Erzählt: Wie ich Predigten höre

In meiner Gemeinde hielt ich neulich einen Input zum Thema “Wie ich Predigten höre”.

Ich bin seit meiner Kindheit leidenschaftlicher Predigthörer. Ich würde mich selbst als eine Art „Musterhörer“ bezeichnen. Genau deshalb ist mir ein Zitat von C. S. Lewis aus seinem Buch Dienstanweisung an einen Unterteufel so nahegegangen. Er beschreibt dort, wie Menschen mit meinem „Musterprofil“ das beste Potenzial haben, zu sogenannten Predigt-Feinschmeckern zu werden. Und sobald jemand zum Predigt-Feinschmecker wird, hat der Widersacher Gottes nach Lewis schon sein Ziel erreicht, weil sich die Aufmerksamkeit dann auf Nebensächliches richtet, anstatt auf das Wesentliche.

Für mich beginnt das Predigthören allerdings schon vor dem eigentlichen Gottesdienst. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn ich am Dienstagabend durch den Discounter gehe und das Abendessen für den nächsten Tag auswähle, überlege ich mir: „Was habe ich heute schon an Kalorien zu mir genommen?“ und suche sorgfältig nach einem passenden Ausgleich. Dieselbe Haltung zeigt sich auch bei der Smartphone-Nutzung: Ich schaue schnell etwas nach und schalte das Gerät sofort wieder ab, sobald ich gefunden habe, wonach ich gesucht habe. Ich bin also ein selbstbestimmter Konsument, immer darauf getrimmt, mir das herauszupicken, was mir gefällt. Übertragen auf Predigten heißt das: Bietet mir das, was mir dort vorgesetzt wird – sei es geistliche Nahrung oder etwas anderes –, nicht genügend „Kitzel“ und Anregung, dann schalte ich innerlich ab. Oft geschieht das gar nicht bewusst, sondern weil ich es mir im Alltag so angewöhnt habe.

Gerade deshalb beginnt das Predigthören für mich mit einer inneren Haltung. Hier hat mir ein Aufsatz von Dan Doriani sehr geholfen. Er unterscheidet darin drei mögliche Haltungen gegenüber Gottes Wort:

  1. Verächtliche (besserwisserische) Haltung: Man stellt sich über das Wort Gottes und meint, es beurteilen zu können, als stehe man selbst darüber.
  2. Kokettierende Haltung: Man stellt sich neben das Wort Gottes und fragt sich ständig: „Passt mir das jetzt, was hier gesagt wird?“
  3. Demütige Haltung: Man stellt sich bewusst unter das Wort Gottes und erwartet, dass Gott durch sein Wort zu einem sprechen will – ungeachtet der Fragen, wer vorne steht, wie ausgefeilt die Predigt ist oder wie lange sie dauert.

Ich persönlich versuche immer wieder, diese dritte Haltung einzunehmen. Ich bin damit nicht perfekt, aber ich sage mir vor jedem Gottesdienst neu: „Ich möchte mich unter das Wort stellen, weil Gott zu mir reden will.“

Ich habe fünf Söhne. Oft haben sie mich nach der Predigt gefragt: „Papi, wie fandest du die Predigt?“ Mit der Zeit kannten sie meine Antwort, denn ich habe meist zurückgefragt: „Woran machst du denn fest, ob eine Predigt gut war?“ Aus meinen Erfahrungen und Überlegungen dazu sind mir drei Kriterien wichtig geworden:

  1. Die Glaubwürdigkeit: War zu spüren, dass der Prediger wirklich von der Botschaft überzeugt ist? Eine kindliche Wahrnehmung erkennt schnell, wenn die Kraft fehlt – Kinder werden dann unruhig.
  2. Die Texttreue: Stimmt die Botschaft der Predigt tatsächlich mit der Botschaft des biblischen Textes überein? Wird das, was im Text steht, entfaltet, oder stehen Erlebnisse oder Vorlieben des Predigers im Vordergrund?
  3. Das Evangelium im Zentrum: Für mich ist wesentlich, dass nicht irgendein Randthema dominiert, sondern das Evangelium im Mittelpunkt steht.

Damit ich bei einer Predigt nicht „abdrifte“, schreibe ich stets mit – meistens auf dem Laptop. Das hat nichts mit Perfektionismus zu tun, sondern dient meiner Aufmerksamkeit. Ich notiere mir zumindest die Hauptpunkte, einige markante Zitate oder Aussagen und auch Fragen, die mir in den Sinn kommen. Diese Fragen können sich sowohl auf das Gesagte beziehen („Stimmt das wirklich?“) als auch auf mich selbst („Muss ich mich damit noch näher beschäftigen?“). Der Umfang meiner Notizen hängt auch von meiner Tagesform und Müdigkeit ab, aber das Mitschreiben hilft mir sehr, gedanklich dabeizubleiben.

Es gibt einen zentralen Unterschied zwischen dem Hören einer Predigt vor Ort im Gottesdienst und dem Hören über Handy oder im Internet. Wir sind körperliche Wesen, und es reicht nicht, nur digital zuzuhören. Während der Pandemie habe ich das besonders deutlich gespürt: Ich brauche den realen Kontakt, das Miterleben im Raum, selbst den Geruch meiner Sitznachbarn – all das holt mich zurück in die Situation und hält mich wach für das, was in der Predigt gesagt wird.

Tim Keller spricht in seinem Buch über das Predigen von einem „Subtext“ der Predigt. Damit meint er nicht nur den Inhalt, sondern die Gesamtwirkung einer Predigt: Tonfall, Körpersprache, die innere Haltung des Predigers, all das schwingt mit. Genau so gibt es auch einen „Subtext“ des Hörers. In welchem Zustand bin ich? Mit welcher Einstellung komme ich in den Gottesdienst? Das alles beeinflusst, wie ich Gottes Wort aufnehme.

Für die Zeit nach der Predigt habe ich mir angewöhnt, „Schätze zu teilen“. Das kann eine kurze Sprachnachricht an jemanden sein, in der ich erzähle, was mich ermutigt oder angesprochen hat. Oder ich spreche mit der Familie am Tisch noch einmal über das Gehörte: „Was ist euch hängen geblieben?“ Durch dieses Weitergeben verankere ich Überlegungen und lasse andere daran teilhaben.

Ich glaube nicht, dass die Predigt als Mittel „ausgedient“ hat; so wird manchmal behauptet. Sie ist ein zeit- und kulturübergreifendes Mittel Gottes, um seine Botschaft weiterzugeben. Deshalb sage ich mir: „Solange ich kann, höre ich Predigten. Und wenn ich irgendwann nicht mehr aus dem Haus kann, dann lasse ich mich in den Gottesdienst tragen oder finde einen Weg, trotzdem teilzuhaben.“

Das Zuhören von Predigten sehe ich als Teil meines eigenen Heiligungsprozesses. Ich will darin wachsen, sei es durch Gebet für den Prediger, durch bewusstes Ausrichten meines Herzens auf Gottes Wort oder durch das aktive Teilen von dem, was ich empfangen habe. Denn in jedem Gottesdienst geschieht etwas ganz Wichtiges: Gott spricht in besonderer Weise zur Gemeinde.