Kolumne: Alles begann in einem Garten

Alles begann in einem Garten, genauer gesagt in einem Tempelgarten. Gottes Absicht war es, den Menschen in einer Umgebung der Freude und des Glücks in Verantwortung vor ihm leben zu lassen. Er bekam den Auftrag diesen Garten zu pflegen und weiter zu entwickeln. Doch die Grosse Geschichte zeigt uns auf, warum die Menschen sich heute nicht mehr in diesem Tempelgarten befinden, sondern in einer Umgebung leben, in denen Unkraut sprosst, sich Erdblöcke ablösen, Flüsse über die Ufer treten und Dürreperioden die Böden zur braun-grauen Fläche werden lassen. Die entscheidende Wende wurde durch den Ungehorsam des Menschen herbeigeführt. Er hielt sich nicht an Gottes Gebot, sondern setzte sich darüber hinweg. Die Beziehung des Menschen zu sich selbst, zu anderen und zur Umgebung ist seither nachhaltig gestört. Sie ist so stark beeinträchtigt, dass sich die Natur nach der Erlösung „sehnt“.

Wie können wir in dieser Zwischenzeit leben? Wem Gott die Augen über die Ursache des Übels öffnet – sie liegt in uns drin – und wem er wie Abraham im Alten Testament (1. Mose 22) den Blick auf das Opfer lenkt, das an seiner Stelle die Strafe der Verfehlung tragen musste, der ist in die Lage, unseren heutigen Zustand aus Sicht des Erfinders zu einzuschätzen. Wer Ihm gehört und aus der Gewalt von Gottes Gegenspieler befreit worden ist, beginnt im Jetzt den Fluch umzukehren. Er ist Bote einer Zeit, die noch kommen wird. Er gleicht den ersten Pflanzen, die sprossen und blühen, während die Ernte noch aussteht.

Ein solcher Mensch möchte, so wie es ursprünglich für den Menschen vorgesehen war, wieder zur Ehre Gottes leben und darin wirkliches Glück und wahre Freude erfahren. Nur ist es so, dass er in einer Umgebung bleibt, die unter der Last der Verfremdung, des Leids und der Zerstörung seufzt. Auch der eigene Körper ist dieser Begrenzung unterworfen. Seine „alte Natur“ fällt immer wieder in alte Muster zurück.

Ein von Gott befreiter Mensch besitzt die Möglichkeit, sich täglich und stündlich nach Gottes Gegenwart auszustrecken und Weisheit zu empfangen, wie er leben soll. Dieses Leben spielt sich in einer steten Spannung ab. Er wüsste, wie es sein müsste. Nehmen wir als Beispiel die häusliche Umgebung. Auch ein nicht erlöster Mensch kann sich problemlos Vorstellungen darüber machen, wie eine ideal eingerichtete Wohnung aussehen müsste. Im Moment, in der ich diese Worte schreibe, kommt mir eine schöne, geordnete, im Grünen an einem Gewässer gelegene, von der Sonne beschienene, friedliche Umgebung in den Sinn.

Nun streben viele Menschen gerade in unseren Breitengraden danach, dieses Ideal umzusetzen. Sie schaffen sich einen Wohnbereich, in dem alles geordnet ist. Sie verstecken ihr Hab und Gut in Schränken. Sie stimmen farblich alles aufeinander ab. Altes Material wird vorzeitig ersetzt. Von Zeit zu Zeit entwickeln sie neue Idealbilder und stellen ihren Wohnbereich um. Es wird viel Geld, Zeit und Kraft in diese Veränderungen hinein investiert. Andere pflegen mit diesem Ideal vor Augen ihren Garten. Stück für Stück wird er dem Soll-Bild angeglichen. Hunderte oder Tausende von Arbeitsstunden stecken sie in neue Platten, englische Rasenflächen, passende Büsche, farblich abgestimmte Blumenbeete.

Doch sie erleben: Zum Gras mischt sich Moos, zu den Blumen das Unkraut. Die schönen Platten springen durch Wasser und Kälte. Büsche wachsen und wuchern. Auf dieselbe Art und Weise legt sich Staub auch auf die schönste Polstergruppe. Wolkige Flächen entstehen auf den Fenstern. Farben vergilben durch die Sonneneinstrahlung. Alles ist einem steten Verfall unterworfen.

Manche, die über die nötigen Mittel verfügen, halten sich die Details dieser Entwicklung vom Leib. Sie bestellen Gärtner, Innenarchitekten und lassen Putzpersonal die gewünschte Ordnung wieder herstellen. Andere leben eine gegenteilige Haltung: Sie lassen alles verwildern und kümmern sich nicht mehr um das, was sich um sie herum abspielt. Mir kommt der englische Literaturwissenschaftler Clive Staple Lewis (1898-1963) in den Sinn, der ein grosses Grundstück „The Kilns“ zusammen mit seinem Bruder erwarb und dann mit seiner ehemaligen Geliebten und deren Tochter bezog. In seinen Briefen las ich vom Bemühen, im grossen Anwesen einen Teich zu graben. Der Mann, der nicht einmal in der Lage war, das Retourgeld nach einem Kauf im Kopf zu berechnen, stellte sich auch in dieser Hinsicht nicht besonders geschickt an. Ich stelle mir vor, dass er an der falschen Stelle grub, die Umgebung zu wenig beachtete und das Unternehmen wegen neuer Ideen oder drängender beruflicher und schriftstellerischen Vorhaben vorzeitig abbrach.

Lange Zeit sorgte ein Gärtner, der mit zur Familie gehörte, für Ordnung im grossen Anwesen der Familie Lewis. Als Lewis älter wurde, verwilderte der Garten. Im Haus herrschten ein grosses Chaos und eine schreckliche Unordnung. Das bringt mich zur Frage: Wie können wir mit der Begabung, die uns Gott zugeteilt hat, ihm zur Ehre leben? Wie können wir, des Verfalls der Schöpfung eingedenk, vom Perfektionismus Abstand nehmen? Der erste Schritt besteht darin, die eigenen sündhaften Tendenzen wahrzunehmen und darum zu bitten, dass sie der Heilige Geist noch deutlicher zeigt. Zweitens heisst es auch mit den Begrenzungen umgehen zu lernen. Drittens verspüre ich den Drang, die eigene Unzulänglichkeit wie auch die Verfehlung vor Ihm einzugestehen. Viertens hilft ein Leben in Gemeinschaft. Im Zusammengehen von begnadigten Sündern bekommen wir Trost, Mahnung und Rat.

Einen wichtigen Aspekt habe ich noch nicht erwähnt: Dieses Leben hier ist erst der Anfang. Ich halte mich als Pilger, als Durchgehender, darin auf. Gleichzeitig ist es die Welt meines Vaters. Alles gehört Ihm. Auf der neuen Erde werde ich in einer von Not, Tränen und Begrenzung befreiten Umgebung leben. Ich gehe darum in Gedanken an das Ende meines Lebens voraus und stelle die Frage: Was wäre im Hinblick auf die Ewigkeit wichtig gewesen, am heutigen Tag gewirkt zu haben? Mit dieser Fokussierung gehe ich in die Küche, um Ordnung zu schaffen, in den Garten, um einen Flecken von Unkraut zu befreien.