Im Zuge meiner Studien von Handbüchern (Oxford Handbooks, Cambridge Companion sowie Routledge Handbooks) habe ich ein Kapitel über die Beziehungsanbahnung studiert. Besonders interessant sind die Aussagen über Wendepunkte (in The Routledge Handbook of Family Communication, Kapitel 3).
Theorien zu Wendepunkten und Veränderungen in Beziehungen
- Relational Turbulence Theory (Solomon et al., 2016):
- Wendepunkte und Übergänge in Beziehungen führen oft zu Unsicherheiten und Turbulenzen, da Partner ihre Interdependenz neu verhandeln.
- Zentrale Konzepte:
- Relationale Unsicherheit:
- Selbstunsicherheit: Zweifel an der eigenen Rolle oder den Gefühlen in der Beziehung.
- Partnerunsicherheit: Zweifel an der Verlässlichkeit oder den Absichten des Partners.
- Beziehungsunsicherheit: Zweifel am Status oder der Zukunft der Beziehung.
- Interferenz durch den Partner:
- Tritt auf, wenn der Partner alltägliche Routinen oder persönliche Ziele stört (z. B. durch neue Erwartungen oder Anpassungen in der Beziehung).
- Relationale Unsicherheit:
- Folgen relationaler Turbulenzen:
- Verzerrte Wahrnehmungen von Beziehungssituationen.
- Intensivere emotionale Reaktionen und Kommunikationsprobleme.
- Erhöhte Wahrscheinlichkeit für Konflikte oder Missverständnisse.
- Inertia Theory (Stanley et al., 2006):
- Paare können in Beziehungstransitionen “hineinschlittern” (z. B. zusammenziehen, heiraten), ohne bewusst Entscheidungen zu treffen.
- Hauptprobleme:
- Momentum: Fortschreiten der Beziehung basierend auf äußeren Umständen (z. B. gemeinsame Verpflichtungen) anstatt auf emotionaler Bindung oder persönlichem Engagement.
- Konsequenzen:
- Aufbau von Bindungszwängen (z. B. gemeinsamer Besitz, Kinder), die das Verlassen der Beziehung erschweren.
- Gefühl der “Falle” in Beziehungen mit geringer Qualität.
- Beziehungs-Trajektorienmodell (Eastwick et al., 2019):
- Beziehungen entwickeln sich nicht linear, sondern durch Schwankungen, Wendepunkte und individuelle Unterschiede.
- Beziehungen sind geprägt von:
- Form: Geschwindigkeit und Höhe von Fortschritten oder Rückschlägen.
- Fluktuation: Variabilität in der Beziehung (z. B. Zufriedenheit schwankt).
- Schwellenwerten: Mindestanforderungen, um neue Beziehungsschritte zu unternehmen (z. B. Exklusivität, Zusammenziehen).
Empirische Forschung zu Wendepunkten
- Wendepunkte und Unsicherheit:
- Wendepunkte wie das erste Treffen, Zusammenziehen, Verlobung oder Heirat sind entscheidend für die Beziehung, da sie eine Veränderung der Dynamik und Erwartungen mit sich bringen.
- Relationale Unsicherheit:
- Selbstunsicherheit, Partnerunsicherheit und Beziehungsunsicherheit sind voneinander getrennte, aber miteinander verbundene Konstrukte (Knobloch & Solomon, 1999).
- Diese Unsicherheiten können zu Missverständnissen, polarisierten Emotionen und negativer Kommunikation führen.
- Interferenz durch den Partner:
- Wenn Partner in Übergangsphasen neue Rollen oder Erwartungen aneinander entwickeln, können Konflikte oder Frustrationen entstehen.
- Studien zeigen, dass Interferenz zu einer Wahrnehmung von Chaos und Instabilität in der Beziehung führen kann (Monk et al., 2020).
- Sliding vs. Deciding:
- Paare, die wichtige Entscheidungen wie Zusammenziehen oder Heirat ohne bewusste Planung treffen (“Sliding”), erleben oft mehr Konflikte und geringere Beziehungsqualität.
- Studien belegen, dass Paare, die vor der Verlobung zusammenziehen, häufiger eine niedrigere Beziehungsqualität und höhere Scheidungsraten aufweisen (Rhoades et al., 2009).
Implikationen für Beziehungspraxis
- Wendepunkte bieten die Chance für Wachstum oder Verfall in Beziehungen. Partner sollten:
- Bewusste Entscheidungen treffen: Klare Gespräche über Erwartungen, Ziele und den Stand der Beziehung können Unsicherheit und unbewusste Dynamiken reduzieren.
- Kommunikation verbessern: Ehrliche und offene Kommunikation minimiert Missverständnisse und stärkt das Vertrauen.
- Langsam vorgehen: Ein verlangsamtes Fortschreiten durch Wendepunkte ermöglicht eine bessere Reflexion über die Beziehung.