Das Evangelium ist nicht nur Startpaket für den Glauben

Hier wird über das häufige Missverständnis diskutiert. Einige Schnipsel:

Einer der größten und am weitesten verbreiteten Fehler in unseren heutigen Gemeinden ist es, dass man denkt, das Evangelium sei etwas für Ungläubige und frisch Bekehrte, diejenigen aber, die im Glauben gewachsen seien, brauchten es nicht mehr ständig zu hören, sondern könnten sich höheren Lehren zuwenden.

Ich beobachte …, dass das Evangelium gerne als Startpaket nur für den Anfang im Glauben gesehen wird, doch im darauffolgenden Glaubensleben fast keine Rolle mehr spielt, weil es ja nur das Startpaket ist. Das führt … zur falsch verstandenen Verkündigung der Botschaft des Evangeliums. Evangelium immer nur als Startpaket. Doch das führt schnell zur Resignation. Es geht aber nicht darum, dass “(fast) nur evangelisiert wird”, sondern es geht um die Frage, wie die weiterführende Lehre (auf welchem Gebiet auch immer, z.B. Ehe und Kindererziehung, Kampf mit Gebundenheiten – also Fragen der Heiligung) mit dem Evangelium verknüpft und vom Evangelium durchdrungen werden kann.

Die fälschliche Trennung beruht darauf, dass wir gerne mit der Gnade anfangen (“Evangelium für Ungläubige”), danach aber dann im Fleisch (aus eigener Kraft) vollenden wollen. Dies ist auch einer der Ursachen, warum wir soviel Kraftlosigkeit und Nöte in unseren Gemeinden haben. Die Quelle unserer Kraft ist das Evangelium Jesu Christi. Wir werden aus dieser Quelle erlöst und wir müssen täglich aus dieser Quelle leben.

Dem Tod kann keine Klugheit ausweichen

Ach, hätten wir doch im Paradiese so fromm gelebt, dass es in der Tat keinen Tod gäbe! Nun aber ist er nicht nur, sondern obendrein so notvoll, dass keine Redekunst ihn beschreiben, keine Klugheit ihm ausweichen kann.

Aurelius Augustinus. Vom Gottesstaat. dtv: München 2007. (13,11)

Wir ziehen dann an, wenn wir Freiraum geben sollen (und umgekehrt)

Zuweilen habe ich den Eindruck, dass wir in der Kindererziehung einen fatalen Fehler begehen: Wir gängeln unsere Kinder in Details, in denen wir ihnen Freiraum zum Wachsen geben sollten; und wir lassen sie dort frei, wo sie Führung dringend benötigen würden.

Im Vergleich: Wir korrigieren unsere Kinder beim Legospielen (buchstäblich oder auch sinngemäss) – indem wir ihnen andauernd die Steine wegnehmen und ihnen zeigen, wie man ‚richtig‘ baut. Andererseits geben wir sie in Tagesstätten und Schulen ab und überlassen sie ihren eigenen Erfahrungen. Wir nehmen uns kaum Zeit ihre Erfahrungen zu reflektieren.

Müssen wir heute wieder das spielen, was wir wollen?

Kinder, die sich selbst überlassen sind, sind nicht emanzipiert, sondern überfordert.

Was seiner allzu vorzeitigen emanzipierten Selbständigkeit dienen sollte, ist in Wirklichkeit eine Überforderung. Ihm werden Entscheidungen abverlangt, denen es nicht gewachsen ist und die ihm das Glück der Behütung rauben. Insofern ist die Frage eines Kindes in einem Hamburger Kinderladen höchst bezeichnend: „Tante, müssen wir heute wieder das spielen, was wir wollen?“

Überforderte Freiheit ruft nach neuer Steuerung. Darum ist sie anfällig für die stärkte Kommandostimme:

Die vermeintlich freiheitliche Emanzipation von Autorität und Tradition führt gerade nicht zu der erstrebten Freiheit, sondern lässt diese als überfordernden Zwang zu permanenter Selbstbestimmung empfinden und schliesslich an die stärkste Kommandostimme delegieren. Die Wendung gegen die Autorität beschwört so die Pseudoautorität der Despotie herauf.

Ich wage deshalb zu behaupten: In unserem „aufgeklärten“ Westen wachsen Generationen an labilen Menschen heran, die für alle Arten von Kommandostimmen empfänglich sind!

Aus: Helmuth Thielicke. Mensch sein – Mensch werden. Piper: München 1976. (252-254)

Freie Wahl?

Hat Gott den Menschen von Anfang an zur Freiheit, zu freier Wahl zwischen Gutem und Bösem geschaffen? So höre ich dies immer wieder. Böhl setzt dieser Ansicht folgende Argumente entgegen:

Diese freie Selbstentscheidung wäre aber ein independenter (unabhängiger) Akt, wobei der Mensch völlig sich selber bestimmte und Gott das Zusehen hätte. Hier hätte Gott also die Kreaturen zum Kreator gemacht; eine ewige Freizügigkeit wäre den Menschen beschieden worden, die beständig freie Wahl, bei Gott zu bleiben oder nicht. Gott und Mensch fallen hier dualistisch auseinander; Gott findet seine Grenze am Willen des Menschen und muss, da er sich einmal mit ihm auf eine Linie gestellt, schliesslich nicht alles so genau nehmen; er muss nachgeben mit Verletzung seiner Heiligkeit. Er kann seinen Weltplan nicht nach seinem Willen durchführen, sondern muss ihn ändern. Gott hätt Wesen sich gegenübergestellt, welche im Grunde ebenso selbstherrlich wären, wie er selber. Ja, im Grunde hätte er Wesen geschaffen, die grössere Dinge als Gott vollbringen. Denn Gott ist schon gut; er braucht nicht etwa erst mit Mühe gut zu werden, was doch vom Menschen verlangt würde. Er hätte bei ihnen sich zu bedanken, dass sie mitgewirkt zur Förderung und Erreichung seines Weltplanes. Ja, was noch schlimmer ist, Gott der Absolute müsste auch den seltsamen Ausgang der Weltentwicklung sich haben gefallen lassen: dass alle seine Kreaturen ihn möglicherweise im Stiche liessen, durch Abwendung von ihm, und so seinen Plan mit der Welt vereitelten. (211)

Die nächste Frage, die sich stellt, ist diese: Warum hat den Gott den Menschen nicht derart geschaffen, dass er nicht abfiel?

Der Mensch ist wandelbar gut geschaffen; ihm ist diese Güte bedingungsweise verliehen – unter der Bedingung, dass er sich unter Gott beuge, sein Gebot bewahre und damit seine Stellung als Untertan einhalte. … Das Gebot ist nicht etwa eine Zumutung an des Menschen freien Willen; es ist nicht gegeben, um seiner Freiheit ein Übungsfeld zu eröffnen. Nein, es stellt den Menschen hin als das, was er ist – als Untertan, als geschaffen, als wandelbar gut. (203)

Es konnte Gott nicht zum Gesetz gemacht werden, dass er den Menschen so mache, dass er durchaus nicht abfiel. Es liegt eben im Wesen der Kreatur, veränderlich zu sein, während Gott allein von Anbeginn gut ist. (204)

Ich glaube, dass wir weder den Ursprung der Sünde noch den Fall des Menschen restlos auszuleuchten vermögen. Manches bleibt ein Geheimnis.

Indem also Gott dergestalt den Fall nicht verhinderte, so ist er damit noch nicht Urheber der Sünde, sondern nur dies kann man sagen: dass Gott vom höheren Standpunkt aus urteilend, das sündigen wollend zuliess, auf dass es ausschlage zu seiner um so grösseren Verherrlichung. (207)

Aus: Eduard Böhl. Dogmatik. RVB/VKW: Hamburg/Bonn 2004.

Unterscheide zwischen Sünde und Schwachheit

Es existiert eine feine Trennlinie zwischen dem, was die Bibel Sünde nennt, und einem Bereich, den sie als Schwachheit bezeichnet. Zuweilen bringen wir die beiden in der Praxis durcheinander. Ein persönliches Beispiel: Ein Wesenszug meiner Persönlichkeit (die sicherlich durch meine Biografie mitgeprägt ist) ist die Fähigkeit sich über eine lange Zeit voll zu konzentrieren. So kann ich über mehrere Stunden einer anspruchsvollen Darlegung folgen ohne abzuhängen. Die Kehrseite dieser Fähigkeit ist die Unfähigkeit in gewissen Momenten abzuschalten. Gerade wenn ich mich so stark konzentriert habe, gelingt es mir kaum mehr, meine “Maschine” abzuschalten. So bekomme ich beispielsweise im Bus ganze Gespräche mit, die ich nachher lückenlos zusammenfassen könnte. Dies hat zur Folge, dass meine Maschine in Momenten, in denen ich schlafen sollte, weiter läuft. Das heisst: Während sich andere bereits im Bus entspannen konnten (oder gar während einer Sitzung oder Vorlesung), komme ich erst viel später zur Ruhe.

 Während die Trennlinie zwischen Sünde und Schwachheit von Gott her wohl klar ist, fällt uns Menschen die Unterscheidung schwierig. Weil wir prinzipiell von uns selbst und unserer eigenen Erfahrung ausgehen, beurteilen wir die anderen aus unserem Verständnisrahmen heraus. Deshalb bringen wir Schwachheit und Sünde oft durcheinander. Wir entschuldigen uns unserer Sünden und beschuldigen einander bei Schwachheiten.

Papablog (88): Er kennt mich nicht mehr.

Nach acht Tagen Auslandaufenthalt bin ich nach Hause zurück gekehrt. Meine älteren vier stürmen freudig auf mich zu. Der jüngste, sechs Monate alt, wendet sich von mir ab. Er fremdet, weil er mich mehrere Tage nicht mehr gesehen und gehört hat. So schnell geht das! Als ich ihn später in den Arm nahm, begann er nach einer Weile, an den Haaren meiner Arme zu zupfen. Ab diesem Moment wusste ich: Er wusste wieder, wer ihn in den Armen hielt.