Input: Parallele Polis und politischer Realismus

Der tschechische Dissident Vaclav Benda (1946-1999) dient mir in mehreren Belangen als Vorbild. In einer Diskussion (2020) wird dessen Relevanz als Denker für das 21. Jahrhundert thematisiert. Teilnehmer waren der US-Politikwissenschaftler Prof. Flagg Taylor (Herausgeber der amerikanischen Edition), der tschechische EU-Abgeordnete und Ex-Dissident Alexandr Vondra sowie der polnische Moderator Maciej Zakrocki. Dies sind die vorgetragenen Argumente:

Bendas Platz in der tschechischen Dissidentenbewegung

  • Chartá 77 umfasste laut Vondra drei Flügel: einen liberal-künstlerischen (z. B. Václav Havel), einen sozialistisch-linken (z. B. Petr Uhl) und einen katholisch-konservativen – dessen prägnanteste Stimme Václav Benda war.
  • Benda vertrat einen kompromisslosen antikommunistischen Standpunkt; er charakterisierte den Kommunismus als „Antichrist“ und lehnte jede Hoffnung auf Reformen von oben ab.
  • Das Benda-Familienhaus in Prag fungierte als legendärer Treffpunkt für Dissidenten, junge Aktivisten und Samisdat-Redakteure und symbolisiert die praktische Umsetzung seines Denkens.

Kernidee: Die „Parallel Polis“

  • Benda sah die entscheidende Stärke totalitärer Systeme in der Atomisierung der Gesellschaft und reagierte darauf mit dem Konzept einer „Parallelen Polis“.
  • Diese soll freiwillige Räume (Bildung, Kultur, Religion, Soziales) schaffen, in denen Menschen Gemeinschaft und Freiheit konkret erleben und politische Verantwortung einüben.
  • Er betonte, dass die Parallelgesellschaft kein Ghetto, sondern ein Trainingsfeld für eine künftige Demokratie sein müsse, bereit, historische Fenster der Freiheit zu nutzen.

Gründe für seine heutige Relevanz

  • Vondra und Taylor argumentieren, dass konservative Milieus im Westen heute einen ähnlichen Konformitäts- und Ideologiedruck spüren wie Dissidenten unter dem Kommunismus (Cancel Culture, radikaler Relativismus, Allianz von Big Business und Kulturlinken).
  • Bendas Betonung radikaler persönlicher Verantwortung, kultureller Verwurzelung und geistiger Unabhängigkeit bietet ein Gegenmodell zu sowohl kollektivistischer als auch extrem individualistischer Entwurzelung.

Familie, Bildung und Kultur als Widerstandszonen

  • In seinen Essays beschreibt Benda die Familie als letzte Bastion gegen totalitäre Vereinnahmung und warnt vor politischer Eindringtiefe in intimste Lebensbereiche.
  • Er fordert, konservative Politik müsse Schulen, Universitäten und Kulturbetriebe ernst nehmen; das Vernachlässigen dieser Felder führt laut Vondra zu langfristigen Niederlagen.
  • Die Samisdat-Seminare und Untergrund-Hochschulen werden als Beleg dafür präsentiert, wie kulturelle Bildung Freiheitsräume öffnet und Identität stärkt.

Politisches Wirken nach 1989

  • Benda gründete die Christdemokratische Partei (KDS) und bewies politischen Realismus, indem er ihre Fusion mit der liberal-konservativen ODS vorantrieb, um die Kräfte rechts der Mitte zu bündeln.
  • Durch diese Bündelung trug er zu Erfolgen wie Lustrationsgesetzen, Eigentumsrestitution und Aufbau einer starken Mittelschicht bei.
  • Seine pragmatische Koalitionsfähigkeit illustriert, wie Minderheitenpositionen bei klaren Prinzipien maximalen Einfluss entfalten können.

Persönliche Tugenden und Vorbildfunktion

  • Taylor hebt hervor, dass Benda die Versuchungen von Stolz (moralische Selbstgerechtigkeit) und Verzweiflung (resignativer Pessimismus) gleichermaßen vermied.
  • Er verband Magnanimität – den Mut, Großes zu wagen – mit Demut und Dialogbereitschaft, selbst gegenüber politisch entgegengesetzten Personen wie dem Trotzkisten Petr Uhl.
  • Diese Haltung gilt den Diskussionspartner als Leitfigur für heutige Konservative, um geistige Standfestigkeit mit gesprächsoffener Bescheidenheit zu verbinden.

Leitgedanke für die Zukunft

  • Benda formulierte 1987: „Unsere Sprache muss Ja-Ja oder Nein-Nein sein“ – klare, wahrhaftige Rede sei Voraussetzung, damit die Parallel Polis im Moment einer Krise gehört werde.
  • Die Diskussion schließt mit dem Appell, Bendas Schriften als praktisches Handbuch für kulturellen Selbsterhalt, politische Kreativität und hoffnungsvolle Standhaftigkeit zu lesen.