Zeichen einer höheren Wirklichkeit

Wir leben in einer Welt, in der eigentlich an allem gezweifelt wird und in dem in gewisser Hinsicht Zweifel einen viel höheren Stellenwert bekommt als Gewissheit.

Ich kann gar nicht anders, als dasjenige, was ich glaube, anhand der Wirklichkeit zu überprüfen. Dafür bieten sich zwei Bereiche an:

  1. Die Struktur der Welt um uns herum: Die Wirklichkeit ausserhalb unserer selbst weist über sich selbst hinaus.
  2. Die Wirklichkeit in mir: Nach Peter Berger gibt es fünf Zeichen, die auf eine höhere Wirklichkeit hinweisen: Eine Mutter, die ihr Baby tröstet (Worte in Richtung einer letztendlichen, alles umfassenden Harmonie); spielende Menschen (sie schaffen sich eine Welt, in der andere Regeln gelten); das Phänomen der Hoffnung; die Radikalität, mit der jeder Mensch Formen des Bösen verurteilt; Humor – zwei Wirklichkeiten, die in einem Vorfall miteinander zusammenstossen.

Aus: Wim Rietkerk. In dubio – Handbuch für Zweifler. VKW: Bonn 2010.

Gefühl ist Folge, nicht Ursache des Glaubens

Der christliche Glaube beruht nicht auf Gefühl, auch nicht auf unbewussten Sehnsüchten, sondern auf historischen Tatsachen. Gefühl, Erfahrung und Empfinden sind Folge und nicht die Ursache des Glaubens.

Es ist eine der auffälligsten Dinge, dass die Bibel Glaube nicht an Bedürfnisse oder deren Befriedigung knüpft, sondern an historische Geschehnissen. Der christliche Glaube steht und fällt mit historischen Geschehnissen.

Aus: Wim Rietkerk. In dubio – Handbuch für Zweifler. VKW: Bonn 2010.

Die Ranking-Manie

Es reicht nicht mehr aus, irgendetwas zu tun, sondern man muss immer auch wissen, wie gut man es im Vergleich zu anderen tut.

Aus: Mathias Biswanger. Die Tretmühlen des Glücks. Herder: Freiburg i. Br. 2010.

Eine kleine Ethik des Alltags (12)

“Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.” (3. Mose 19,18)

Thomas Schirrmacher hat eben einen Blogbeitrag zum Thema Selbstliebe aufgeschaltet:

Einige verstehen diesen Satz – meist mit Hilfe psychologischer Überlegungen – als generelle Aufforderung, dass man sich zunächst selbst lieben müsse, bevor man andere lieben könne. Andere sehen jede Selbstliebe als das Ende der von Jesus geforderten Selbstverleugnung (Mt 16,24; Mk 8,34; Lk 9,23) an und verstehen das „wie dich selbst“ als Zugeständnis an den leider immer vorhandenen Egoismus. Wer hat recht?

Eine kleine Ethik des Alltags (11)

„Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, du sollst deinen Nächsten ernstlich zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld trägst.” (3. Mose 19,17)

Die Alternative zum Hass ist nicht: Wegleugnen ‚um der lieben Harmonie willen’, sondern „ernstlich zurechtweisen“. Gott fordert zu einer gesunden Streitkultur auf, denn eine offene Aussprache ist besser als untergründiges Wuchern.

Über die Schattenseiten der Ich-Inflation

Ein Freund hat mich auf das Interview Narzissten im Vormarsch mit dem Psychologen Hans-Werner Bierhoff aufmerksam gemacht. Dieser ortet eine starke Zunahme der Selbstdarstellung:

Die Selbstdarstellung hat deutlich zugenommen, man sehe sich nur mal all diese Castingshows an. Der Schönheitskult war noch nie so verbreitet wie heute. Gleichzeitig gibt es auch eine starke Betonung darauf, dass jeder brillant und überdurchschnittlich sein will, dass jeder sozusagen ein Held sein kann. Was dabei nicht aufgeht, ist die Tatsache, dass die Mehrheit der Menschen trotzdem in bestimmten Aufgaben nur durchschnittlich ist. Und diese Diskrepanz wird dann zum Problem.

Auf die Ursachen angesprochen, landet er sofort bei der Erziehung:

Eine Hauptursache liegt sicher in der Erziehung, oder besser gesagt: in dem Umgang mit unseren Kindern. … Da ist zum einen der intensive Konsum von Medien, in denen narzisstische Promis eine zentrale Rolle spielen. Diese zunehmende «Infektion» der jungen Generation durch dieses gesellschaftliche Virus ist besonders Besorgnis erregend. Zum anderen ist es so, dass heute die meisten Eltern nur noch ein, maximal zwei Kinder haben und die Ansprüche an diese wenigen Nachkommen enorm hoch sind. Viele sind überzeugt, ein «besonderes» Kind zu haben.

Durch das Normen-Vakuum könne sich der Narzissmus gut verbreiten:

Die Bindungskraft sozialer Normen hat in den letzten 50 Jahren in den westlichen Kulturen abgenommen. In diesem Vakuum kann sich ein «offensiver» Narzissmus ideal verbreiten.

Hans-Werner Bierhoff. Narzissmus – die Wiederkehr.

Menschenbilder (4): Wissen ist Macht

Was ist das Ziel von Wissen? Ein unausgesprochener Konsens unserer Gesellschaft lautet: Wissen ist Macht (Francis Bacon). Der Mensch ist einer Spinne gleich, die ihr Netz ausspannt (und nicht wie eine Ente, die Material sammelt). Dies führt zum einem Problem: Wissen kann sich in sich selbst nicht kontrollieren! Es fehlt ein Konzept der Verantwortlichkeit. Aus christlicher Sicht ist Wissen, das nicht zum Handeln führt, Sünde.

Aus: R. J. Rushdoony. Intellectual Schizophrenia. Ross House: Vallecito 2002.

Menschenbilder (3): Das gute Leben für ein Kind bedeutet “love and play”

Jede Gesellschaft hat ihr eigenes Bild des Kindes entworfen. Unser westeuropäischer Ansatz lautet: Jedes Kind wird als kleiner unschuldiger Engel (oder Messias) geboren, der bedient werden will. Die Formel für ein glückliches Leben des Kindes lautet daher: Love and play – liebe und spiele. Könnte das mit ein Grund sein, warum sich viele Heranwachsende schwer tun, Verantwortung zu übernehmen?

P. S. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Tatsächlich besteht meine Aufgabe als Vater darin, einem Kind zu dienen (was jedoch klar von be-dienen zu unterscheiden ist). 

Aus: J. R. Rushdoony. Intellectual Schizophrenia. Ross House: Vallecito 2002.

Menschenbilder (2): Das Konzept des “leeren Blattes”

Von John Locke und Jean-Jacques Rousseau her hat sich das Konzept des Geistes als leeres Blatt etabliert. Ein Kind wird in Unschuld geboren und Stück für Stück von seiner Umgebung verdorben. Der “Geist” eines Kindes wird durch diesen Interpretationsrahmen zu einem programmierbaren Bereich. Er ist mehrheitlich passiv und empfangend. 

Für Ausbildung und Erziehung hat dies einen doppelten Effekt: Der Ausbilder bekommt die Rolle eines Gottes (weil er das Blatt beschreibt). Er beliefert das Kind –  mit “kindgerechten” Häppchen. Und: Ausbildung wird zum sozialen, ethischen und ökonomischen Problemlöser. Denn: Man muss ein Kind nur richtig programmieren…

Aus: R. J. Rushdoony. Intellectual Schizophrenia. Ross House: Vallecito 2002.