Im Podcast “A Christian History of Languages” spricht James Eglinton über ein aktuelles Buchprojekt. Er legt – in groben Zügen – beispielhaft dar, wie ein Thema aus christlicher Sicht auf Welt und Leben angegangen werden kann. Hier stichpunktartig seine Gedankenführung:
Warum ist Sprachvielfalt aus theologischer Sicht relevant?
- In der Bibel finden sich drei Offenbarungssprachen (Hebräisch, Aramäisch, Griechisch).
- Turmbau zu Babel (1. Mose 11) → Einführung der Sprachenvielfalt durch Gottes Handeln.
- Pfingsten (Apg 2) → positiver Aspekt der Mehrsprachigkeit.
- Offenbarung 7 → „Aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen“: Es bleibt eine Vielfalt bestehen.
Welche theologischen Grundpositionen zu Sprachen finden wir in der Kirchengeschichte?
- Hierarchische Sicht: Einige Sprachen werden als heiliger/geeigneter angesehen (z.B. Latein oder Hebräisch).
- Translatabilität: Das Evangelium ist in jede Sprache übersetzbar, was grundsätzlich zur Gleichwertigkeit aller Sprachen führen kann.
- Monolingualismus vs. Multilingualismus: Gibt es „dialect vs. language“-Unterscheidungen? Wie bilden sich Machtverhältnisse ab?
Antike (1.–3. Jahrhundert)
- Ausgangslage in der römischen Welt:
- Polytheismus und Multilingualismus führen zu Unsicherheit; um die Gunst der Götter zu erlangen, musste man perfekt in der jeweiligen „Göttersprache“ opfern/beten (z.B. Latein für römische Götter).
- Mögliche Fehler in Opfer-Formeln erzeugen Angst vor den Göttern, weil Falschübersetzungen als Sakrileg galten.
- Christliche Perspektive:
- Befreiung durch Translatabilität des Evangeliums: Gott kann in jeder Sprache angebetet werden, ohne formelhaftes Richtig-oder-Falsch in einem einzigen heiligen Idiom.
- Origenes (Zitat): „Der Herr aller Sprachen hört Gebete in jeder Zunge.“
- Kontrast: Christen empfinden keinen Zwang, Gott nur in Latein, Griechisch oder einer einzigen „göttlichen“ Sprache anzusprechen.
Spätantike und Frühmittelalter
Augustinus
- Erster bedeutender monolingualer Theologe (beherrschte nur Latein nativ, Griechisch ungenügend gelernt).
- Sah Sprachen als austauschbare Zeichensysteme, die dasselbe präverbale Denken ausdrücken.
- Daraus folgt: Jede Sprache drückt nur oberflächlich Verschiedenes aus, die Inhalte sind identisch. → Hierarchie wird abgelehnt, aber auch der Wert von Vielfalt unterschätzt.
Gegenbeispiel: Hieronymus und Basilius der Große
- Hieronymus:
- Spricht von „sprachengebundenen Häresien“: Jede Sprache kann zu bestimmten Fehlübersetzungen oder Missverständnissen führen, die häretische Ideen begünstigen.
- Anerkennt dennoch die Notwendigkeit von Übersetzungen.
- Basilius der Große:
- In Hexameron und Über den Heiligen Geist beschreibt er Unterschiede zwischen Sprachen (Griechisch vs. Syriakisch/Hebräisch).
- Erkennt, dass bestimmte Nuancen in einer Sprache (z.B. das Bild eines brütenden Vogels in Gen 1,2) anders sind und theologische Tiefe schaffen können, die im Griechischen weniger stark zum Ausdruck kommt.
- Sprachliche Vielfalt = Möglichkeit zu differenzierten Gotteserkenntnissen.
Mittelalter und Vorreformation
- Heilige vs. vulgäre Sprachen:
- Teilweise offizielles Dogma: Nur die Kreuzsprachen (Latein, Griechisch, Hebräisch) seien legitim für Liturgie.
- Zeitgleich gab es aber immer Bestrebungen, biblische Texte ins Vernakulare zu übersetzen (z.B. Venerable Bede mit einer altnordenglischen Bibelübersetzung, Cyril und Methodius für das Slawische).
- Rolle der Kirche:
- Ambivalenz: Einerseits Benediktiner- und franziskanische Missionsansätze, die Volkssprachen verwenden, andererseits Widerstand gegen vollumfängliche Bibelübersetzungen in jede x-beliebige Sprache.
- Trotz Widerständen: Zahlreiche vormoderne Bibelfragmente in lokalen Sprachen (z.B. Delftsche Bijbel1477).
Reformation und Neuzeit
- Behauptung: Reformation als grundlegender Durchbruch für Volkssprachen
- Einschränkung: Schon zuvor gab es Ansätze. Doch die Reformation betonte stark das sola scriptura und damit die Notwendigkeit, die Bibel jedem Gläubigen in dessen Muttersprache zugänglich zu machen.
- Martin Luther vs. Johannes Calvin:
- Unterscheidliche Haltungen zu sprachlicher Vielfalt.
- Calvin hatte mitunter ein offeneres Verständnis für mehrere Sprachen, Luther betonte stark das Deutsche als Volkssprache.
- Hierarchien unter Sprachen im 19. Jahrhundert:
- Beispiel Alexander Duff (schottischer Missionar): Sah Englisch als „christianisierte Sprache“ → missionarische Strategien in Indien sollten daher Englisch verbreiten.
- Problematische Mischung aus sprachlicher und kultureller Kolonialisierung.
Sprachenvielfalt, Kultur und Theologie
- Kulturelle Einbettung:
- Sprachen sind Träger kultureller Konzepte und Werte (z.B. arabisch geprägter Wortschatz vs. europäischer Wortschatz).
- In Grenada (16. Jh.) stellten sich Fragen: Wenn arabischsprechende Muslime zum Katholizismus konvertierten – war Arabisch zu nah an islamischer Theologie, um christlich verwendbar zu sein?
- Neocalvinistische Ansätze (Bavinck, Kuyper)
- Erweitern den Gedanken, dass Sprachenvielfalt ein positiver Teil der Schöpfungsordnung ist.
- Bavinck deutet Babel nicht primär als Fluch, sondern als Fortführung des Schöpfungsmandats (Ausbreitung).
- Dennoch auch hier Ambivalenzen bei Kuiper (z.B. Hierarchisierung zwischen Hochsprache und Dialekten).
- Subjektive Gottesbeziehung in verschiedenen Sprachen
- Sprachliche Form verändert Nuancen von Gottesbild und Gebet (z.B. Duzen vs. Siezen in Gebeten).
- Beispiel: Schottisch-Gälisch verwendet ein anderes Nähe-Distanz-Verhältnis zu Gott als Niederländisch.
- Mehrsprachigkeit kann zu einem erweiterten, demütigen Verständnis des Evangeliums führen.