Über die Freuden des Alleinseins

Alleinsein ist der einzige mögliche Zustand für mich, denn ich bin nicht gewillt, eine Frau unglücklich zu machen, und Frauen neigen ja dazu, unglücklich zu sein. Ich gebe zu: Alleinsein ist nicht immer lustig, man ist nicht immer in Form. Übrigens habe ich die Erfahrung gemacht, dass Frauen, sobald unsereiner nicht in Form ist, auch nicht in Form bleiben; sobald sie sich langweilen, kommen die Vorwürfe, man habe keine Gefühle. Dann, offen gestanden, langweile ich mich doch lieber allein. Zu den glücklichsten Minuten, die ich kenne, gehört die Minute, wenn ich eine Gesellschaft verlassen habe, wenn ich in meinem Wagen sitze, die Türe zuschlage und das Schlüsselchen stecke, das Radio andrehe, meine Zigarette anzünde mit dem Glüher, dann schalte, Fuss auf Gas; Menschen sind eine Anstrengung für mich, auch Männer.

Aus: Max Frisch. Homo Faber. Suhrkamp: Frankfurt 1977:91-92. (Das Zitat habe ich in einer Tageszeitung entdeckt, und eben nahm ich das Buch wieder in die Hände. Ich habe es vor Jahren während meines ersten Studiums gelesen.)

Konsumiert: Moralisch-therapeutischer Deismus

Welche Bücher über den christlichen Glauben führen sich die Menschen zu Gemüte? Eben habe ich einen Ausflug in die Bestseller-Liste “Theologie / Christliche Meditation und Spiritualiät” bei Amazon gemacht. “Was im Leben trägt” (von der deutschen Bischöfin Margot Kässmann), “Glauben ist menschlich”, “Das letzte Wort hat die Liebe” (Rob Bell), “Drehbuch für Meisterschaft im Leben”, “Herzensruhe – im Einklang mit sich selber sein”, “Quantum und Lotus: Vom Urknall zur Erleuchtung”, “Der Jesuswahn”, “Ich bin bei dir: 366 Liebesbriefe von Jesus”, “Gott 9.0”.

Szenenwechsel: Kenda Creasy Dean hat den Glauben von Jugendlichen in Amerika untersucht. Das, was den Teenies geboten wird, nennt sie »moralistischen, therapeutischen Deismus« (siehe Post von Ron).

Ein realistisches Selbstbild

…erhält jemand nur, wenn er sich im Licht von Gottes Grösse gesehen hat. Hier sind einige kurze Ausschnitte aus der berühmten Eröffnung der Institutio von Calvin:

I,1,1 Denn (von Natur) hat jeder Mensch viel mehr Freude daran, sich auf sich selber zu verlassen, und das gelingt ihm auch durchaus – solange er sich selber noch nicht kennt, also mit seinen Fähigkeiten zufrieden ist und nichts von seinem Elende weiß oder wissen will.

I,1,2 Aber andererseits kann der Mensch auf keinen Fall dazu kommen, sich selbst wahrhaft zu erkennen, wenn er nicht zuvor Gottes Angesicht geschaut hat und dann von dieser Schau aus dazu übergeht, sich selbst anzusehen.

I,1,2 Wir sind ja von Natur alle zur Heuchelei geneigt, und so befriedigt uns schon irgendein leerer Schein von Gerechtigkeit ebensosehr, wie es die Gerechtigkeit selber nur könnte.

I,1,3 …den Menschen erst dann die Erkenntnis seiner Niedrigkeit recht ergreift, wenn er sich an Gottes Majestät gemessen hat.

Die Institutio ist online verfügbar.

Positionspapier Bildung

Dies mache ich nicht oft, jetzt hat mich jedoch der “Gwunder” gestochen. Ich habe das Bildungspapier der Grünliberalen (GLP) studiert. Ich bin erstaunt: Keine Scheuklappen vor den bestehenden Problemen.

Heute gibt es viele kreative junge Menschen mit fantastischen Ideen, denen es jedoch oft am notwendigen Biss und Durchhaltewillen fehlt, um ihre Ideen auch umzusetzen. Die heutigen Jugendlichen können Wünsche und Kritik zwar mit gesundem Selbstbewusstsein vortragen, haben aber Mühe, Wünsche und Kritik der anderen zu akzeptieren.

Eines der grössten aktuellen Probleme an den Schulen ist die mangelnde Disziplin, auch Erziehungsnotstand genannt. Die Folgen belasten die Schule stark: Immer mehr Kinder treten in Kindergarten und Schule ein, die nacherzogen werden müssen und „Selbstverständliches“ nicht beherrschen. Verhaltensauffällige Schüler und Schülerinnen bringen ganze Schulklassen durcheinander.

Worte wie «Regel» oder «Strafe» sind mancherorts ein Tabu. «Wer straft, der hat erzieherisch versagt» ist ein weit verbreitetes Klischee. Für eine Objektivierung des Themas braucht es eine offene Diskussion: Wie viele Regeln sind notwendig, um ein konstruktives Lernklima zu ermöglichen?

Während früher vor allem vorgegeben und gefordert wurde, setzen wir heute mehrheitlich auf Eigeninitiative. Es ist hier die richtige Mischung zu finden: Wie viel darf ich vorgeben, um die Eigeninitiative der Kinder nicht zu lähmen? Welche Anforderungen stelle ich, wie viel muss ich der Selbstverantwortung der Schülerinnen und Schüler überlassen?

Warum der Inklusivismus arrogant ist

Jesus sei zwar der einzige Weg zu Gott. Der Zugang könne aber über verschiedene Religionen erfolgen. Diese Sichtweise wird “Inklusivismus” genannt.

This view maintains the traditional Christian belief that “Jesus is the only way to God” while denying the necessity of placing personal conscious faith in Christ for salvation.

Trevin Wax kontert: Diese Sichtweise ist arrogant! Seine drei Argumente:

  1. If our response to Christ in this life doesn’t matter, then evangelism is merely an attempt to force one’s religious preference upon another.
  2. Inclusivism is patronizing to non-Christians.
  3. Inclusivism isn’t as inclusive as the call to evangelism.

Ist eine Gemeindemitgliedschaft biblisch?

Das fragte sich Matt Chandler. Ständig bekam er Argumente wie diese zu hören:

In conversations with these men and women I began to hear things like “The church is corrupt; it’s just about money and a pastor’s ego,” or “I love Jesus, it’s the church I have a problem with.” My favorite one was, “When you organize the church it loses its power.”

Zum Nachdenken kam er dann in einer Predigtvorbereitung (über Hebräer 13,17):

With conflicts already brewing over other doctrines that I viewed as far more central, I wondered if we should let this church membership thing slide and come back to it later. I was preparing at the time to preach through the book of Hebrews and “happened” to be in chapter 13 when verse 17 leapt off the page: “Obey your leaders and submit to them, for they are keeping watch over your souls, as those who will have to give an account. Let them do this with joy and not with groaning, for that would be of no advantage to you.”

Two questions occurred to me. First, if there is no biblical requirement to belong a local church, then which leaders should an individual Christian obey and submit to? Second, and more personally, who will I as a pastor give an account for?

Nachdem er weitere Texte aus dem Neuen Testament analysiert hat, kommt er zum Schluss:

When you begin to look at these texts it becomes clear that God’s plan for his church is that we would belong to a local covenant community of faith. This is for our own protection and maturation, and for the good of others.

Dazu passend: Bücher von betanien zum Thema Gemeinde

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Die Zeitungen sind voll von Gunther Sachs’ Tod. Der Tages-Anzeiger brachte heute ein Interview, das er der Zeitung vor fünf Jahren gegeben hatte. Die letzte Frage lautete:

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Nein. Wie alle Menschen hoffe ich, dass er schnell kommt. Lieber Formel 1 als SBB. Im Übrigen: Ich glaube nicht an ein zweites Leben und an die Transzendenz der Seele – so wenig wie die meisten meiner Freunde aus der Naturwissenschaft. Alles ist endlich. Warum sollten gerade wir unsterblich sein? Der Gedanke vom ewigen Leben wäre mir unbehaglich.

Die Bibel schreibt von der transzendenten Gewissheit – unabhängig davon, ob er daran glaubt:

Und so gewiss es den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht… (Hebräer 9,27)

Warum das Weltbild die Pädagogik bestimmt

Was für eine Kunst ist die Pädagogik? Die positivistische Auffassung betrachtet sie als technische Kunst und sucht ihr wie jeder Technik die wissenschaftliche Grundlage zu geben in naturwissenschaftlich festgestellten Kausalzusammenhängen, also in einer Psychologie oder Biologie oder Soziologie. … Andere sehen in der Pädagogik eine ethische Kunst … und wieder andere nehmen sie in Analogie zur bildenden Kunst.

Die letzten Bewusstseinsstellungen, die überall unser Denken und Schaffen bestimmen, sind augenscheinlich auch in der pädagogischen Arbeit wirksam. Der Erzieher steht seiner Aufgabe jedes Mal ganz anders gegenüber, ob er als Positivist oder als ethischer Idealist oder als künstlerisch-schauender Pantheist lebt, und die andere Lebenshaltung mit ihrer tief greifenden kategorialen Verschiedenheit wird auch zu typisch verschiedenen pädagogischen Leistungen führen. Das heisst nicht bloss, dass die Pädagogik jedes Mal von einer anderen Theorie abgeleitet würde, sondern viel elementarer: die pädagogische Kunst ist in einem pädagogischen Verhalten gegründet, das schliesslich zurückreicht in die Art, wie ein Mensch überhaupt im und zum Leben steht-

Nohl buchstabiert dies noch weiter aus:

Ich stehe als Positivist vor dem Kind, dann will ich eingreifen in diese kleine Maschine, suche die Kausalzusammenhänge als Grundlage meiner Leistung, sehe vor allem die natürlichen Bedingtheiten, Trieb- und Assoziationsmechanismen… Oder ich gehe von der geistigen Umwendung aus, die über das sittliche Leben entscheidet: als die eigentliche pädagogische Aufgabe scheint mir dann, in einen ethischen Bezug mit dem Kinde zu kommen, sein Gewissen zu wecken und seinen Willen zu gewinnen. Oder ich stehe vor dem Kinde wie vor einer sich entfaltenden Blume, in deren bildenden Kräften schon alles enthalten ist, abwartend und solcher schöpferischen Selbstentfaltung zuschauend, nur Schädliches wegräumend, wie Rousseau oder Fröbel in ihrer nachgehenden Erziehung oder Berthold Otto und die verschiedenen Schulreformer.

Aus: Herman Nohl. Die pädagogische Bewegung in Deutschland. Vittorio Klostermann: Frankfurt 1988. (134-136)

Über Muttertag und unerfüllte Wünsche

Der Muttertag ist vorbei, und ich stimme Russell zu: Im Gottesdienst ist sensitiv mit dem Thema umzugehen. Bei manchen geht es nämlich um das Thema “unerfüllte Wünsche”.

Mother’s Day is a particularly sensitive time in many congregations, and pastors and church leaders often don’t even know it. This is true even in congregations that don’t focus the entire service around the event as if it were a feast day on the church’s liturgical calendar. Infertile women, and often their husbands, are still often grieving in the shadows.

It is good and right to honor mothers. The Bible calls us to do so. Jesus does so with his own mother. We must recognize though that many infertile women find this day almost unbearable. This is not because these women are (necessarily) bitter or covetous or envious. The day is simply a reminder of unfulfilled longings, longings that are good.

Unterversorgte Gottesdienstbesucher

Philipp Jakob Spener mahnt in seiner programmatischen Reformschrift “Pia Desideria” (1675) – rund 150 Jahre nach der Reformation – zur Rückkehr zum Wort Gottes. Dies ist sein erster Reformvorschlag. “Das Wort Gottes ist reichlicher unter uns zu bringen.” Wenn ich in unsere Gemeinden schaue, denke ich: In wie manchen Gottesdiensten wird noch text-zentriert gepredigt (geschweige denn, dass die Gemeindeglieder privat die Bibel lesen?)

Weshalb ist das Lesen der Bibel wichtig? Spener leitet die Notwendigkeit anthropologisch her: “Wir wissen, dass wir von Natur aus nichts Gutes an uns haben, sondern soll etwas an uns sein, so muss es von Gott in uns gewirkt werden.”

Der Predigtgottesdienst allein genüge nicht, um die Heilige Schrift bekannt zu machen. Da würden nur die vorgeschriebenen Texte des Kirchenjahres gepredigt, also nur ein Teil der Bibel. So fehle der Einblick in den grossen Zusammenhang.

Er empfiehlt, dass jeder Hausvater täglich aus dem Alten und Neuen Testament vorlese, sowie zusätzliche Gemeindeveranstaltungen, um die Bibel besser kennen zu lernen. Einerseits solle darin ohne weitere Erklärung vorgelesen und kurze Zusammenfassungen gegeben werden. Andererseits soll in sogenannten Kirchenversammlungen “brüderlich miteinander über jede Stelle” ausgetauscht werden.

Durch diesen Austausch würde der Pfarrer die Gemeindeglieder besser kennenlernen. Diese hätten die “ausgezeichnete Gelegenheit, ihren Fleiss im Wort Gottes zu üben und sich dazu aufzumuntern, ihre vorhandenen Skrupel vorzutragen und eine Antwort darauf zu hören. Denn sie nehmen sich doch sonst kaum ein Herz, sie auszusprechen. So wachsen sie selbst dabei innerlich und werden tüchtiger, in ihrer eigenen Hauskirche Kinder und Hausgenossen besser zu unterrichten.

Aus: Philipp Jakob Spener. Pia desideria – Umkehr in die Zukunft. TVG Brunnen: Giessen 1995. (49-54)