Im Gespräch zwischen dem philosophischenYouTuber Alex O’Connor und dem Philosophen Peter Boghossian – beides Atheisten – gibt es eine berührende Stelle, an der Boghossian die Wichtigkeit einer Atmosphäre betont, wo Nicht-Wissen freimütig zugegeben werden kann.
- Anerkennung von Unwissenheit: Boghossian betont, dass es ein großer Fortschritt ist, wenn jemand auf eine Frage mit „Ich weiß es nicht“ antwortet. Diese Aussage zeigt, dass die Person offen ist und keine falsche Sicherheit vorgibt.
- Kultureller Wandel: Es sollte ein kulturelles Ziel sein, Unwissenheit zuzugeben, ohne dass dies negativ bewertet wird. Menschen sollten sich nicht gezwungen fühlen, Antworten zu erfinden oder ihre Unsicherheiten zu verschleiern.
- Reaktion des Gesprächsführers: Wenn jemand „Ich weiß es nicht“ sagt, ist es wichtig, diese Antwort zu würdigen und positiv zu bestärken. Boghossian schlägt vor, mit Aussagen wie „Das ist eine gute Antwort“ zu reagieren, um zu signalisieren, dass es keinen sozialen oder emotionalen Nachteil hat, Unwissenheit zuzugeben.
- Praktische Konsequenzen: Indem der Gesprächspartner ermutigt wird, ehrlich zu sein, wird ein Umfeld geschaffen, in dem Reflexion und Erkenntnis möglich sind. Die Methode fördert eine Kultur, in der Unsicherheit oder Unwissenheit nicht als Schwäche, sondern als Ausgangspunkt für Lernen und kritisches Denken gesehen wird.
Im gleichen Gespräch stellt Boghossian seine Methode der Street Epistemology dar.
Definition von Street Epistemology: Street Epistemology (SE) ist eine Methode, die sich mit dem Prozess befasst, durch den Menschen zu ihren Überzeugungen gelangen. Ziel ist es, epistemologische Prinzipien – also die Frage, wie wir wissen, was wir zu wissen glauben – aus dem akademischen Kontext in den Alltag („auf die Straße“) zu bringen.
Kernaspekte von Street Epistemology
- Dialogische Methode: SE basiert auf einem nicht-konfrontativen Dialog, bei dem Fragen gestellt werden, um Überzeugungen und die dafür vorgebrachten Gründe zu klären.
- Klärung von Überzeugungen: Menschen werden ermutigt, ihre Überzeugungen zu reflektieren und ihre Grundlagen zu hinterfragen.
- Neutralität: Der Fokus liegt auf der Förderung von Selbstreflexion. Die Person, die SE durchführt, sollte möglichst keine eigene Meinung einbringen oder ihre Überzeugung offenlegen, um die Integrität des Prozesses zu wahren.
Ziele von Street Epistemology
- Selbstreflexion fördern: Den Gesprächspartner dazu bringen, die Stärke seiner Überzeugungen mit der zugrunde liegenden Evidenz abzugleichen.
- Kritisches Denken: Die Methode soll dazu beitragen, dass Menschen kritisch über die Gründe ihrer Überzeugungen nachdenken.
- Psychologische Sicherheit: Durch einen respektvollen und wertschätzenden Umgang wird ein Umfeld geschaffen, in dem Menschen ihre Überzeugungen hinterfragen können, ohne sich bedroht oder angegriffen zu fühlen.
Methodik
- Systematische Fragen:
- Beispiele: „Welche Evidenz haben Sie für Ihre Überzeugung?“ „Was würde Sie dazu bringen, Ihre Überzeugung zu ändern?“ (Disconfirmation-Fragen)
- Ziel ist es, den Gesprächspartner zur Reflexion seiner Überzeugungen zu bewegen.
- Neutralität bewahren:
- Eigene Meinungen und Überzeugungen dürfen nicht durchscheinen, da dies den Eindruck erwecken könnte, das Gespräch sei manipulativ.
- Ein hilfreicher Indikator für Neutralität: Der Gesprächspartner sollte am Ende des Dialogs nicht wissen, welche Position der Gesprächsführer selbst vertritt.
- Kalibrierung von Überzeugungen:
- Menschen sollen dazu ermutigt werden, ihre Überzeugungen nicht als binär (wahr/falsch), sondern in Abstufungen der Sicherheit zu betrachten.
- Dies hilft, Überzeugungen dynamisch und anpassungsfähig zu halten, je nachdem, welche Evidenz verfügbar ist.
Anwendung: Die Existenz von Gott
- Gesprächspartner beginnt mit der Überzeugung: „Ich bin sicher, dass Gott existiert.“
- Frage: „Auf einer Skala von 0 bis 100, wie sicher sind Sie?“
- Folgefragen: „Was sind die Hauptgründe für Ihre Überzeugung?“ „Wenn diese Gründe nicht zutreffen würden, wie würde das Ihre Sicherheit beeinflussen?“