Der fünfte Bub (98): Tasta basta.

Wir haben ein Programm zum Erlernen des Zehnfinger-Systems gekauft. Mein Ältester möchte unbedingt beginnen. Er ist davon fasziniert, dass die Fehler in Prozenten berechnet werden. Nach einigen Wochen Laufzeit sage ich nur dazu: Es sind kleine (Fort-)Schritte, die er macht, darum eine Charakterübung. Es geht um die Grundstellung. Und wir gehen erst dann weiter, wenn er die Übung beherrscht.

Der fünfte Bub (97): Das Unternehmen geht weiter.

Das Unternehmen ging trotzdem noch weiter. Eines Abends meinte mein Zweiter aufgeregt: “Heute ist die letzte Chance. Morgen kommt der Regen.” Also rückten wir abends um acht mit Leiter, Schere und Sack aus, um die Blüten zu sammeln. Auf dem Heimweg holten wir noch den Rat des Nachbarn ein: Er gab uns nicht nur fünf passende Flaschen mit Verschluss, sondern darüber den wertvollen Tipp, woher diese stammten – vom Getränkemarkt Rio. Wir recherchierten im Netz Preis, Adresse und Anreise. Am nächsten Tag drückte meine Frau den Ausflug in ihr ohnehin schon dicht gedrängtes Tagesprogramm. Und sie kehrten mit reicher Beute zurück: 20 Flaschen für den Sirup.

Bedrängt von der eigenen Sündhaftigkeit: Die Vorwehen der Erweckung

Diese Ausschnitte haben mich beim Lesen geschüttelt:

Seitdem ich in dieser Stadt wohne, hat mich der Blick auf meine eigene Sündhaftigkeit und Nichtswürdigkeit oft schwer bedrängt; sehr häufig in einem solchen Maß, dass ich infolgedessen laut weinen musste, manchmal sogar eine beträchtliche Zeit lang, sodass ich häufig gezwungen war, mich einzuschließen. Ich habe dadurch meine Niedertracht und die Bosheit meines Herzens viel stärker empfunden, als dies jemals vor meiner Bekehrung der Fall war. Oft kam es mir vor, als wäre ich in den Augen Gottes, wenn er die Bosheit bekannt machen würde, der allerschlechteste aller Menschen – aller, die von Anbeginn der Welt bis heute je gelebt haben. Dabei hatte ich den Eindruck, dass mir der weitaus niedrigste Platz in der Hölle zugedacht wäre. Meine Schlechtigkeit, wie sie sich in meinem Wesen zeigt, erscheint mir schon seit Langem völlig unaussprechlich. Es ist, als seien all meine Gedanken und Vorstellungen darunter begraben – wie bei einer ungeheuren Flut oder wie im Falle von Bergen, die über meinem Haupt aufragen. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, welchen Eindruck ich von meinen Sünden habe. Könnte ich es besser tun, als wenn ich sagte, dass ich unendlich auf unendlich türmen und unendlich mit unendlich multiplizieren müsste? Sehr oft sind seit diesen vielen Jahren diese Ausdrücke in meinem Geist und in meinem Mund gewesen: »Unendliche Schuld häuft sich auf unendliche Schuld … Unendlich, ja, unendlich!« Wenn ich in mein Herz blicke und meine Bosheit betrachte, erscheint es mir wie ein Abgrund, unendlich tiefer als die Hölle. (148-149)

Murray kommentiert dazu:

Er hatte aus eigener Erfahrung gelernt, was andere vor ihm festgestellt hatten: Diejenigen, die nur eine schwache Vorstellung von der wahren Natur der Sünde erlangten, bestanden auf der Fähigkeit des Menschen, Buße tun und glauben, die Sünde hassen und Gott lieben zu können. Wer aber den wahren Zustand der menschlichen Wesensart versteht, kann nur in der Erkenntnis Trost finden, dass Gott aufgrund seines souveränen Wohlwollens und zum Preis der Herrlichkeit seiner Gnade Menschen errettet. Geistliche Erfahrungen und fundierte Theologie gehören zusammen. (150)

Dann wieder Edwards:

Ich erkannte Folgendes: Es muss aus freier Gnade geschehen, dass wir zu der unendlichen Höhe der ganzen Fülle und Herrlichkeit des großen Jahwe emporgehoben und erhöht werden – zum Arm seiner Macht und Gnade, ausgestreckt in aller Majestät seiner Macht und in aller Herrlichkeit seiner Souveränität. Wenn dies nicht so wäre, würde mir sein, als versänke ich in meinen Sünden selbst noch unter die Hölle – weit unter alles, wohin irgendetwas oder irgendjemand blicken könnte, außer dem Auge der souveränen Gnade, das selbst eine solche Tiefe zu durchdringen vermag. Und doch scheint mir meine Sündenerkenntnis überaus klein und schwach zu sein, zumindest dahin gehend, dass sie ausreicht, mich in Erstaunen zu versetzen, kein tieferes Sündenbewusstsein zu haben … Ich habe jetzt ein stärkeres Bewusstsein meiner allumfassenden, außerordentlichen Abhängigkeit von Gottes Gnade und Kraft. In letzter Zeit habe ich mehr Freude, als ich früher besaß; und ich erlebe einen größeren Abscheu vor meiner eigenen Gerechtigkeit. Schon der Gedanke daran, dass in mir etwas aufsteigt, dessen ich mich erfreuen könnte, erregt in mir Übelkeit und Abscheu. Das Gleiche gilt, wenn ich meine Liebenswürdigkeit, Leistung bzw. Erfahrung oder irgendeine Güte des Herzens und des Verhaltens betrachte. Und doch werde ich stark durch eine von Stolz und Selbstgerechtigkeit gekennzeichnete Gesinnung angefochten, was mir jetzt viel stärker bewusst wird als früher. Ich sehe, dass die Schlange den Kopf erhebt und nach mir stößt – immerfort, überall und rings um mich her. (151-152)

Murray zitiert dann Shedd:

Wie W. G. T. Shedd schreibt, muss diese Wahrheit, wo immer sie in rechter Weise aufgenommen wurde, praktische Folgen haben: »Ohne sie sind einige unerlässliche Kennzeichen einer echten christlichen Erfahrung unmöglich. Darum wendet Paulus sie unentwegt an, um wahre Buße angesichts der Sünde, tiefe Demütigung vor Gott, äußerstes Misstrauen gegen sich selbst, alleiniges Vertrauen auf das Opfer Christi sowie eine frohe Erlösungshoffnung und -zuversicht hervorzurufen. Paulus möchte nicht, dass der Sünder auf die eigene Fähigkeit und darauf baut, was Gott ihm (angeblich) schuldig ist. Vielmehr soll er darauf vertrauen, was in Gottes gnaden reichem und unverdientem Ratschluss sowie in seiner Bundesverheißung begründet liegt. (153)

Und hier ein Ausschnitt aus Edwards’ berühmter Rede in Boston:

Der Mensch neigt von Natur aus in verhängnisvoller Weise dazu, sich selbst zu erheben und auf die eigene Kraft oder Güte zu vertrauen, als ob er erwarten könne, sein Glück aus sich selbst hervorzubringen. Er tendiert stark dazu, viel von Vergnügungen zu halten, die mit Gott und dem Heiligen Geist nichts zu tun haben. Darin versucht er, sein Glück zu finden. Aber diese Lehre sollte uns die Lektion vermitteln, Gott allein zu erheben – sowohl durch Hoffen und Vertrauen als auch durch Loben. Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn! Hofft irgendjemand darauf, errettet und geheiligt zu sein, und darauf, dass sein Geist wahre Vortrefflichkeit sowie geistliche Anmut besitzt? Hofft er, dass seine Sünden vergeben sind und er Gottes Gnade empfangen hat? Besteht seine Hoffnung darin, dass er zu der Ehre und der Glückseligkeit gelangt ist, ein Gotteskind und ein Erbe des ewigen Lebens zu sein? Möge er Gott alle Ehre geben, der allein ihn aus dem Kreis der schlechtesten Menschen auf dieser Welt oder der Elendesten unter den in die Hölle Verdammten herausgehoben hat. (157)

 Watts und Guyse schreiben im Vorwort der Veröffentlichung der Rede:

Wo immer Gott mit Macht in seinen Heilsabsichten am Geist der Menschen wirkt, da wird mancherorts ein Gespür für Sünde zu finden sein. Man wird sich der Gefahr des göttlichen Zorns und der Allgenugsamkeit seines Sohnes Jesus Christus bewusst sein, die uns von all unseren geistlichen Nöten und Kümmernissen befreien kann. (Isaac Watts und John Guyse) (163)

Aus: Iain H. Murray. Jonathan Edwards. CLV: Bielefeld 2011.

Eine Liturgie des Bekennens

Wichtig und hilfreich: David Powlison hat (angelehnt an das Common Book of Prayer der Anglikanischen Kirche) eine "Personal Liturgy of Confession" entwickelt. Hier geht es zum Text inkl. Kommentaren.

Almighty and most merciful Father,

I have erred and strayed from your ways like a lost sheep.

I have followed too much the devices and desires of my own heart.

I have offended against your holy law.

I have left undone those things which I ought to have done, and I have done those things which I ought not to have done. And there is no health in me.

But you, O Lord, have mercy upon me, miserable offender. Spare me, O God, I who confess my faults. Restore me when I turn to you according to your promises that you have declared to me in Christ Jesus, my Lord.

Grant, O most merciful Father, for Jesus’ sake, that I may hereafter live a godly and righteous and sober life to the glory of your holy name.

He pardons and absolves all those who truly repent.

Almighty God, Father of all mercies,

we, your unworthy servants, do give you most humble and hearty thanks for all your goodness and lovingkindness to us, and to all men.

We bless you for our creation, preservation, and all the blessings of this life;

but above all, for your inestimable love in the redemption of the world by our Lord Jesus Christ; for the means of grace, and for the hope of glory.

And, we beseech you, give us that due sense of all your mercies, that our hearts may be unfeignedly thankful;

and that we show forth your praise, not only with our lips, but in our lives, by giving up our selves to your service, and by walking before you in holiness and righteousness all our days;

through Jesus Christ our Lord, to whom, with you and the Holy Spirit, be all honor and glory, world without end.

Amen.

Lies Bavinck!

Carl R. Trueman schildet (hier) seine Lebenswende – durch das Studium von Berkouwer, der ihn wiederum zu Herman Bavinck geführt hat.

…his work provided me with a model for theological study which helped me to realise that thinking and orthodoxy are not mutually opposed. Here was a man who was conversant with the historical theological tradition, who was well aware of the significance of the Kantian critique of knowledge for theological construction, who was adept as a systematician and as an exegete, but who also had a heart devoted to the Lord who had bought him.

Warum soll der Theologe heute relevant sein?

Well, in conversation with theological students around the country, it often seems to me that one major problem faced by many is the development of a way of thinking theologically which neither retreats into a ghetto and adopts a ‘seek out and destroy’ mentality towards every new idea which crosses their path, nor capitulates unconditionally at the first objection to their faith which they cannot immediately answer. Such students need their theological confidence boosted by good role models of a kind provided neither by the tunnel-vision of the specialist scholars who epitomise the fragmented nature of the theological discipline today, nor the platitudes of self-appointed evangelical gurus whose latest blockbuster tells them what they know already.

Wir rufen nach Werten und zerstören deren Grundlage

Given the moral collapse of our culture, we clamour for the very qualities of character that we make impossible to obtain. We cry out in ourpost-Oklahoma City bombing, post-Columbine, post-911, post-Enron and post-World Com culture for values and virtues, and yet we are destroying the foundations by which such things could be established. Everywhere we turn, we hear desperate calls for justice, courage, temperance and prudence, if not for faith, hope, and love. But why should we expect these things be cultivated if we have debunked the basis for them all?

David Naugle, in seiner Vorlesung über die Erziehungsphilosophie von C. S. Lewis

Der fünfte Bub (96): Holunder zum zweiten.

Vor einem Jahr habe ich über meine Erlebnisse bei der Gründung von “fruchtwucht” berichtet (“Wir gründen eine Firma”; “Eifer allein genügt nicht”). Das Thema haben wir heuer wieder aufgenommen. Das heisst: Nicht die Buben haben es aufgebracht, sondern ich. Irgendwie war ich frustriert: Die Idee war lanciert, Businessplan erstellt, Flaschen besorgt, Holunderblüten gepflückt, Sirup gemacht, Ladung verkauft… und das war’s. Keine Unternehmerinitiative. Keine Frage nach Erhöhung der Absatzmenge. Kein Interesse am Verkauf. Was fehlt hier nur?

Gott lässt eine Sünde geschehen, die er gleichzeitig missbilligt

Vor zwei, drei Tagen habe ich einen kurzen Beitrag zum Thema “Starb Christus für alle?” platziert. Just ist der nächste Aufsatz dazu gekommen. Er stammt aus der Feder von John Piper und ist von einem Team ins Deutsche übersetzt worden. Wie kann es sein, dass Gott will, dass alle Menschen errettet werden, und er gleichzeitig Menschen erwählt, die gerettet werden sollen?

Das Paradoxe und für uns Unverständliche, das in der Bibel unmissverständlich dargelegt wird, ist dies: Gott will eine Sünde geschehen lassen, die er gleichzeitig missbilligt. Das eindrücklichste Beispiel ist der Tod seines Sohnes.

…diesen Mann, der durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahingegeben war, habt ihr durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und umgebracht. (Apostelgeschichte 2,23)

Wahrhaftig, sie haben sich versammelt in dieser Stadt gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Stämmen Israels, zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvor bestimmt hatten, dass es geschehen solle. (Apostelgeschichte 4,27+28)

Der Messias wird gemartet und geschlagen – und es gefiel Gott, ihn zu zerschlagen (Jes 53,4+10)

Die Leiden des Gottessohnes ziemten sich (Hebr 2,10).

Es gibt noch eine Menge weiterer Beispiele:

  • Eine Prophetie, also die Ankündigung eines zukünftigen Ereignisses, wird als Gottes Plan bezeichnet – obwohl der Krieg gegen das Lamm die Sünde schlechthin ist: “Die zehn Hörner, die du gesehen hast, und das Tier, die werden die Hure hassen und werden sie ausplündern und entblößen und werden ihr Fleisch essen und werden sie mit Feuer verbrennen. Denn Gott hat’s ihnen in ihr Herz gegeben, nach seinem Sinn zu handeln und eines Sinnes zu werden und ihr Reich dem Tier zu geben, bis vollendet werden die Worte Gottes.” (Offenbarung 17,16+17)
  • Gott kündigt an, das Herz des Pharao zu verhärten (2Mose 4,21). Es entwickelt sich ein langes Tauziehen – hin und her zwischen Einlenken, Verhärten, Bestrafen und wieder Einlenken. Einmal steht: Der Pharao verhärtete sich, und das nächste Mal steht, dass Gott ihn verhärtete.
  • Das Volk Israel sollte durch ein Land ziehen und fragt um Erlaubnis. Diese Erlaubnis wird verweigert – weil Gott es so gewollt hatte (5Mose 2,26+27+30)
  • Gott verstockt sein Volk Israel, um damit seinen Heilsplan für die Heiden zu erfüllen (Röm 11,7-9)
  • Die Städte Kanaans wurden von den Israeliten erobert. Der Herr verstockte die Herzen, damit Israel den Bann vollstrecken konnte. (Josua 11,18-20)

 

Und da soll einer sagen, dass der Wille Gottes bloss seine liebende Sehnsucht sei? Sein Wille kommt zustande. Er bewirkt Unheil, ohne selber von der Sünde betroffen zu sein. Es ist sein Recht das Böse zu zügeln. So geschah dies bei dem König Abimelech: “Und Gott sprach zu ihm im Traum: Ich weiß auch, dass du das mit einfältigem Herzen getan hast. Darum habe ich dich auch behütet, dass du nicht wider mich sündigtest, und habe es nicht zugelassen, dass du sie berührtest.” (1Mose 20,6)

Oder Gott will nicht, dass das Böse gezügelt wird, z. B. bei den Söhnen Samuels: “Wenn er nun alles erfuhr, was seine Söhne ganz Israel antaten und dass sie bei den Frauen schliefen, die vor der Tür der Stiftshütte dienten, sprach er zu ihnen: Warum tut ihr solche bösen Dinge, von denen ich höre im ganzen Volk? Nicht doch, meine Söhne! Das ist kein gutes Gerücht, von dem ich reden höre in des HERRN Volk. Wenn jemand gegen einen Menschen sündigt, so kann es Gott entscheiden. Wenn aber jemand gegen den HERRN sündigt, wer soll es dann für ihn entscheiden? Aber sie gehorchten der Stimme ihres Vaters nicht; denn der HERR war willens, sie zu töten.” (1. Samuel 2,22-25)

Hier geht es zum biblisch fundierten Aufsatz.

Philosophie zwischen Spekulation und wichtigen Entdeckungen

Wie stand Augustinus zu den griechischen Philosophen? Eine hilfreiche Standortbestimmung:

… so handelt es sich hier doch nicht um Gebote von Göttern, sondern um Erfindungen von Menschen, die mit allem Scharfsinn auf dem Weg der Spekulation irgendwie zu erforschen suchten, was in der Natur der Dinge verborgen liegt, was auf dem Gebiet der Moral anzustreben und zu meiden ist, was nach den Regeln der Schlußfolgerung in einem notwendigen Zusammenhang steht oder was nicht folgerichtig ist oder auch einen Widerspruch in sich schließt .

Manche von ihnen haben wichtige Entdeckungen gemacht, soweit ihnen Gott seine Hilfe lieh; soweit ihnen aber menschliche Beschränktheit hinderlich war, sind sie in die Irre gegangen, vorab weil ihrem Hochmut die göttliche Vorsehung mit Recht widerstand, um auch an ihnen, nur eben im Widerspiel, zu zeigen, daß der Weg der Frömmigkeit von der Demut seinen Ausgang nehme und emporführe…

Aus: Augustinus. Vom Gottesstaat. 2. Buch, 7. Abschnitt.

Leben und Sterben im Alten Testament

Zur Zeit bin ich an der Ausarbeitung von zwei Vorträgen zum Thema “Zur Hölle mit der Hölle?” Teil dieser Übersicht ist die Darstellung von Leben und Sterben im Alten Testament.  Ich folge hier den ausgezeichneten Darstellungen von Hans Walter Wolff. (Anthropologie des Alten Testamentes. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2010. S. 152-176.) Der Beitrag kann als pdf bezogen werden.

Sterben war „der Weg aller Welt“ (Jos 23,14; 1Kön 2,2). „Siehe, ich sterbe“, hob Jakob an und setzt hinzu: „Aber Gott wird mit euch sein und wird euch zurückbringen in das Land eurer Väter.“ (Gen 48,21) Als Davids neugeborener Sohn starb, meinte er: „Jetzt aber, da es tot ist, wozu sollte ich denn fasten? Kann ich es etwa noch zurückbringen? Ich gehe einmal zu ihm, aber es wird nicht zu mir zurückkehren.“ (2Sam 12,23) Von verschiedenen Männern Gottes wird gesagt, dass sie starben, alt und an Tagen satt (z. B. Abraham, Gen 25,8).

Der Tod ist „König jäher Schrecken“ (Hiob 18,14). Jesaja malt ein eindrückliches Bild der Totenwelt (Jes 14,9ff), die aufgeschreckt den grossen babylonischen König empfängt: „Der Scheol drunten ist in Bewegung deinetwegen, in Erwartung deiner Ankunft. Er stört deinetwegen die Schatten auf, alle Mächtigen der Erde, er lässt von ihren Thronen alle Könige der Nationen aufstehen. Sie alle beginnen und sagen zu dir: “Auch du bist kraftlos geworden wie wir, bist uns gleich!” In den Scheol hinabgestürzt ist deine Pracht und der Klang deiner Harfen. Maden sind unter dir zum Lager ausgebreitet, und Würmer sind deine Decke.“ (Jes 14,9-11)

Gott hatte seinem Volk alle Praktiken und Bräuche, die mit dem Tod zusammenhingen, strikte untersagt (Lev 19,27f+31; 20,6+27). Der Prophet Jesaja warnt vor den Totenbeschwörern: „Und wenn sie zu euch sagen: Befragt die Totengeister und die Wahrsagegeister, die da flüstern und murmeln!, so antwortet: Soll nicht ein Volk seinen Gott befragen? Soll es etwa für die Lebenden die Toten befragen?“ (Jes 8,19f). Der verzweifelte König Saul übertrat diese Gebote und ging zu einer Wahrsagerin. Diese holte den toten Samuel herauf – der ihm nur noch einmal mitteilte, was über Saul beschlossen war: „Die Frau antwortete Saul: Ich sehe einen Geist aus der Erde heraufsteigen. Er sagte zu ihr: Wie sieht er aus? Und sie antwortete: Ein alter Mann steigt herauf. Er ist in ein Oberkleid gehüllt. Da erkannte Saul, dass es Samuel war, und er neigte sich mit seinem Gesicht zur Erde und fiel nieder. Und Samuel sprach zu Saul: Warum hast du meine Ruhe gestört, dass du mich heraufkommen lässt?“ (1Sam 28,13-15)

Gott gibt Leben und bewahrt (Deut 30,15+19; Ps 64,2; 103,4; 133,3). Er macht tot und lebendig (1Sam 2,6; Deut 32,39). Denn er ist die Quelle des Lebens (Ps 36,8). Gott gebietet in jedem Einzelfall über das Sterben. Amos sagt: „Wenn sie in den Scheol einbrechen, wird meine Hand sie von dort holen. Und wenn sie in den Himmel hinaufsteigen, werde ich sie von dort herunterbringen.“ (Amos 9,2, vgl. 6,9f, auch Ps 139,8).

Äusserlich trifft Mensch und Tier das gleiche Geschick (Prediger 3,19; 9,2-4). Und der  Untergang ist Vernichtung, Schweigen, Vergessen, Finsternis (2Sam 12,23; Hiob 7,9f; 10,21f; Ps 94,17; 115,17). Doch gerade der Prediger, der mit Absicht die Perspektive „unter der Sonne“ einnimmt, rückt diese Perspektive am Ende des Buches meisterhaft zurecht: „Lasst uns die Hauptsumme aller Lehre hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das gilt für alle Menschen. Denn Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, alles, was verborgen ist, es sei gut oder böse.“ (Pred 12,13+14)

Der Tor, der nicht mit Gott rechnet, stirbt (siehe das ein-drück-liche Beispiel Nabals, 1Sam 25,37f). Asaph, der die Perspektive des Gottesfürchtigen der des Gottlosen gegenüberstellt, gewinnt erst vom Ende her die entscheidende Sicht: „Wie sind sie so plötzlich zum Entsetzen geworden! Sie haben ein Ende gefunden, sind umgekommen in Schrecken. Wie einen Traum nach dem Erwachen, so verachtest du, Herr, beim Aufstehen ihr Bild. Als mein Herz erbittert war und es mich in meinen Nieren stach, da war ich dumm und verstand nicht; wie ein Tier war ich bei dir. Doch ich bin stets bei dir. Du hast meine rechte Hand gefasst. Nach deinem Rat leitest du mich, und nachher nimmst du mich in Herrlichkeit auf. Wen habe ich im Himmel? Und außer dir habe ich an nichts Gefallen auf der Erde. Mag auch mein Leib und mein Herz vergehen – meines Herzens Fels und mein Teil ist Gott auf ewig. Denn siehe, es werden umkommen die, die sich von dir fernhalten. Du bringst zum Schweigen jeden, der dir die Treue bricht. Ich aber: Gott zu nahen ist mir gut. Ich habe meine Zuversicht auf den Herrn, HERRN, gesetzt, zu erzählen alle deine Taten.“ (Ps 73,19-28)

Auch der Gottesfürchtige gerät immer wieder an die Grenze des Todes: „Denn satt ist meine Seele vom Leiden, und mein Leben ist nahe dem Scheol. Ich bin gerechnet zu denen, die in die Grube hinabfahren. Ich bin wie ein Mann, der keine Kraft hat, unter die Toten hingestreckt, wie Erschlagene, die im Grab liegen, derer du nicht mehr gedenkst. Denn sie sind von deiner Hand abgeschnitten. Du hast mich in die tiefste Grube gelegt, in Finsternisse, in Tiefen. Auf mir liegt schwer dein Zorn, und mit allen deinen Wellen hast du mich niedergedrückt. // Meine Bekannten hast du von mir entfernt, hast mich ihnen zum Abscheu gemacht. Ich bin eingeschlossen und kann nicht herauskommen. Mein Auge verschmachtet vor Elend. Zu dir rufe ich, HERR, den ganzen Tag. Ich strecke meine Hände aus zu dir. Wirst du an den Toten Wunder tun? Oder werden die Gestorbenen aufstehen, dich preisen? // Wird von deiner Gnade erzählt werden im Grab, im Abgrund von deiner Treue? Werden in der Finsternis bekannt werden deine Wunder, und deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens? Ich aber, HERR, schreie zu dir, und am Morgen möge dir mein Gebet begegnen. Warum, HERR, verwirfst du meine Seele, verbirgst du dein Angesicht vor mir? Elend bin ich und todkrank von Jugend auf. Ich trage deine Schrecken, bin verwirrt. Deine Zorngluten sind über mich hingegangen, deine Schrecknisse haben mich vernichtet. Sie umgeben mich wie Wasser den ganzen Tag, sie umringen mich allesamt. Du hast mir entfremdet Freund und Nachbarn. Meine Bekannten sind Finsternis.“ (Ps 88,4-19) Ähnliches berichtet der todkranke Hiskia (Jes 38,18f).

Doch es gibt auch neue Hoffnung. Hiob ist ein eindrückliches Beispiel: „Wenn ein Mann stirbt, wird er etwa wieder leben? – Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung käme! Du würdest rufen, und ich würde dir antworten, nach dem Werk deiner Hände würdest du dich sehnen. Denn dann würdest du zwar meine Schritte zählen, aber gäbest nicht acht auf meine Sünde! Mein Verbrechen wäre versiegelt in einem Bündel, und du würdest meine Schuld zudecken.“ (Hiob 14,13-17)

Die Erkenntnis der Endlichkeit ist Anlass zur Änderung der Perspektive: „Du hast unsere Ungerechtigkeiten vor dich gestellt, unser verborgenes Tun vor das Licht deines Angesichts. Denn alle unsere Tage schwinden durch deinen Grimm. Wir bringen unsere Jahre zu wie einen Seufzer. Die Tage unserer Jahre sind siebzig Jahre, und, wenn in Kraft, achtzig Jahre, und ihr Stolz ist Mühe und Nichtigkeit, denn schnell eilt es vorüber, und wir fliegen dahin. Wer erkennt die Stärke deines Zorns und deines Grimms, wie es der Furcht vor dir entspricht? So lehre uns denn zählen unsere Tage, damit wir ein weises Herz erlangen!“ (Ps 90,8-12)

Die Vorstellung von Segen und Fluch, Gericht und Heil, endet mit dem Aufruf das Leben zu wählen (Deut 30,15+19). Gott ruft durch Amos: “Sucht mich und lebt!“ (Amos 5,4) Eine Auferstehung der Gerechten und der Ungerechten wird angedeutet: „Und viele von denen, die im Land des Staubes1 schlafen, werden aufwachen; die einen zu ewigem Leben und die anderen zur Schande, zu ewigem Abscheu.“ (Dan 12,2; vgl. Jes 26,19).

Es wird angekündigt, dass der Tod des Gottesknechtes viele zum Leben führen wird: „Doch dem HERRN gefiel es, ihn zu zerschlagen. Er hat ihn leiden lassen. Wenn er sein Leben als Schuldopfer eingesetzt hat, wird er Nachkommen sehen, er wird seine Tage verlängern. Und was dem HERRN gefällt, wird durch seine Hand gelingen. Um der Mühsal seiner Seele willen wird er Frucht sehen, er wird sich sättigen. Durch seine Erkenntnis wird der Gerechte, mein Knecht, den Vielen zur Gerechtigkeit verhelfen, und ihre Sünden wird er sich selbst aufladen.“ (Jes 53,10-11; vgl. Ps 22)