Predigt: Wenn Menschen enttäuschen

Matthias Kradolfer hat eine wichtige Predigt über den gegenseitigen Umgang in der Gemeinde gehalten.

Enttäuschung in der Gemeinschaft

  • Paulus in Kolosser 3,13: „Ertragt einander und vergebt euch gegenseitig.“
  • Ursachen für Enttäuschungen:
    • Nähe in Beziehungen: Tiefergehende emotionale Bindungen führen zu größerem Schmerz bei Enttäuschungen.
    • Hohe Erwartungen an Christen, besonders an Pastoren.
    • Beispiel: Psalm 55,13-14 – David fühlt sich von einem engen Freund verraten.

Typische Reaktionen auf Verletzungen

  • Kirchenverletzungen als wachsendes Phänomen:
    • Menschen ziehen sich zurück, verlassen Gemeinden oder werden „unabhängig“.
    • „Jesus ja, Gemeinde nein“-Haltung.

Grenzen des Ertragens

  • Gibt es eine Grenze des Ertragens?
    • Jesus hat Judas und Petrus ertragen, aber auch Grenzen gesetzt (z. B. Tempelreinigung).
    • Paulus fordert in 1. Korinther 5 die Trennung von unbussfertigen Gemeindegliedern.
  • Versuch einer Definition: Grenze des Ertragens liegt dort, wo
    • Verhalten anderen ernsthaft schadet
    • Beziehung zu Gott beeinträchtigt wird
    • Heilung und Versöhnung unmöglich sind

Übungsfelder des Ertrages

  • Familie: Eigenheiten des Ehepartners, Kindererziehung.
  • Arbeitsplatz: Unterschiedliches Engagement von Kollegen.
  • Alltag: Autofahrer, die drängeln; Rentner, die an der Kasse trödeln.
  • Gemeinde: Unterschiedliche Meinungen und Verhaltensweisen.

Vergebung als biblisches Gebot

  • Vergibt einander, wie Gott euch vergeben hat (Kolosser 3,13).
  • Jesaja 43,25: Gott erinnert sich nicht an unsere Sünden.
  • Drei Prinzipien der Vergebung:
    1. Schuld bleibt Schuld – Vergebung bedeutet nicht, sie zu verharmlosen.
    2. Vergebung gibt dem anderen, was er nicht verdient – so wie Gott uns vergibt.
    3. Vergebung ist eine bewusste Entscheidung, nicht mehr an die Schuld zu denken.

Auswirkungen von Nicht-Vergeben

  • Schuldschein-Metapher: Wer vergibt, „zerreißt den Schuldschein“ – Vergebung kostet den, der vergibt.
  • Drei Prüffragen, ob man vergeben hat:
    1. Erwähne ich die Sache nicht mehr gegenüber dem Schuldigen?
    2. Erwähne ich sie nicht mehr gegenüber anderen?
    3. Erwähne ich sie nicht mehr vor mir selbst?
  • Warnung: Bitterkeit und Rachegedanken schaden uns selbst mehr als dem anderen.

Vergebung und schwere Vergehen

  • Gibt es unverzeihliche Sünden?
    • Beispiele: Vergewaltigung, Missbrauch, Mord.
    • Eva Mozes Kor: Auschwitz-Überlebende, die durch Vergebung Heilung fand.
  • Wissenschaftlich belegt: Bitterkeit schadet der Seele, Vergebung befreit.
  • John Ortberg: „Gott fordert Vergebung, weil die Alternative ein Leben im Gefängnis der Bitterkeit ist.“

Unterschied zwischen Vergebung und Versöhnung

  • Zwei theologische Ansätze:
    1. Seelsorgerliche Sicht: Man kann auch vergeben, wenn der andere keine Einsicht zeigt.
    2. Biblisch-theologische Sicht: Gott vergibt nur denen, die um Vergebung bitten – daher ist vollständige Vergebung ohne Einsicht fraglich.
  • Kern der Praxis: Unabhängig von der theologischen Sichtweise geht es darum, Rache und Bitterkeit loszulassen (Römer 12,18f)

Auswirkungen ungeklärter Verletzungen

  • Zwei extreme Reaktionsmuster:
    • Angriff: Verletzte Menschen verletzen andere.
    • Rückzug: Schutzmauern werden zum eigenen Gefängnis.
  • Folge: Die Liebe erlischt, das missionarische Zeugnis schwindet.

Wege zur Vergebung

  1. Beten: „Gott, heile die Wunden, die der andere mir zugefügt hat.“
  2. Für den Täter beten: Nicht um Strafe, sondern um Gottes Wirken.
  3. Sich der schmerzhaften Erinnerung stellen: Dorthin gehen, wo die Verletzung am stärksten spürbar war, Emotionen herauslassen.