise. Anstatt sich lange Zeitblöcke freizuschaufeln, nutzt er viele kurze Intervalle von wenigen Minuten, um entweder zu lesen oder zu schreiben. Das kann ein dreiminütiger Weg im Auto sein (als Hörbuch-Zeit) oder eine kurze Pause zwischen zwei Terminen.
  • Tägliches Schreibziel: 100 Wörter
    Eine konkrete Methode ist Dougs „100-Wörter-Regel“: Er setzt sich das bescheidene, aber zuverlässige Ziel, pro Tag mindestens 100 Wörter zu schreiben. Reicht die Inspiration weiter, können es natürlich mehr werden. Doch bereits 100 Wörter am Tag addieren sich über Wochen und Monate zu einer stattlichen Manuskriptlänge.
  • Vielfältige Parallellektüre
    Beim Lesen wendet Doug dasselbe Prinzip an: Er hat mehrere Bücher gleichzeitig offen, sowohl Belletristik (z. B. russische Romane) als auch Sachbücher (beispielsweise Theologie oder Philosophie). An jedem Buch liest er nur ein oder zwei Seiten, bevor er zum nächsten greift. Über die Zeit kommt er so dennoch in jedem Werk kontinuierlich voran.
  • Intuitives Erinnern statt strikter Ordnung
    Doug merkt sich Zitate und Ideen häufig spontan und ohne spezifisches Ablagesystem („Leaf Mold of the Mind“). Vieles speichert sich quasi automatisch ab und „schwimmt“ im richtigen Moment an die Oberfläche. Wenn er etwas genauer belegen möchte, nutzt er die heutigen digitalen Möglichkeiten (etwa Online-Suchen), um das betreffende Zitat schnell zu verifizieren und Fußnoten nachzureichen.
  • Unterbrechungsfreundliches Arbeiten
    Doug ist bewusst jederzeit ansprechbar, beispielsweise für seine Familie oder Gemeindemitglieder. Er kann seine Schreib- und Lesetätigkeit nahezu nahtlos unterbrechen und später fortsetzen. Diese Unterbrechungen stören ihn nach eigener Aussage nicht, weil er gelernt hat, spontan wieder in den Text einzusteigen.