Input: Augustinus und die Orginialsünde

Eine ganz ordentliche Zusammenfassung von Augustinus’ Lehre der Original-/Ursprungssünde (in: Charles Mathewes, Books That Matter: The City of God, S. 314-327)

Der Ausgangspunkt: Universalität und Verdrängung des Todes

  • Augustinus rückt den Tod ins Zentrum seines 13. Buches, um zu zeigen, dass Sterblichkeit die unausweichliche gemeinsame Erfahrung aller Menschen ist.
  • Unsere Kultur meidet heute das Gespräch über den Tod und investiert enorme Mittel in dessen Verdrängung oder technische Überwindung; Augustine hält diese Flucht für illusionär.
  • Die dauerhafte Präsenz von Krankheit, Verfall und Endlichkeit sollte, so Augustinus, unser Denken, Fühlen und Handeln im Alltag prägen.

Zeitgenössische Deutungen von „Leben im Tod“

  • In der Spätantike war die Vorstellung eines „lebendigen Todes“ weit verbreitet: Manichäer erklärten Materie als Überrest toter finsterer Mächte; asketische Strömungen sahen Lösung im radikalen Welt- und Körperverzicht.
  • Augustinus teilt die Diagnose, warnt aber vor der Konsequenz einer Flucht aus der Welt; nicht die Schöpfung, sondern unsere verkehrte Haltung zu ihr sei das Problem.

Theologische Grundannahmen Augustins

  • Gott schuf den Menschen bestimmt zur unsterblichen Gottesschau ohne sterblichen Zwischenschritt.
  • Adam wurde historisch-leiblich von Gott geschaffen; aus ihm ging die gesamte Menschheit hervor.
  • Der Tod ist daher „widernatürlich“ – Folge, nicht Bestandteil der ursprünglichen Ordnung.

Der Sündenfall als inneres Ereignis

  • Kern der ersten Sünde ist nicht das Essen der Frucht, sondern der verborgene Willensakt des Ungehorsams, die Selbstverherrlichung im „occulte“ des Herzens.
  • Das äußere Vergehen ist trivial; katastrophal sind die inneren Konsequenzen: Gottesferne, Selbstisolation, geistlicher Tod.

Konkrete Folgen für Mensch und Welt (eigene Zustimmung v. a. zu Punkt 1)

  • Seelisch: Zerreißprobe zwischen Geist und Begierde, Scham als erstes Symptom, dauerhafte Angst und innere Zersplitterung.
  • Körperlich: Schwächung und Funktionsverlust; die heute seltenen Sonderfähigkeiten einzelner (z. B. willkürliches Schwitzen oder „Bauchrednerkunst“) gelten Augustine als blasse Reste vormals universeller Körpervollmacht.
  • Genealogisch: Die verdorbene Natur wird biologisch-sozial vererbt; alle sind von Geburt an durch Neigung zur Sünde (concupiscentia) und Sterblichkeit gezeichnet.

Erbsünde: Diagnostisch, nicht juristisch

  • Augustine versteht die Erbsünde weniger als Rechtsvergehen denn als Krankheitsbild, das den ganzen Organismus der Menschheit befällt.
  • Verantwortung heißt hier nicht primär Schuldzuschreibung, sondern Anerkennung einer bestehenden Schädigung, um Therapie zu ermöglichen.

Tod als doppelte Realität

  • Erster Tod: Geistlicher Tod durch Gottesferne schon im jetzigen Leben – „Zombie-Existenz“ ohne wahre Freude und Hoffnung.
  • Zweiter Tod: Unvermeidliche leibliche Auflösung. Selbst die Erlösten erleben ihn, doch er verliert durch Christus den endgültigen Stachel.

Heilstrategie: Umdeutung statt Weltflucht

  • Nicht Entmaterialisierung, sondern neue Ausrichtung (re-orientatio) des ganzen Menschen auf Gott durch Gnade.
  • Der Leib bleibt gut; Christi Fleischwerdung, Kreuz, Auferstehung und Himmelfahrt zeigen, dass Körper verklärt werden können.
  • Gläubige sollen den Tod nicht suchen, aber ihn aktiv „beugen“ (declinare) – ihn als Märtyrerhaltung (Zeugnis im Alltag) in Hoffnung verwandeln.

Doppeltes Leiden als geistliche Übung

  1. Ehrliches Aushalten gegenwärtiger Schmerzen und Verfallsprozesse, ohne stoische Verdrängung.

  1. Gleichzeitige freudige Vorwegnahme der künftigen Auferstehung; diese Spannung hält vom selbstzufriedenen Weltgenuss ab.

Auferstehung des Leibes

  • Endzustand: Wiederherstellung und Überbietung des ursprünglichen Körpers – „spiritueller Leib“ nach dem Vorbild des Auferstandenen, stofflich, doch von Geist durchherrscht, ohne Notwendigkeit von Nahrung oder Verfall.
  • Einheit von Seele und Leib wird vollkommen, sodass jegliche Zwietracht endet.

Abgrenzung von Platonisten und Manichäern

  • Gegen Platonisten: Körper und Materie sind nicht an sich schlecht; Problem ist die verkehrte Liebe (amor curvus).
  • Gegen Manichäer: Welt ist Schöpfung eines guten Gottes, nicht ein Gemisch gefallener Urmächte; Erlösung bedeutet Umwandlung, nicht Entsorgung der Materie.

Praktische Konsequenzen für das christliche Leben

  • Kirche als „Hospital“: Gläubige sind Rekonvaleszenten unter der Hand des göttlichen Arztes, nicht Tugendathleten im moralischen Fitnessstudio.
  • Gnade wirkt therapeutisch: Sie heilt die Willenskrümmung, statt nur ein Strafregister zu führen.
  • Jeder ist gerufen, im Hier und Jetzt leibhaftig Gottes Güte zu bezeugen, auch wenn die volle Heilung erst im Eschaton geschieht.