Ein spannendes Gespräch mit zwei angelsächsischen Islamexperten, u. a. Mark Durie. Dessen Werk “The Third Choice: Islam, Dhimmitude and Freedom” habe ich vor Jahren intensiv studiert.
Gibt es so etwas wie nominelle Muslime?
- Grobe Einteilung der Muslime in etwa drei Gruppen:
- ~25 % „sehr konservativ/strikt“ (wollen islamisches Recht aktiv durchsetzen),
- ~50 % eher traditionell, praktizieren manche Riten (z.B. während Ramadan), stehen aber dem streng religiösen Aktivismus distanzierter gegenüber,
- ~25 % säkular, atheistisch oder „schlechte Muslime“ (nach traditioneller Sicht).
- Ein Großteil der muslimischen Bevölkerung identifiziert sich stark mit der Gemeinschaft (Umma), auch wenn die religiöse Praxis schwach ausgeprägt sein kann.
- Viele Muslime wissen wenig über Koran und Hadithe, da religiöse Erziehung oft bloß aus Auswendiglernen (in Arabisch) besteht, ohne eigenes theologisches Tiefenverständnis.
Was ist ein “Kalifat”? Unterstützt Islam Demokratie?
- „Kalifat“ (Kalifat / Caliphate) = Eine theokratisch geprägte Staatsform, in der ein Nachfolger (Kalif) an Muhammads Stelle die weltweite muslimische Gemeinschaft anführt.
- Traditioneller sunnitischer Islam strebt grundsätzlich ein Kalifat an, in dem islamische Gesetze (Scharia) gelten.
- Demokratie und Volksbeteiligung sind im klassischen islamischen Denken schwierig zu integrieren, da im orthodoxen Verständnis allein Gott Gesetze bestimmt (Nomokratie statt Demokratie).
- Im modernen Kontext versuchen einige Denker, Islam und Demokratie zu versöhnen. Jedoch existiert ein starker konservativer Flügel (z.B. al-Qaida, ISIS), der Demokratie als „Götzendienst“ (Shirk) ablehnt.
Wie wird der Koran interpretiert?
- Koranverse aus der frühen (mekkanischen) Periode gelten als weniger gewalttätig, da Muslime damals in der Minderheit waren und Verfolgung erlebten.
- Spätere (medinensische) Suren enthalten hingegen gewaltsamere Aufforderungen, etwa gegen Ungläubige oder zur Eroberung.
- Klassische islamische Rechtslehre kennt das Prinzip der Abrogation (Naskh): Spätere Offenbarungen heben frühere auf. Damit werden friedlichere Verse teils als überholt betrachtet.
- Alternative Sicht (u.a. syrischer Gelehrter al-Būy): Man „wendet“ die jeweilige Koranpassage je nach sozialer Situation an – schwache Muslime orientieren sich an friedlichen Versen, starke Muslime an gewalttätigen.
Islamophobie und Opferhaltung
- Starke Betonung eines „Opfernarrativs“ in Teilen der islamischen Welt: Man sieht Muslime als Opfer westlicher Kolonialmächte oder aktueller Verschwörungen.
- Dieses Narrativ legitimiere zum Teil gewaltsames Vorgehen (Jihad) als vermeintliche Selbstverteidigung oder Befreiung.
- Kritik an westlicher Politik und Medien: vielfach fehle das Verständnis für religiöse Ideologie, man rede Konflikte rein politisch/ökonomisch klein und ignoriere den Einfluss islamischer Theologie.
- Tendenziell „ängstliche“ Haltung mancher westlicher Behörden, die aus Furcht vor Rassismusvorwürfen oder wegen Multikulturalismus islambezogene Probleme nicht offen ansprechen.