Neuerlich habe ich für einen Zukunftsworkshop in der Gemeindearbeit auf die Metapher vom Spalier und Weinstock zurückgegriffen. Die beiden australischen Theologen Tony Payne und Colin Marshall vergleichen kirchliche Gemeindearbeit mit einem Weinstock, der an einem Spalier emporwächst (siehe diese YouTube-Serie). Der Weinstock steht für das eigentliche geistliche Leben: Menschen, die durch das Evangelium zum Glauben kommen und in Jüngerschaft wachsen. Das Spalier symbolisiert die unterstützenden Strukturen wie Gebäude, Programme, Budgets oder Verwaltung, die den Weinstock zwar halten, aber selbst kein Leben in sich tragen. Payne / Marshall beobachten, dass viele Gemeinden sehr viel Energie in das „Spalier-Bauen“ investieren, während das eigentliche „Weinstock-Werk“ – persönliche Evangelisation, Bibel-Weitergabe und Mentoring – vernachlässigt wird. Ihre Metapher ruft deshalb zu einer „Ministry Mind-Shift“ auf: Strukturen sind wichtig, aber sie haben nur dienenden Charakter und dürfen nie Selbstzweck werden. Wirklich fruchtbar wird eine Gemeinde erst dann, wenn der größte Teil der Ressourcen und Aufmerksamkeit auf das Wachstum des Weinstocks, also auf die geistliche Reproduktion von Menschen, gerichtet ist. Das entsprechende Buch “Vom Spalier und vom Weinstock” ist in deutscher Sprache verfügbar.
Um noch einen Schritt weiter zu gehen: Was ist das zentrale Mittel der Jüngerschaft? Payne erklärt: Gott selbst ist ein „expositorischer Gott“, der sich in Schöpfung, Schrift und letztlich in seinem Sohn offenbart; deshalb muss jede Verkündigung Auslegung des Wortes sein. Das Problem vieler Gemeinden liegt darin, dass diese Exposition an der Kanzel steckenbleibt und nicht bis zur Kirchenbank durchdringt, sodass letztlich ein Predigerdienst statt eines „Dienstes der Gemeinde“ entsteht. Darum sollen Älteste, Mitarbeiter und jedes Gemeindeglied so mit der Bibel ausgerüstet werden, dass sie sie täglich weitergeben – in Hauskreisen, am Küchentisch, beim Singen und in Beziehungen zu Nichtchristen. Evangelisation darf sich nicht in “Übersee-Mission” erschöpfen, sondern soll vor allem im eigenen Umfeld stattfinden, indem Christen ihre Nachbarn in ihr Leben und in die Schrift einladen. Alle Gemeindestrukturen – Gruppen, Schulungen, Besuche, Gottesdienste – haben denselben Zweck: Menschen durch wortzentrierte Beziehungen zu Jüngern zu machen. Dabei gilt die Grundüberzeugung, dass die Bibel im Wohnzimmer ebenso kraftvoll wirkt wie auf der Kanzel, wenn sie im Gebet und unter dem Wirken des Geistes gesprochen wird.