Thomas Jeising sorgt seit Jahren für klare, unaufgeregte, rahmende Kommentare zu Vorgängen in der (post-)evangelikalen Welt. So nahm er sich die Mühe, eine aktuelle postevangelikale Sexualethik zu analysieren. Dafür fehlt mir Zeit und vor allem Motivation – ich habe so viel lohnenderen Lesestoff. Jeisings Beobachtungen:
Die Autoren beabsichtigen, das Selberdenken in ethischen Entscheidungen zu fördern, jedoch beschränkt sich dies darauf, eine bestimmte Sichtweise der gegenwärtigen Sozialwissenschaften kritiklos zu übernehmen.
Es wird behauptet, dass diese Ethik als „biblische Ethik“ deklariert wird, obwohl sie selektiv biblische Motive auswählt, um vorgefasste Ansichten zu bestätigen. Mit dem Modell von „Karte und Gebiet“ wird argumentiert, dass die moralischen Karten vergangener Zeiten nicht mehr in die heutige Lebenswirklichkeit passen und ein bloßes Beschreiben des Lebensgebiets ausreiche, um den Weg des Selberdenkens zu finden.
Obwohl die Autoren sich als selbstkritisch und bescheiden präsentieren, indem sie ihre eigene Perspektive als „weiße Cis-Männer“ relativieren, tritt ein deutlicher Hochmut hervor, da sie sich als alleinige Vermittler in ethischen Konflikten darstellen. Die Intention, eine Sexualethik ohne moralische Urteile zu schaffen, wird dadurch untergraben, dass sie gleichzeitig zentrale soziale und wissenschaftliche Positionen unkritisch übernimmt.
Die Transformation der christlichen Sexualethik führt dazu, dass Homosexualität als normal und gleichberechtigt angesehen wird und dass polyamore Lebensformen sowie „Ehe für alle“ als gleichwertige Lebensmodelle gelten. Die Autoren begründen diese Ansichten mit der Behauptung, Jesus Christus würde heilsame Transformationen und Versöhnung ermöglichen, wodurch eine vermeintliche Verbindung zwischen evangelisch-reformatorischer Tradition und modernen sozialwissenschaftlichen Perspektiven hergestellt wird.
– In ihrer Anthropologie lehnen Dietz und Faix ein eindeutig christliches oder biblisches Menschenbild ab und berufen sich stattdessen auf allgemeine Prinzipien wie die Menschenwürde und die Bezogenheit auf Gott und Mitmenschen.
Die Autoren argumentieren, dass abgesehen von der biologischen Unterscheidung (Spermien versus Eizellen) alle weiteren Geschlechtsmerkmale statistische Unterschiede sind, die nicht naturgegeben, sondern kulturell konstruiert seien. Sie stützen ihre Auffassung, dass Geschlecht ein biopsychosoziales Gefüge ist, indem sie die Ansichten der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler verteidigen, was als typische Strohmann-Argumentation kritisiert wird.
Homosexuelles Leben, Bisexualität, Asexualität, sex-positive Pornografie und flexible Vorstellungen von Ehe werden als gleichwertige Ausdrucksformen sexueller Selbstbestimmung dargestellt, wobei kritische Anfragen zu diesen Konzepten weitgehend ausbleiben. Die transformierende Ethik sieht auch alternative Familienmodelle und polyamore Beziehungen als gesundheitsfördernd an, solange sie auf Ehrlichkeit und Einvernehmlichkeit beruhen, was einer utilitaristischen Argumentation folgt.
Fazit: Eine echte christliche Sexualethik würde auf Gottes Weisung und der Erlösung durch Christus basieren und zugleich die Unveränderlichkeit göttlicher Maßstäbe anerkennen, anstatt sich dem wandelnden Zeitgeist anzupassen.