Input: Analytische Theologie – verkappte Philosophie?

In meiner Lese- und Forschungstätigkeit stosse ich immer wieder auf Vertreter der Analytischen Theologie oder Theologen, die innerhalb dieser Schule studiert haben. Einer ihrer Hauptvertreter, Oliver D. Crisp, stellt sich im Aufsatz “Analytic Theology as Systematic Theology” einigen kritischen Anfragen.

Zur Definition eines Gründervaters der Analytischen Theologie: «Analytische Theologie ist … systematische Theologie, die sich die Fähigkeiten, Mittel und Tugenden der analytischen Philosophie zunutze macht. Es ist die Darstellung der zentralen Themen der christlichen Lehre, beleuchtet durch die besten Einsichten der analytischen Philosophie.» (William Abraham)

Zum Anspruch: «Analytische Theologie – als Theologie – sollte (um es mit John Webster zu sagen) “theologische Theologie” sein. Sie sollte sich auf die Heilige Schrift stützen, sich an der christlichen Tradition orientieren und auf die potenziellen und dringenden Herausforderungen achten, vor denen das Volk Gottes in der Welt steht. Aber das ist noch nicht alles: Die analytische Theologie sollte sich an ihrem eigentlichen Ziel orientieren, und die analytischen Theologen sollten auf den richtigen Ansatz und die richtige Haltung der Theologie bedacht sein.» (Thomas McCall)

Kritische Fragestellung: Sind die Ergebnisse wirklich Theologie? Ist AT tatsächlich systematische Theologie, oder ist es etwas anderes? (Dahinter steht) die Sorge, dass AT in Wirklichkeit ein Wolf im Schafspelz ist, d.h. Philosophie, die vorgibt, Theologie zu sein.

Oliver Crisp kommt zum Schluss:

AT (ist) eine intellektuelle Kultur, die sich mit der ST überschneidet und die bei der Verfolgung der ST bestimmten Texten, Figuren, Ideen und intellektuellen Tugenden Aufmerksamkeit schenkt. Sie erfüllt die Schwellenanforderung der gemeinsamen Aufgabe (shared task), so dass wir von AT sagen können, dass seine Praktiker ein Engagement für ein intellektuelles Unterfangen zeigen, das die Ausformulierung des begrifflichen Inhalts der christlichen Tradition beinhaltet (auch wenn es nicht unbedingt dazu gehört – mit der Erwartung, dass dies normalerweise von einer Position innerhalb dieser Tradition aus geschieht, also als Anhänger dieser Tradition). Dabei werden bestimmte religiöse Texte, die Teil der christlichen Tradition sind, einschließlich der Heiligen Schrift, sowie die menschliche Vernunft, Reflexion und Praxis (insbesondere religiöse Praktiken) als Quellen für theologische Urteile verwendet. Ihre besondere Herangehensweise an die ST hat viel mit der historischen Theologie, insbesondere der scholastischen Theologie, gemeinsam(obwohl wir diese Beziehung hier nicht im Detail untersucht haben). Wie Dogmatiker, die an “theologischer Theologie” interessiert sind, kann sie in einer Weise praktiziert werden, die die christliche Tradition und den Platz der Heiligen Schrift als überragende (pre-eminent) Norm der christlichen Lehre ernst nimmt. … AT (ist) als ST im besten Fall eine Art, ST zu betreiben, die die Werkzeuge und Methoden der zeitgenössischen analytischen Philosophie für die Zwecke einer konstruktiven christlichen Theologie nutzt und dabei die christliche Tradition und die Entwicklung der Lehre beachtet.

Im Podcast “Analytic Theology, Bavinck and Retrieval” (55 Minuten) geht Crisp auf eine weitere Frage ein.

Ist die AT ausreichend mit Exegese und biblischer Theologie verzahnt? Das heisst, bemüht sie sich nach Kräften um einen induktiven Weg aus den biblischen Texten heraus zu Schlussfolgerungen zu gelangen und diese dann darzustellen? Oder werden zu viele Vorannahmen und Kategorien in den Text hineingetragen?

Crisp unterscheidet in dieser Antwort zwischen dem Einsatz der AT schlechthin und einigen Akteuren innerhalb dieser Tradition, die von einem theistischen Personalismus ausgehen, also davon, dass Gott die Perfektion guter menschlicher Eigenschaften darstellen. Crisp geht von dem Bedarf einer eingehenden Auseinandersetzung von analytischen mit Theologen in den Fachgebieten der biblischen Theologie und Exegese aus. Es sei jedoch keine methodologische Voraussetzung.

Input: Analyse und Kommentar zu den Ereignissen in Israel

Johannes Hartl veröffentlichte am 11. Oktober eine 30-minütge Analyse zu den schrecklichen Vorkommnissen in Israel. Wir haben uns in der Familie verschiedene Dokumentarsendungen angesehen; Hartls Analyse gehört zum Kompaktesten, was mir bis dato begegnet ist. Wer nur wenige Momente Zeit hat, sehe sich den geschichtlichen Abriss (Minute 3-10) an.

Ganz egal, was die Anliegen sind, wenn du Frauen vergewaltigst, Kinder entführst und hinrichtest, wenn du Menschen erschießt, dann gibt es dafür keine Rechtfertigung. Dieses Opfer-Narrativ «mir ist was angetan worden und deswegen habe ich das Recht, dem anderen was anzutun, ist die Grundlage von allem Bösen in der Welt. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass Israel alles richtig macht.

… Erst mal möchte ich eine Unterscheidung treffenzwischen Krieg und Terror. Terror bedeutet gezielt Zivilisten ins Visier zu nehmen. Das ist das, was die Hamas tut. Israel bekämpft die Hamas, aber ihr Ziel ist es nicht, möglichst viele Zivilisten zu töten. … Am 7. Oktober wurden mehr Juden getötet als an jedem einzelnen anderen Tag seit dem Holocaust. Das müsste uns zu denken geben. 700 getötete Menschen! Was würdest du tun, wenn jemand in deinen Garten, in dein Haus einbricht, dich töten will, deine Frau und zwei Kinder tötet. Ich könnte nicht sagen «jetzt sucht ihr beide mal den Frieden». Wie willst du Frieden mit jemandem finden, der dich töten möchte? Er hat kein anderes Anliegen als dich zu töten. Es ist da auch sehr schwer zu sagen, es gibt immer zwei Seiten. Bei einer Vergewaltigung gibt es vielleicht auch zwei Seiten, aber es ist höchst unangemessen, bei einer Vergewaltigung zuzusehen und zu sagen, man muss immer beide Seiten hören.

… In ein Rock-, ein Musikfestival einzudringen und 250 junge Menschen zu erschießen, hat nichts mit Krieg zu tun… Es ist nicht zu rechtfertigen. Mein Herz bricht darüber, dass letztendlich die palästinensische Bevölkerung, die sein wird, die dafür den größten Zoll, zahlen wird.

PS. Leser, die sich daran aufhalten, dass ich Hartl zitiere, entgegne ich: Wahrheit bleibt Wahrheit, wo immer sie gefunden wird. Eine ausgewogene Stellungnahme zu Hartl findet sich übrigens im Artikel «Kathpop und die evangelikale Krise – eine weitere Analyse zu Hartl»

PSS. Andere, die eine detaillierte Einordnung der Ereignisse innerhalb der biblischen Prophetie erwartet hätten, empfehle ich den Beitrag von Blogger Sergej “Rechtfertigt meine Liebe zu Israel eine oberflächliche Auslegung der Schrift?” Sein Statement am Schluss: “Schlimme Zeiten erfordern eine Verwurzelung in Gottes Wort. Ich glaube, dass Gottes Wort auch Antworten auf die Fragen unserer Zeit enthält. Aber diese werden wir nicht erlangen, wenn wir Gottes Wort willkürlich auslegen oder es wie ein Zauber-Orakel verwenden.”

Zitat der Woche: Der Begriff der Allgemeinen Gnade

Der niederländische Theologe und Staatsmann Abraham Kuyper (1837-1920) hat in einem mehrbändigen Unterfangen (Band I, Band II) den Begriff der “Allgemeinen Gnade” ausgearbeitet. Er definiert diese so (in Encyclopedia of Sacred Theology: Its Principles):

Jede “besondere” Offenbarung, wie sie gemeinhin, wenn auch nicht ganz korrekt, genannt wird, postuliert die allgemeine Gnade, d. h. jenes Handeln Gottes, durch das er negativ das Wirken Satans, des Todes und der Sünde eindämmt und positiv einen Zwischenzustand für diesen Kosmos wie auch für unser Menschengeschlecht schafft, das zutiefst und radikal sündig ist und bleibt, in dem aber die Sünde ihr Endziel nicht verwirklichen kann (τέλος). Vor allem im Bund mit Noah, der die ganze Erde und alles, was auf ihr lebt, einschließt, nimmt diese “allgemeine Gnade” eine konkretere Form an. Das menschliche Leben, wie wir es kennen, ist weder ein Leben im Paradies noch ein Leben, wie es sein könnte, wenn man der Sünde erlaubt hätte, ihre endgültigen Wirkungen zu entfalten, sondern ein Leben, in dem das Böse wirklich vorherrscht und seine Verderbnis bewirkt, jedoch stets in der Weise, dass das Menschliche als solches nicht zerstört wird. Das Rad der Sünde dreht sich zweifelsfrei, aber die Bremsen sind angezogen. Das bekennen unsere Kirchen, wenn sie von Funken (scintillae) oder Resten (rudera) sprechen, die vom Ebenbild Gottes noch übrig geblieben sind, was nicht heißt, dass sie von sich aus übrig geblieben sind, als ob die Sünde diese Funken nicht ausgelöscht oder diese Reste zerstört hätte, wenn sie dass Gott die zerstörerische Kraft der Sünde durch “allgemeine Gnade” eine Zeit lang gebändigt und eingedämmt hält. Kraft des Noachitischen Bundes bleibt diese Zurückhaltung bis zur Wiederkunft in Kraft. Dann wird die Bremse vom Rad genommen, und auch diese Funken gehen in die völlige Finsternis hinaus.

James Eglinton stellt die theologische Ausarbeitung des Begriffs der Allgemeinen Gnade durch Kuyper in einen dogmengeschichtlichen Zusammenhang (im Podcast “Common Grace and the Gospel”, Minuten 7+8):

Ich denke, dass die Sprache der Entwicklung hier wirklich wichtig ist…  und zwar an Bavinck und die Idee der lehrmäßigen Entwicklung. … (Es handelt sich um) die Idee, dass die rechtgläubige (orthodoxe) theologische Grundlage der Kirche etwas ist, das weiter wächst und sich ausdehnt. Die rechtgläubige Lehre ist in der Lage stets zu wachsen, um jeder neuen Herausforderung zu begegnen. Wenn sich die Kultur weiterentwickelt, wie es die Kultur ständig tut, und wenn die Kultur neue Fragen aufwirft, dann verfügt die Kirche über eine theologische Tradition, auf die sie zurückgreifen kann. Dies bedeutet, dass einige Lehren, die bereits vorhanden sind, vielleicht weniger stark betont worden waren. (Innerhalb dieser Tradition war die Idee der allgemeinen Gnade bei) Calvin sehr explizit vorhanden, aber ich glaube nicht, dass Calvin auch nur einen Bruchteil dessen geschrieben hat, was (Abraham) Kuyper … zu einer massiven, mehrbändigen Darstellung dieser Idee ausgebaut hat.

Zitat der Woche: Bavinck und die Lehre der organischen Inspiration

Bruce Pass argumentiert in seinem Aufsatz “Upholding Sola Scriptura Today: Some Unturned Stones in Herman Bavinck’s Doctrine of Inspiration” (2018):

Der Begriff “Unfehlbarkeit” (onfeilbaarheid) war Bavinck keineswegs fremd. Kuyper verwendete den Begriff wiederholt, ebenso wie Warfield, und Bavinck war mit deren Schriften vertraut. Zweitens erscheint der Begriff “Unfehlbarkeit” mit einiger Häufigkeit in den Passagen der Reformierten Dogmatik sowohl vor als auch nach Bavincks Darstellung der Inspiration. In diesen Passagen wird der Begriff fast ausschließlich im Zusammenhang mit der Autorität der Tradition im römischen Katholizismus verwendet. Drittens findet sich in Bavincks dogmengeschichtlichem Abriss über die Lehre von der Schrift, in dem berichtet wird, dass die Kirchenväter, die mittelalterliche Scholastik und die lehramtlichen Reformatoren die Ansicht vertraten, dass die Bibel ohne Irrtum ist, eine bedeutsame Stelle. … «Gelegentlich kann man einen schwachen Versuch erkennen, eine organischere Sicht der Schrift zu entwickeln.» (RD 1:415) Angesichts der Tatsache, dass die Begriffe “organisch” und “mechanisch” ein binäres Paar bilden, impliziert diese Aussage, dass die Ansichten über die Schrift, die Bavinck gerade skizziert hatte, zu mechanisch waren. Das Fehlen des Begriffs “Unfehlbarkeit” in Bavincks eigener konstruktiver Darstellung der Lehre ist daher möglicherweise nicht rein zufällig. Bavinck könnte den Begriff “unfehlbar” durchaus mit dem mechanischen Charakter der Schriftauffassung, die er zu verbessern suchte, identifiziert haben.

… Die organische Inspiration ruft zwar eine Unterscheidung zwischen Form und Inhalt hervor. Dennoch kann die Form nicht gegen den Inhalt ausgespielt werden … Bavinck macht dies in einigen handschriftlichen Notizen, die er gegen Ende seines Lebens verfasste, sehr deutlich, wo er feststellt: ‘Die Form ist vollständig menschlich, von Anfang bis Ende. Deshalb kann es keine Trennung, keinen Gegensatz zwischen Substanz und Form geben, wohl aber eine Unterscheidung.’ Der Grund dafür, dass es keinen Gegensatz oder keine Trennung dessen geben kann, was unterschieden bleibt, ist, dass das konstitutive Prinzip des Organismus ihre Entsprechung garantiert.

… Die Unterscheidung zwischen Darstellung und Idee bietet daher eine wahrscheinliche Erklärung sowohl für Bavincks Vermeidung der Sprache der Irrtumslosigkeit als auch für seine Weigerung, das Vorhandensein von Fehlern in der Heiligen Schrift anzuerkennen. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass Bavinck die theologischen Risiken, die mit der Unterscheidung zwischen der biblischen Darstellung und der göttlichen Idee verbunden sind, nicht entgangen waren. Insbesondere sah Bavinck erhebliche Gefahren darin, dem historischen Bericht der Heiligen Schrift einen phänomenologischen Charakter zuzuschreiben. Wenn man den Bericht über ein historisches Ereignis auf diese Weise interpretiert, gefährdet man potenziell die Wahrhaftigkeit dieses Berichts. Während Bavinck also durchaus bereit war, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die Weisheitsliteratur des Alten Testaments zur Gattung der historischen Fiktion gehören könnte, scheute er sich davor, alles, was zur Gattung der Geschichte gehört, als phänomenologische Darstellung der Ereignisse zu lesen.

Auf die nicht unkritische Position von Bruce Pass wegen Bavincks Begriff des Organischen habe ich hier hingewiesen. Eine moderatere Beurteilung – der ich mich anschliesse – findet sich hier.

Zum Hören und Lesen: Indonesischer Bavinck-Forscher

Nathaniel Gray Sutanto gehört für mich zu den wichtigsten Theologen der jungen Generation weltweit. Durch seine Herkunft als Asiate (Indonesien), seine Studien in den USA und Europa und sein aktuelles Engagement in Washington DC vereint er eine globale Perspektive mit einem feinen Gespür für die kulturell drängenden Fragen des Westens. Für die Antworten schöpft er u. a. aus der ergiebigen Quelle Herman Bavincks. Dieser Podcast (45 Minuten) aus dem Jahr 2020 kurz nach seiner Ernennung in Washington bringt ihn uns als Person näher. Ab Minute 7 führt er aus, wie er zu seiner Disziplin “Systematische Theologie” gelangt war. Man lese zudem den von ihm verfassten TGC Aufsatz zum Begriff “Evangelium”.

Gray Sutanto schafft es, komplexe Themen verständlich und tiefgründig gleichzeitig zu beantworten. Zum Einstieg empfehle ich den Podcast “Herman Bavinck and the Modern World” (55 Minuten). Der Interviewer verfügt über wenig Vorwissen zum niederländischen Vordenker und stellt präzise Fragen (Min 3-14: Aktualität Bavincks, Konturen des Begriffs Weltsicht: untergründige Vorannahmen, moralische Intuitionen, einendes Zentrum; ab Min 16: die Naivität des absoluten Ausgangspunktes der Sinneswahrnehmung; ab Min 20 zum Begriff der Allgemeinen Offenbarung; ab Min 25 zum Schriftverständnis Bavincks inkl. der Analogie zur Menschwerdung Jesu und dem Verhältnis zu den Naturwissenschaften; ab Min 31 Bavincks Auseinandersetzung mit den Entwicklungen der liberalen Theologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts inkl. einer wunderschönen Argumentation zur modernen Definition des Verstandes in den Min 34-36; zirkuläres Denken und sola scriptura ab Min 38; Einordnung der Bekenntnisse und ein Vergleich zur römisch-katholischen Argumentation ab Min 40; die Rolle der Subjektivität und religiöser Erfahrung als letztem Bezugspunkt ab Min 45).

Als Weiterführung dazu empfehle ich Gray Sutantos Vorlesung “Bavinck’s Christian Worldview” (31 Minuten; 2020) begleitend zu dem gleichnamigen, neu übersetzten und kommentierten Werk (1904). Kombiniert mit der neuen Übersetzung “Philosophy of Revelation” (1908) und dem wichtigen Text “Christianity and Science” (1904) liefert es eine solide Grundlage in der Thematik “Glaube und Wissenschaft”.

Gray Sutantos Dissertation “God and Knowledge” ist 2020 in überarbeiteter Form erschienen. Eine ausführliche Rezension meinerseits wird in nächster Zeit in Glauben und Denken heute erscheinen. Eine eher knapp gehaltene Rezension ist bei Themelios veröffentlicht worden, eine ausführliche von Gijsbert van den Brink (VU Amsterdam).

Gray Sutanto ist auch Mitautor der neu erschienenen theologischen Einführung zum Neo-Calvinismus (Themelios; Acton; eigene Rezension folgt). Ein hilfreiches Interview am RTS Washington (36 Minuten), ein weiteres auf dem reformedforum.org (80 Minuten) sowie mehrere Folgen im Podcast “Grace in Common” sind zu empfehlen (Is Neo-Calvinism Theological?; General Revelation and Reason; Neo-Calvinism and Scripture; Creation and Recreation; The Image of God and the Fall of Man; Common Grace and the Gospel).

Ein weiterer hilfreich “Ausflug” stellt die akutelle Diskussion um den Bezug Timothy Kellers zu Bavinck dar. Kurz: Über den Podcast mit Keller habe ich berichtet, ebenso über den Beitrag von Gray Sutanto Doktorvater Eglinton an der kürzlich veranstalteten Konferenz in den Niederlanden.

Zitat der Woche: Maos Ethik

Erschütternd, jedoch in einer gefallenen Welt nicht erstaunlich:

Maos Einstellung zur Moral kreiste um einen Kern: das Selbst, das Ich, das über allem stand: »Ich bin nicht der Ansicht, dass das Motiv des Handelns, um moralisch zu sein, dem Nutzen anderer dienen muss. Moral muss nicht in Relation zu anderen definiert werden… Menschen wie ich möchten… unserem Herz vollauf Befriedigung verschaffen, und damit besitzen wir automatisch den wertvollsten Moralkodex. Natürlich gibt es auf der Welt noch andere Menschen und Dinge, aber sie sind alle nur für mich da.»

Mao scheute jede Form von Verantwortung und Verpflichtung, weil er sie als Zwang betrachtete. »Menschen wie ich sind nur sich selbst verpflichtet, wir haben keine Verpflichtung anderen gegenüber.« Oder: »Ich bin nur für die Realität verantwortlich, die ich kenne, und sonst für absolut gar nichts. Ich kenne die Vergangenheit nicht, ich weiß nichts von der Zukunft. Sie haben nichts mit der Realität meines eigenen Selbst zu tun.« Ausdrücklich lehnte er jede Verantwortung gegenüber kommenden Generationen ab. »Es gibt die Behauptung, man sei für die Geschichte verantwortlich. Das glaube ich nicht. Ich kümmere mich nur um meine eigene Entwicklung… Ich habe Wünsche und handle entsprechend. Ich bin niemandem verantwortlich.«

Mao glaubte nur dann an etwas, wenn es ihm persönlich nützte. Ein guter Ruf nach dem Tod, sagte er, »kann mir keine Freude machen, weil das in der Zukunft liegt und nicht zu meiner Realität gehört.« »Menschen wie ich bauen keine Leistungen auf, die sie zukünftigen Generationen hinterlassen. « Es kümmerte Mao nicht, was er hinterließ.

Er argumentierte, sein Gewissen sei ihm vollkommen gleichgültig, wenn es seinen Impulsen widerspreche: «Diese beiden sollten ein und dasselbe sein. All unsere Handlungen… sind impulsgesteuert, und ein weises Gewissen fügt sich jedes Mal. Manchmal… bremst das Gewissen einen Impuls, etwa, wenn man zu viel isst oder zu viel Sex will. Doch das Gewissen ist nur als Mäßigung gedacht, nicht als Gegner. Und die Mäßigung dient der besseren Umsetzung des Impulses.»

Weil das Gewissen immer eine gewisse Sorge um andere impliziert und nicht mit dem Hedonismus einhergeht, lehnte Mao diese Vorstellung ab. Er vertrat die Ansicht: »Ich glaube nicht, dass diese [Gebote wie ›du sollst nicht töten‹, ›du sollst nicht stehlen‹ oder ›du sollst nicht verleumdend] etwas mit dem Gewissen zu tun haben. Ich glaube, sie dienen nur der Selbsterhaltung und entstanden aus Eigennutz.« Alle Erwägungen sollten »nur auf dem eigenen Kalkül basieren, auf keinen Fall aber auf der Befolgung externer ethischer Gebote oder dem so genannten Verantwortungsgefühl…«

Maos Haltung war geprägt von grenzenloser Selbersucht und Verantwortungslosigkeit. Diese Eigenschaften waren seiner Meinung nach den «Großen Helden« vorbehalten – einer Gruppe, zu der er sich selbst auch zählte. Über diese Elite sagte er: «Alles, was ihrer Natur fern ist, wie Einschränkungen und Zwänge, muss von ihrer gewaltigen Charakterstärke hinweggefegt werden… Wenn Große Helden ihren Impulsen freien Lauf lassen, sind sie wunderbar mächtig, stürmisch und unbesiegbar. Ihre Macht ist wie ein Wirbelsturm, der sich aus einer tiefen Schlucht erhebt, oder wie ein Sexbesessener auf der Suche nach einem Partner… nichts kann sie aufhalten.»

Eine andere zentrale Charaktereigenschaft, die Mao nun in seinen Kommentaren zum Ausdruck brachte, war seine Freude an Aufruhr und Zerstörung. »Ungeheure Kriege«, schrieb er, »wird es geben, so lange Himmel und Erde bestehen, sie werden nie aussterben … Die ideale Welt der großen Gleichheit und Harmonie (da tong, die ideale konfuzianische Ge-sellschaft) ist ein törichtes Konzept.« Das war nicht einfach die Aussage eines Pessimisten, nein, Mao glaubte, dass man den Kriegszustand anstreben müsse. Auch die Bevölkerung wünschte sich das seiner Meinung nach.

»Ein lang anhaltender Frieden«, behauptete er, «ist für die Menschen unerträglich, daher müssen in diesem friedvollen Zustand immer wieder Wellen der Unruhe geschaffen werden… Ein Blick in die Geschichte lehrt uns, dass wir die Zeiten [des Krieges) verehren, in denen sich ein Drama nach dem anderen ereignete … denn dann macht die historische Lektüre großen Spaß. Die Zeiten des Friedens und des Wohlstands dagegen langweilen uns … Die menschliche Natur liebt plötzliche, schnelle Veränderungen.»

Mao setzte sich einfach darüber hinweg, dass es einen Unterschied macht, ob man über turbulente Ereignisse liest oder verheerende Umwälzungen selbst erlebt. Er ignorierte die Tatsache, dass Krieg für die überwältigende Mehrheit Elend bedeutete.

Selbst gegenüber dem Tod vertrat er eine unbekümmerte Haltung: «Der Mensch ist von Natur aus neugierig. Warum sollten wir dem Tod anders gegenüberstehen? Wollen wir nicht das Unbekannte erleben? Der Tod ist der große Unbekannte, den man nie kennen lernen wird, wenn man weiterlebt … Manche fürchten sich davor, weil die Veränderung zu drastisch ist. Aber ich denke, dass gerade das so wunderbar daran ist: Wo sonst auf der Welt können wir eine so phantastische und drastische Veränderung erleben?»

Unter Verwendung des majestätischen »Wir«, fuhr Mao fort: » Wir lieben es, auf einem Meer des Aufruhrs zu segeln. Wenn man sich vom Leben in den Tod begibt, ist das der größte Aufruhr. Ist es nicht wunderbar!« Diese Aussage wirkt auf den ersten Blick vielleicht surreal, passt aber zu einer späteren Äußerung Maos. Als unter seiner Herrschaft über 1o Millionen Chinesen verhungerten, erklärte Mao seinem inneren Führungskreis, es spiele keine Rolle, wenn Menschen sterben würden, dass der Tod vielmehr gefeiert werden müsse. Wie so oft wandte er diese Maxime nur auf andere Menschen an, nicht aber auf sich selbst. Sein Leben lang war er förmlich besessen davon, Mittel und Wege zu finden, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Er perfektionierte seine Sicherheit und nahm stets die beste medizinische Betreuung in Anspruch.

Bei der Frage » Wie verändern wir [China]?« betonte Mao vor allem die Macht der Zerstörung: »Das Land muss… zerstört und dann neu geformt werden.« Diese Aussage übertrug er auf die ganze Welt – selbst auf das Universum: »Das gilt für das Land, die Nation und die Menschheit… Die Zerstörung des Universums ist nichts anderes… Menschen wie ich sehnen sich nach seiner Zerstörung, denn wenn das alte Universum zerstört ist, wird ein neues Universum gebildet. Das ist doch besser!«

Diese Ansichten, die Mao mit vierundzwanzig so deutlich formulierte, bildeten sein ganzes Leben lang den Kern seines Denkens. 1918 waren die Aussichten gering, dass er sie je in die Praxis umsetzen würde, daher hatten sie keine Wirkung. 

Jung Chang. Jon Halliday. Mao. Das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes. Pantheon (2005:29-32).

Rezension: 12 Todesregeln – diszipliniert in die Hölle

Rezension von Lars Reeh

Ich mag Jordan Bernt Peterson und bin auch ein bisschen neidisch auf ihn, weil er über fünf Millionen Bücher verkauft hat. Aber er ist einer der größten Irrlehrer unserer Zeit; darauf bin ich nicht neidisch!

Diesen Sommer habe ich 12 Rules for Life gelesen; als Vorbereitung für ein Seminar der Josia-Konferenz 2023. Ich befasste mich zuvor schon seit Jahren peripher mit Peterson und stand ihm recht positiv gegenüber. Klar er ist kein Christ, aber seine praktische Ethik ist in weiten Teilen ansprechend (traditional marriage, …). Ebenso imponierte mir seine mutige Haltung gegenüber dem Zeitgeist. Nach der Lektüre seines Hauptwerkes sehe ich mich nun allerdings gezwungen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Weltanschauung des Dr. Jordan B. Peterson ist in weiten Teilen anti-christlich. Als Beleg dafür könnte ich jetzt die 12 Regeln (oder die 42 Regeln) durchdeklinieren. Jedoch beschränke ich mich in diesem Text auf den Kern der Peterson-Philosophie: Meister Jordan vertritt einen dialektischen Dualismus. Die beiden Pole bilden Chaos und Ordnung (nicht mit Gut und Böse zu verwechseln!). Alles, aber auch wirklich alles findet zwischen diesen beiden Polen statt; sogar Gott. Dies würde man, laut Peterson, an den Mythen der Menschheit erkennen. Peterson schmeißt hier alles in einen Topf: Buddha, die Bibel, die hinduistischen Veden und den ägyptischen Osiris Mythos. Im Sinne des Dualismus dürfen Ying und Yang natürlich auch nicht fehlen. Dadurch kreiert Peterson eine Art Meta-Mythos; einen Myth-Mashup, welcher zu einer dialektischen Superreligion führt. Der Mensch wird dabei – klassisch humanistisch – auf sich selbst zurückgeworfen. Man müsse sich selbst quasi am eigenen Schopfe aus dem Schlamassel ziehen. Dabei sind die Imperative, nun ja, eben Imperative (‚Streng dich an, räum dein Zimmer auf, viele kleine Schritte, sei geduldig, immer wieder aufstehen`, usw.) Das alles kommt ohne Gnade aus. Jesus Christus wird als Vorbild gesehen, nicht jedoch als Herr und Erlöser. Bei dem kanadischen Psychologen ist der Weg das Ziel; faustischer Drang american style – hustlen bis zum next level.

Übrigens ist das Wahrheitsverständnis des Doktors in diesem Sinne ebenfalls prozesshaft. In seinem Konservativen Manifest [sic!] aus dem Jahre 2022 verneint er das Dogma:

(…), und dass die Wahrheit selbst niemals in einer bestimmten Reihe von Fakten oder einem speziellen Wissensbestand zu finden ist. Vielmehr ist in ethischer Hinsicht das echte Vorwärtsstreben der eigentliche Ausdruck der Wahrheit und damit die gültigste Manifestation der Wahrheit selbst. (Konservatives Manifest: deutsche Ausgabe S. 15-16)

Im Kontext von Petersons werkegerechter, moralistischer Lebensformel entsteht somit folgendes Leitziel:

Die Selbstrechtfertigung des Individuums durch Verantwortungsübernahme im Spannungsfeld von Chaos und Ordnung.

Dass es Peterson mit der Selbstrechtfertigung des Menschen ernst ist, macht er in folgendem Zitat mehr als deutlich:

Sie werden möglicherweise feststellen, dass Sie, wenn Sie diese moralischen Verpflichtungen erfüllen, wenn Sie der Aufgabe, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, die oberste Stelle in ihrer Wertskala eingeräumt haben, dass sie dann fühlen, dass ihr Leben von einem tiefen Sinn erfüllt wird. Es ist kein Gefühl von Seligkeit. Es ist kein Gefühl von Glück. Es ähnelt mehr einem Buße tun für den verbrecherischen Tatbestand ihres zerrütteten und beschädigten Seins. Einem Begleichen dessen, was Sie für das irre und schreckliche Wunder ihrer Existenz schuldig sind. Es hat damit zu tun, wie Sie des Holocausts gedenken. Wie Sie Wiedergutmachung für die krankhaften Auswüchse der Geschichte leisten. Wie Sie Verantwortung dafür übernehmen, ein potenzieller Gast der Hölle zu sein. Es ist die Bereitschaft, als ein Engel des Paradieses zu dienen. (12 Rules for Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt. S. 310)

Der Untertitel von 12 Rules for Life ist ja An Antidote to Chaos. Es sollte eher An Antidote to the Gospel heißen. Indem Peterson eine werkegerechte Selbsterlösung predigt, werden seine Lebensregeln zu Todesregeln. Dieses Amalgam aus Werkegerechtigkeit und tiefenpsychologischer Bibelexegese wirkt wie ein säkularer Katholizismus gepaart mit einer freikirchlichen, homiletischen Anwendungsorientierung. Wer sich fragt, ob Peterson mittlerweile nicht vielleicht doch dem christlichen Glauben näher gekommen ist, dem empfehle ich diesen aktuellen Interviewausschnitt. Der Journalist Piers Morgan stellt Peterson die einfache Frage, ob dieser an Gott glaube. Den verbalen Eiertanz den Peterson daraufhin aufführt lässt sich mit einem Wort beschreiben: Chaos!

Anmerkung des Blogbetreibers zur Rezension

Ich (Hanniel) habe mit Lars über das Prädikat „Irrlehrer“ gesprochen. Wir waren uns einig, dass dieses im engeren Sinn nur verliehen werden kann, wenn der Betreffende einen Anspruch darauf hat, die christliche Lehre zu vertreten. Mit den umfangreichen Biblical Series (Genesis; Exodus) – Vorlesungen von Peterson zu Bibelbüchern – ist dies durchaus gegeben. Dazu kommt, dass viele Christen unkritisch auf Peterson „abfahren“. 

Zudem ist es wichtig zu beachten, dass die Bibel zwischen erhaltender Gunst und erlösender Gnade unterscheidet. In dieser Unterscheidung gesprochen kann ein nicht erlöster Mensch als Bürger korrekter, erfolgreicher und sogar äusserlich zufriedener sein als ein erlöster Mensch.

Auf diesem Blog habe ich oft über Selbstführung gesprochen. Die oben zugespitzte Argumentation bedeutet nicht, dass wir keine Veränderung unserer Gewohnheiten bräuchten – im Gegenteil. Unsere Gefühle und Handlungen sollen geheiligt werden.

Zu weiteren Beiträgen von Lars Reeh

Input: Die Offenbarung buchstäblich verstehen?

Dass wir die literarische Form sorgfältig berücksichtigen sollen, macht dieses Beispiel klar:

Einige Fälle von Wörtlichkeit (Literalismus) erscheinen mir seltsam, unvernünftig und unnötig. Robert Thomas ist zum Beispiel der Ansicht, dass die unheimlichen Heuschrecken in Offenbarung 9 und die seltsamen Frösche in Offenbarung 16 Dämonen sind, die buchstäblich diese seltsamen körperlichen Formen annehmen, dass die beiden Propheten in Offenbarung 11 buchstäblich Feuer aus ihren Mündern speien, dass jeder Berg der Welt während des siebten Schalengerichts vernichtet wird, dass die feurige Zerstörung der buchstäblichen Stadt Babylon mehr als 1000 Jahre lang schwelen wird, dass Christus auf einem buchstäblichen Pferd vom Himmel zur Erde zurückkehren wird und dass das neue Jerusalem buchstäblich ein 1500 Meilen hoher Würfel ist.

Kenneth L. Gentry Jr., “A Preterist View of Revelation”, in Four Views on the Book of Revelation, ed. Stanley N. Gundry und C. Marvin Pate, Zondervan Counterpoints Collection (Grand Rapids, MI: Zondervan, 1998), 40.
Bezüge: Thomas, Revelation 1–7, 455, and Revelation 8–22, 30, 46, 49, 90, 264, 360, 386, 467.

Siehe auch Vier Interpretationsschulen für das Lesen der Offenbarung; Exzellenter Offenbarungs-Kommentar in Corona-Zeiten; Bullinger über das Buch der Offenbarung

Zitat der Woche: Von den Kirchenvätern auf das Evangelium hingewiesen

W. P. Stevens schreibt im Aufsatz über Bullingers Dienst und Leben (in The Theology of Heinrich Bullinger, 2019, 19-22):

Bullinger berichtet, dass er 1520 vor der Frage stand, ob die Lehre Luthers oder des Papstes richtig sei. … Dort (in Köln) las er die Predigten von Chrysostomus über Matthäus und fand und fand, dass sich die Väter sehr von Lombard und Gratian im Umgang mit der Schrift unterschieden, begann er Ambrosius (Ambrosiaster), Origenes und Augustinus zu lesen.

… In einem Brief an Rudolf Asper vom 30. November 1523 spricht Bullinger von den Vätern, die ihn auf das Evangelium hinwiesen, weil sie sich auf die Schrift beriefen, und sich mit ihrem Sinn und ihrer richtigen Auslegung beschäftigten. … Die Heilige Schrift enthält alles, was für das Heil notwendig ist. Sie ist das Kriterium für die für die Lehre der Kirche, und Versuche, sie durch mündliche Überlieferung oder durch die Lehre der Väter oder der Schulmänner zu ergänzen, sind zu verwerfen.

… Bullinger verdankte seine Entwicklung dem Einfluss der humanistischen Studien in seiner Entwicklung, aber er war ein Humanist, von dem es wichtiger war zu sagen, dass er ein Reformator war. Seine humanistischen Studien verwandelten ihn nicht in einen Reformator, auch wenn sie dazu beigetragen haben mögen, sondern sie vermittelten ihm das Rüstzeug für einen Reformator. … Als Kommentator stand er in der Schuld von Erasmus, von dem er einige Werke in Köln las, aber der Einfluss von Erasmus vollzog sich bei ihm, als er bereits ein Reformator oder zumindest angehender Reformator war.

… Bullinger hatte  bereits ein reformatorisches Verständnis des christlichen Glauben angenommen, bevor er Zwingli begegnete. Dennoch sollte seine Beziehung zu Zwingli der wichtigste Einfluss für den Rest seines Wirkens sein. Es ist nicht so, dass er von Zwingli abhängig gewesen wäre. In der Tat kam Bullinger in der Frage der Eucharistie, die Luther, Zwingli und Calvin entzweite, zu einer ähnlichen, aber nicht identischen Ansicht, aber er tat dies unabhängig von ihm.

Vorträge … zu Timothy Kellers Lebenswerk

Seit Monaten folge ich neugierig dem tiefgründigen Podcast Grace in Common (Referenzen u. a. Blühende Bavinck-Forschung, Umgang mit philosophischen Konzepten/Begriffen, Christopher Watkin, Tsengs Analyse von Karl Barth, Timothy Keller zu Herman Bavinck, ). Eben haben die vier Theologen aus drei Kontinenten über Timothy Kellers Buch Center Church diskutiert.

An einer Konferenz in den Niederlanden wurde Timothy Kellers Werk bereits diskutiert. Das ist erstaunlich angesichts der Tatsache, dass Keller 2023 verstorben ist (hier geht es zur eindrücklichen Trauerfeier; mein Nachruf). Besonders interessiert folgte ich den Ausführungen Englintons (Tim Keller and American Neo-Calvinism), der anhand von Kellers “Center Church” dessen enge Verbindung zum Neo-Calvinismus herausarbeitete. Seine These, die er untermauert: Nicht die explizite Erwähnung von Abraham Kuyper, Herman Bavinck oder Gerhardus Vos – sie werden kaum genannt -, sondern vielmehr durch sein Studium wichtiger Rezipienten wie etwa Meredith Kline und vor allem Edmond Clowney (gerne verweise ich auf die Predigten zu Christus im AT oder sein Buch The Unfolding Mystery: Discovering Christ in the Old Testament). Eigentlich hatte dies schon viel früher im Studium mit der stark von Bavinck geprägten Systematic Theology aus der Feder von Louis Berkhof begonnen.

So steht Keller – nicht überraschend – inhaltlich in der Linie Bavincks, auch wenn er erst gegen Ende seines Lebens explizit über den Neo-Calvinismus sprach; siehe James Eglinton on Herman Bavinck: Tim Keller’s Formation (2023); Tim Keller and Gray Sutanto on Bavinck, Epistemology, and Ministry in Global Cities (2020). Wer Eglintons Ausführungen über den Anknüpfungspunkt in der Predigt (Preaching and the Point of Contact) gehört hat, greift gerne erneut zu Kellers Buch Predigen (meine Rezension aus 2018).

Ich empfehle zudem:

Im März 2023 habe ich eine eigene Einführung in Kellers Leben und Werk gehalten (50+ Minuten).