Input: 20 populäre moderne Häresien

Peter Kreeft in “C.S. Lewis for the Third Millennium”, „The Goodness of Goodness and the Badness of Badness“ (Kapitel 3).

1. Subjektivismus

  • Definition: Leugnung objektiver moralischer Werte; Werte sind bloße Gefühlsäußerungen.
  • Widerlegung:
    • Menschen streiten moralisch, d.h. sie appellieren an objektive Maßstäbe (z.B. „das ist unfair“), nicht nur an Gefühle.
    • Niemand lebt konsequent als Subjektivist: Wer selbst ungerecht behandelt wird, fordert objektive Gerechtigkeit.
    • Der Glaube an moralischen Fortschritt (z. B. von Sklaverei zur Menschenwürde) setzt objektive Maßstäbe voraus.

2. Emotivismus

  • Definition: Variante des Subjektivismus, nach der moralische Aussagen bloß emotionale Ausrufe sind („Buh“ oder „Hurra“).
  • Irrlehre: Moral ist Ausdruck subjektiver Gefühle, nicht Erkenntnis von objektiver Wirklichkeit.
  • Widerlegung:
    • Beispiel: „Das ist erhaben“ meint nicht bloß „Ich fühle mich ergriffen“, sondern erhebt Anspruch auf objektive Wahrheit.
    • Wenn Aussagen wie „Lügen ist verachtenswert“ bloß Gefühle wären, wären Diskussionen darüber sinnlos.
    • Emotivismus macht moralische Kommunikation unmöglich, da es keine Aussagen über reale Sachverhalte gäbe.

3. Positivismus

  • Definition: Werte werden nicht entdeckt, sondern vom Menschen willentlich „gesetzt“.
  • Irrlehre: Es gibt keine vorgegebenen moralischen Maßstäbe; der Mensch erschafft sie willkürlich.
  • Widerlegung:
    • Wer Werte „setzt“, steht außerhalb des moralischen Gesetzes und erhebt sich zum Schöpfer von Gut und Böse – das ist die Rolle Gottes, nicht des Menschen.
    • Der „Wertschöpfer“ kann daher selbst weder gut noch böse genannt werden – er steht jenseits von Moral, was unmenschlich ist.
    • Moralische Reform setzt bereits einen Maßstab voraus, an dem sich Reformer messen – diesen Maßstab kann man nicht zugleich leugnen.

4. Kultureller Relativismus

  • Definition: Moral ist kulturspezifisch – was in einer Kultur gut ist, ist in einer anderen vielleicht schlecht.
  • Irrlehre: Es gibt keine überkulturellen, universalen moralischen Prinzipien.
  • Widerlegung:
    • Es existieren quer durch alle Kulturen hinweg erstaunlich ähnliche Grundwerte (vgl. Anhang in The Abolition of Man).
    • Moralische Unterschiede zwischen Kulturen betreffen meist Anwendung, nicht Prinzipien (z. B. was „Ehrfurcht vor dem Leben“ bedeutet).
    • Kulturelle Unterschiede beweisen nicht die Relativität der Moral, sondern ihre Universalität im Kern.
    • Wer anderen Kulturen keine Fehler zubilligt, unterstellt ihnen Unfehlbarkeit – eine bizarre Form des moralischen Imperialismus.

5. Historizismus

  • Definition: Moralische Werte ändern sich mit der Zeit, wie Moden oder Technologien.
  • Irrlehre: Früher galt z. B. Keuschheit als gut, heute ist sie veraltet; das moralisch Richtige „entwickelt“ sich mit der Geschichte.
  • Widerlegung:
    • Der Satz „Du kannst die Uhr nicht zurückdrehen“ ist Unsinn: Wenn die Uhr falsch geht, dreht man sie zurück.
    • Moralischer Fortschritt setzt einen überzeitlichen Maßstab voraus – sonst ist es bloß Wandel, nicht Fortschritt.
    • Historizismus macht Umkehr unmöglich – ohne Umkehr keine Reue, ohne Reue keine Erlösung.

6. Utilitarismus

  • Definition: Moral wird auf das Nützliche, das für die Gesellschaft Zweckmäßige reduziert.
  • Irrlehre: Gut ist, was nützt; schlecht ist, was schadet – moralische Güte ist Mittel zum Zweck (z. B. Glücksmaximierung).
  • Widerlegung:
    • Aus dem Faktum „x nützt der Gesellschaft“ folgt nicht automatisch: „x ist moralisch gut“.
    • Die Frage, warum man überhaupt für das Gemeinwohl arbeiten soll, wird nicht beantwortet.
    • Auch Utilitarismus braucht die vorausgesetzte Gültigkeit des moralischen Sollens (Tao).

7. Instinktualismus

  • Definition: Moralisches Verhalten ist biologisch-evolutionär bedingter Instinkt.
  • Irrlehre: Was wir für moralisch halten, ist bloß ein Produkt der Evolution.
  • Widerlegung:
    • Instinkte stehen oft im Konflikt (z. B. Fluchttrieb vs. Hilfsbereitschaft) – Moral entscheidet zwischen ihnen.
    • Moralisches Sollen unterscheidet sich von instinktivem Wollen – wir tun oft das Richtige gerade gegen unsere Instinkte.
    • Moral ist das übergeordnete Ordnungsprinzip, das Instinkte bewertet – wie Noten zu Tönen auf dem Klavier.

8. Hedonismus

  • Definition: Gut ist, was Lust bereitet; schlecht ist, was Unlust verursacht.
  • Irrlehre: Glück wird mit Lust identifiziert, Tugend mit angenehmem Gefühl.
  • Widerlegung:
    • Manche Freuden sind böse (z. B. sadistische Lust), manche Leiden gut (z. B. Opfermut).
    • Glück und moralische Güte sind nicht deckungsgleich – Glück kann in der Hölle gesucht werden, Güte niemals.
    • Sexuelle Lust wird als „Recht auf Glück“ deklariert – unabhängig von Treue, Verantwortung oder Wahrheit.
    • Die Sexualmoral ist Prüfstein wahrer Moral: Sie ist der Bereich, wo Lust und Liebe häufig auseinandergehen.

9. Egoismus (aufgeklärter Eigennutz)

  • Definition: Moralisches Verhalten lohnt sich langfristig – „Selbstverwirklichung durch Tugend“.
  • Irrlehre: Es ist rational, gut zu sein, weil es mir nützt – Moral als Tauschgeschäft.
  • Widerlegung:
    • Der Moralische handelt auch dann gut, wenn es ihm schadet.
    • Ethische Verpflichtungen beruhen nicht auf wechselseitigem Nutzen, sondern auf objektiver Verpflichtung.
    • Christliche Tugend ist Selbsthingabe, nicht Selbstoptimierung.

10. Pragmatismus

  • Definition: Was funktioniert, ist gut; was nützt, ist wahr.
  • Irrlehre: Moralische Prinzipien werden nach Zweckmäßigkeit beurteilt, nicht nach Wahrheit.
  • Widerlegung:
    • Diese Haltung öffnet Tor und Tür für „der Zweck heiligt die Mittel“.
    • Sie hat sich historisch als Einstieg in das Dämonische erwiesen (z. B. bei der N.I.C.E. in That Hideous Strength).
    • Das Böse erscheint kurzfristig stärker, aber ist letztlich zerstörerisch – nur das Gute hat Bestand.

11. Optimistischer Humanismus

  • Definition: Der Mensch ist im Grunde gut – Sünde ist ein Mythos.
  • Irrlehre: Es gibt keine Bosheit im Menschen – nur Missverständnisse, schlechte Erziehung, mangelhafte Strukturen.
  • Widerlegung:
    • Tägliche Nachrichten, Geschichte und Literatur zeigen das Gegenteil.
    • Das Böse im Menschen ist tief verwurzelt – moralische Blindheit ist selbst Teil dieses Problems.
    • Erlösung setzt Selbsterkenntnis voraus – ohne Erkenntnis der Sünde keine Gnade.

12. Zynismus

  • Definition: Alles menschlich Gute ist Fassade – Güte ist Illusion oder Schwäche.
  • Irrlehre: Es gibt keine wirkliche Güte – nur verdeckten Eigennutz oder Heuchelei.
  • Widerlegung:
    • Wirklich gute Menschen existieren, wie die Heiligen beweisen.
    • Zynismus ist selbst ein unbewusster Glaube – Glaube an die Allgegenwart des Bösen.
    • Wer das Gute leugnet, zerstört sich selbst – wie die Zwerge in The Last Battle.

13. Pop-Psychobabble (psychologischer Moral-Kitsch)

  • Definition: Gut ist „nett“, schlecht ist „gemein“ – Moral reduziert auf Gefühle der Freundlichkeit.
  • Irrlehre: Urteilen ist „böse“, Toleranz ist oberster Wert; Ethik wird banalisiert zu therapeutischer „Harmonie“.
  • Widerlegung:
    • Gott ist nicht nett, sondern heilig: „Nicht zahm, aber gut“ (Aslan).
    • Mitgefühl ohne Wahrheit ist gefährlich – siehe z. B. Abtreibung aus „Mitleid“.
    • Wahre Liebe schließt Gericht und Ernsthaftigkeit mit ein.

14. Moralischer Philisterismus

  • Definition: Gut ist langweilig, Böse ist interessant – heldische Tugend ist kitschig oder flach.
  • Irrlehre: Die Welt der Helden, Heiligen und Tugendhaften sei ästhetisch unattraktiv.
  • Widerlegung:
    • Böses ist banal – das Böse hat keine Tiefe (Hannah ArendtEichmann in Jerusalem).
    • C. S. Lewis gelingt es, das Gute spannend und schön darzustellen (Aslan, Psyche, Ransom).
    • Die Idee, dass „nur das Böse Tiefe hat“, ist selbst eine diabolische Lüge.

15. Rationalismus

  • Definition: Moral ist rational ableitbar und vollständig durchschaubar – keine Geheimnisse.
  • Irrlehre: Alles Gute muss klar, einfach, logisch verständlich sein; Mysterien gelten als Irrationalität.
  • Widerlegung:
    • Moralisches Leben ist zutiefst geheimnisvoll, weil Liebe geheimnisvoll ist.
    • Rationalismus verkennt die Tiefe des Herzens, des Leids und der Gottesbeziehung.
    • Die Wirklichkeit der Tugend ist nicht flach und berechenbar – sie ist wie Musik, nicht wie Algebra.

17. Säkularismus – Die Trennung des Guten vom Transzendenten

  • Zentrale These der Häresie:
    • Moralität sei autonom, unabhängig von Gott und jeglicher Transzendenz.
    • Die Moral ließe sich “horizontal”, also nur im menschlich-sozialen Bereich, begründen.
  • Widerlegung durch Lewis:
    • In Mere Christianity argumentiert er für die Existenz Gottes aus der moralischen Erfahrung (Moral Argument).
    • Moral ist eine “Spur”, die zur Quelle führt – nicht zur Menschheit, sondern zu Gott.
  • Philosophische Analyse:
    • Naturgesetze der Physik führen zur Suche nach dem ersten unbewegten Beweger – genauso führt das Naturgesetz der Moral zur Suche nach dem höchsten moralischen Ursprung.
    • Ohne Gott bleibt Moral ohne letzten Grund und wird bloßes soziales Konstrukt.

18. Pantheismus – Die Identität von Gut und Böse

  • Zentrale These:
    • Alles ist eins. Gut und Böse sind letztlich identisch, weil alles Teil Gottes ist.
    • Gott ist nicht transzendent, sondern vollkommen immanent – auch im Bösen.
  • Lewis’ Kritik:
    • Pantheismus ist uralt, nicht modern. Er erscheint als Spiritualität, ist aber metaphysischer Gleichmacher von Gut und Böse.
    • Das christliche Gottesbild widerspricht radikal: Gott nimmt Partei, liebt das Gute, hasst das Böse.
  • Konkrete Ausgestaltung in Lewis’ Werk:
    • In Perelandra wird Weston durch seine pantheistische Philosophie zur dämonischen Kreatur.
    • Die Identifikation von Gott und Teufel ist letztlich blasphemisch.
  • Zeitdiagnose Kreefts:
    • Moderne Christen neigen zunehmend zur pantheistischen, “unpersönlichen” Spiritualität (New Age, östliche Mystik).
    • Der Gott der Bibel ist aber persönlich, männlich, transzendent, wertend und kämpferisch.

19. Moralismus – Die Vergötzung der Moral selbst

  • Zentrale These:
    • Moral sei der höchste Wert, das Ziel des Lebens.
    • Ethik wird zur Religion, Anständigkeit zum Heiligen.
  • Lewis’ Korrektur:
    • Moral ist notwendig – aber nicht das Ziel.
    • Das Ziel ist Verwandlung in ein Kind Gottes, Vergöttlichung (deification), Teilnahme am göttlichen Leben.
  • Hauptwerke dazu:
    • The Weight of Glory
    • Man or Rabbit?
    • Mere Christianity, Kapitel über „Hoffnung“
  • Schlüsselsatz:

“You were made not for mere morality, but for joy, transformation, and participation in divine life.”

  • Analogie:
    • Moral ist wie ein Operationstisch, aber nicht das Heilmittel selbst.
    • Der „Ethik-Hase“ (rabbit) muss durch Gnade in einen „Gottes-Sohn“ verwandelt werden.

20. Nietzscheanismus – Die Umwertung aller Werte

  • Zentrale These:
    • Das Gute ist schlecht; das Böse ist gut.
    • Tugend ist Schwäche; Macht ist das einzig Wahre.
    • Die “Sklavenmoral” (Demut, Mitleid, Liebe) ist zu überwinden zugunsten einer “Herrenmoral” (Stärke, Wille zur Macht).
  • Tragweite der Häresie:
    • Nietzsche beanspruchte offen, der “Antichrist” zu sein.
    • Diese Umwertung der Werte wurde zur ideologischen Grundlage des Nationalsozialismus.
  • Lewis’ Antwort:
    • Die Dämonisierung des Guten wird in seinen Werken als Weg zur völligen Entmenschlichung dargestellt (z. B. Weston, That Hideous Strength).
    • Das “ästhetische Interesse” am Bösen ist tödlich – nicht nur moralisch, sondern existenziell.
  • Warnung Kreefts:
    • Diese letzte Häresie ist die gefährlichste, weil sie spirituell anziehend wirkt.
    • Sie lebt fort in Formen wie radikaler FeminismusDekonstruktivismusRelativismus.