Zitat der Woche: Postmodernes Denken nimmt eine grosse Wahrheit für sich in Anspruch

Im Band 3 der Reihe «Go(o)d News» geht es um «Vernünftig glauben». In 10 kurzen Kapiteln geht es jeweils um 10 Aspekte. Ron Kubsch behandelt im ersten Kapitel die Frage «Gibt es eine Wahrheit?». Dabei weist er treffend darauf hin, dass es zunächst nötig ist, die Art und Weise postmodernen Denkens auf den Prüfstand zu stellen.

Menschen, die in einer postmodernen Kultur aufwachsen, können oft gar nicht verstehen, worum es in Glaubensfragen geht. Die Art und Weise, wie sie denken, verbietet es ihnen, dem gekreuzigten König Jesus nachzufolgen. Insofern sei wichtig, nicht nur zu hinterfragen, was Menschen denken, sondern auch, wie sie denken.

Ein wichtiger Schritt im Nachvollziehen ist das Bewusstsein, dass es in diesem Denksystem ein zentrales Dogma gibt, nämlich dass alle «alle Wahrheitsansprüche sind relativ»

„Wer gibt uns eigentlich das Recht, zu behaupten, das Christentum sei besser als andere Religionen? Ich denke, der Kern der Lehre Jesu ist die Liebe – und das trifft doch auf alle Religionen zu. Es kann ja nicht unsere Aufgabe sein, anderen Menschen vorzuschreiben, wie oder was sie zu glauben haben!“ Die übrigen Gesprächsteilnehmer sind meist eingeschüchtert und wissen nicht, was sie antworten sollen. Aber was macht Rolf hier eigentlich? Er behauptet, keine Religion dürfe einen unüberbietbaren Wahrheitsanspruch stellen. Jede Glaubensrichtung enthalte wahrheitsgemäße Aspekte. Im Kern sei ihre Botschaft die Liebe und genau darauf komme es an. …

Einerseits behauptet er, dass alle Wahrheitsansprüche, besonders die religiösen, relativ sind. Zugleich präsentiert er selbst eine Art „Superreligion“. Er gibt vor, genauestens zu wissen, worum es Gott geht. Und er legt eine Vorstellung von Liebe vor, die natürlich wahr sein muss. Man nennt so etwas auch selbstwidersprüchliche Sichtweise. Wenn es stimmt, was Rolf behauptet, dann ist es notwendig falsch. Denn er nimmt für sich in Anspruch, was seiner Meinung nach niemand sonst vermag. Er hat eine große Wahrheit, die nicht nur für ihn selbst, sondern für alle Menschen gilt, gefunden. 

Input: Westliche Argumente zur Diskreditierung des Christentums aus der Sicht Malaysias

N. Gray Sutantophilosophischer und kultur-affiner Theologe und Bavinck-Forscher (u. a. Mitverfasser eines Einführungswerk zum Neo-Calvinismus), kehrte nach einer Pastorentätigkeit in Jakarta in den Westen zurück. Dabei fielen ihm im Kontrast mehrere tragende Argumente auf, die im Westen verwendet werden, um das Christentum zu diskreditieren (siehe dieser Artikel). Anders ausgedrückt:

Als ich in die USA zurückkehrte, war ich überrascht zu hören, dass das Christentum als “weiße, heteronormative und gleichgeschlechtliche” Religion verschrien ist, die die natürlichen Instinkte des Menschen unterdrücken soll. Weit gefehlt. Was in Jakarta als “weiß” und “westlich” wahrgenommen wird, ist nicht die Sexualethik des Christentums, sondern eher die Promiskuität und die Transgender-Ideologie des Säkularismus. Diejenigen in den USA, die mit den sexuellen Werten des Christentums nicht einverstanden sind, sagen damit auch implizit, dass die indonesische Gesellschaft rückständig ist, im Dunkeln tappt und “aufgeklärt” oder verwestlicht werden muss.

Dies sind vier weltanschauliche Pfeiler aus Malaysia:

Religiöser Pluralismus: Im Westen gibt es eine wachsende Skepsis gegenüber dem Theismus und dem christlichen Glauben, aber das ist in Jakarta nicht der Fall. Es ist schwer, einen überzeugten Atheisten oder Materialisten zu finden, und die Menschen, die sich zu einer säkularen Weltanschauung bekennen, sind diejenigen, die im Westen ausgebildet wurden oder dort gearbeitet haben.

Poröse Weltanschauung: Das Leben in Jakarta ist, um es mit Charles Taylors Worten zu sagen, in jeder Hinsicht porös (durchlässig). Die Menschen haben ein magisches Weltbild, in dem spirituelle Kräfte den Alltag durchdringen und prägen. Wer ein Geschäft eröffnet, muss oft sowohl katholische Priester als auch muslimische Imame einladen, die (zu unterschiedlichen Zeiten) die Arbeit segnen und das Unternehmen vor bösen Geistern schützen. Paare feiern oft mehrere Hochzeitszeremonien, eine zur Besänftigung der katholischen Seite der Familie und eine weitere zur Besänftigung der buddhistischen Seite. In Jakarta werden unerwünschte Umstände oft auf Flüche, das Schicksal oder den Zorn eines verstorbenen Vorfahren zurückgeführt.

Kultur der Scham: Muslime sind dankbar, dass Christen vorehelichen Geschlechtsverkehr für eine Sünde halten, dass die Ehe für einen Mann und eine Frau bestimmt ist und dass das Geschlecht in der Schöpfung verwurzelt ist. Konfuzianer sind froh, dass die Bibel die Familie ehrt. Die biblische Sexualethik wird als selbstverständlich und im Einklang mit dem Naturrecht angesehen.

Familie, Tradition und Autorität: Die Indonesier haben ein Verständnis von Argumenten und Autorität, das auf einer mündlichen Tradition beruht, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird, in der Regel durch das älteste lebende Familienmitglied. Dies ist eine personenzentrierte Auffassung von Autorität, die nicht auf Verdienst, sondern auf Alter und Stellung in der Familie beruht. (Oder besser gesagt, das Alter ist das Hauptkriterium für Verdienst.)

Zitat der Woche: Im Leben der Gerechten haben die Gemütserregungen eine Stelle, aber sie sind auf das rechte Ziel gerichtet

Den Abschnitt über die Affekte bei Augustinus (Vom Gottesstaat, Buch 14, Kapitel 9) habe ich mehrmals gelesen. Er korrigiert sowohl die falsche Grundannahme eines gefühls-losen Ideals als auch den Gegenpol einer letztlich fehlgeleiteten Emotionalität.

Das rechte Ziel

(D)ie auf der irdischen Wanderschaft gottgemäß lebenden Bürger der heiligen Stadt Gottes in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift und der gesunden Lehre kennen alle diese Regungen, Furcht, Begierde, Schmerz, Freude, und weil ihre Liebe auf das rechte Ziel gerichtet ist, so sind bei ihnen auch alle diese Regungen in der rechten Ordnung.

Gottes-fürchtiges Begehren

Sie fürchten die ewige Strafe und begehren nach dem ewigen Leben; sie empfinden Schmerz in der Gegenwart, weil sie in sich selbst noch erseufzen, die Annahme an Kindesstatt, die Erlösung ihres Leibes, erst noch erwartend; sie freuen sich in Hoffnung, weil„erfüllt werden wird das Wort, das geschrieben steht: Verschlungen ist der Tod vom Siege“. Weiter fürchten sie zu sündigen, begehren auszuharren, fühlen Schmerz ob ihrer Sünden, freuen sich an guten Werken. Die Furcht zu sündigen schöpfen sie aus dem Wort: „Weil die Ungerechtigkeit Überhand nimmt, wird die Liebe bei vielen erkalten“, und das Verlangen auszuharren aus dem Wort: „Wer ausharrt bis ans Ende, der wird selig werden“, und den Schmerz ob ihrer Sünden aus dem Wort: „Wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“, und die Freude an guten Werken aus dem Wort: „Einen freudigen Geber liebt Gott“.

Furcht, Verlangen, Schmerz

Weiter — je nach ihrer inneren Schwäche oder Stärke — fürchten sie versucht zu werden oder verlangen danach; sind betrübt in Versuchungen oder freuen sich in solchen. Ihre Furcht schöpfen sie aus dem Wort: „Wenn einer von irgendeiner Sünde übereilt worden sein sollte, so überweiset ihr, die ihr geistlich seid, einen solchen im Geiste der Sanftmut, und hab acht, daß nicht auch du versucht wirst“ ; und ihr Verlangen, versucht zu werden, aus dem Worte, das ein Held des Gottesstaates spricht: „Prüfe mich, Herr, und versuche mich, erforsche mit Feuer meine Nieren und mein Herz“; und den Schmerz in Versuchungen aus dem Beispiel des weinenden Petrus, und die Freude in solchen aus den Worten des Jakobus: „Erachtet es als eitel Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchungen fallet“.

Betrübt über den Untergang anderer

Und nicht nur um ihrer selbst willen geben sie sich solchen Regungen hin, sondern auch um anderer willen, deren Erlösung sie wünschen, deren Untergang sie fürchten, und über deren Untergang sie betrübt sind, über deren Rettung sie sich freuen.

Gemütsregungen bei Jesus

Daher hat auch der Herr selber, der völlig sündelos war, während seines Erdenwallens in Knechtsgestalt sie walten lassen, wo er es für recht hielt. Und echt war die menschliche Gemütsbewegung bei ihm, der einen wirklichen Menschenleib und einen wirklichen Menschengeist an sich trug. Wenn also von ihm im Evangelium berichtet wird, daß er sich über die Herzenshärte der Juden zornig betrübte, daß er sagte: „Ich freue mich um euretwillen, damit ihr glaubet“, daß er bei der Auferweckung des Lazarus Tränen vergoß, daß er sehnliches Verlangen trug, mit seinen Jüngern das Osterlamm zu essen, daß seine Seele beim Herannahen des Leidens traurig war, so ist das natürlich nicht falsch berichtet. Vielmehr hat er solchen Regungen aus bestimmten Rücksichten Eingang verstattet in seinem menschlichen Gemüte, wenn er wollte, so gut wie er Mensch geworden ist, da er wollte.

Apatheia im Jetzt als überrealisierte Eschatologie

Ist aber ἀπάθεια dahin zu verstehen, daß eine Leidenschaft an den Geist überhaupt nicht herankommen kann, so ist sie ja der reinste Stumpfsinn, schlimmer als alle Gebrechen miteinander. Die vollkommene Glückseligkeit schließt also, so könnte man etwa sagen, wohl den Stachel der Furcht und jegliche Traurigkeit aus, aber daß es dort keine Liebe und keine Freude geben werde, kann man nur in offenbarem Widerspruch mit der Wahrheit behaupten. Ist endlich ἀπάθεια ein Zustand, worin keine Furcht schreckt und kein Leid quält, so muß man sich im gegenwärtigen Leben vor ihr hüten, wenn man recht, d. i. gottgemäß leben will; im jenseitigen glückseligen Leben allerdings, dem ewige Dauer verheißen ist, ist diese Art von ἀπάθεια ohne Einschränkung zu erhoffen. … Die keusche Furcht jedoch, die in die Weltzeit der Weltzeiten fortdauert, ist, wenn sie in der künftigen Weltzeit ebenfalls statthat (und anders kann man das Fortdauern in die Weltzeit der Weltzeiten kaum auffassen), nicht die Furcht, die vor einem Übel erschrickt, das eintreten kann, sondern eine Furcht, die festhält an einem Gute, das man nicht verlieren kann. Denn wo die Liebe zu dem erreichten Gut unwandelbar ist, da ist ohne Frage die Furcht vor dem Übel, das es zu meiden gilt, sozusagen sorglos.

Doppelter Ausgang

Das glückselige und zugleich ewige Leben aber wird zwar die Liebe in sich schließen und die Freude, beides nicht bloß auf das rechte Ziel gerichtet, sondern auch gesichert, nicht aber Furcht und Schmerz. …

Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

Nachruf Timothy Keller (1950-2023): Biblische Wahrheiten in die Lebensrealität des 21. Jahrhunderts übersetzt

Timothy Keller (* 1950) wurde am 19. Mai 2023 von seinem himmlischen Vorgesetzten abberufen. Erst kürzlich habe ich auf meine ausführliche Rezension von Kellers Biografie sowie auf meinen stündigen Vortrag hingewiesen.

Ausgewogene Darlegung biblischer Wahrheiten, gespiegelt im eigenen Leben

Ich bin nicht überrascht über die zahlreichen Reaktionen von Menschen, die im Wesentlichen zwei Dinge miteinander verbinden: Biblische Wahrheiten, wie sie Keller gepredigt hat, mit der eigenen Lebensrealität zu verknüpfen. Durch die ausgeprägte Fähigkeit, biblische Wahrheiten in ihren Grundzügen zu erfassen und sie in die Lebensrealität des 21. Jahrhunderts im Westen zu übersetzen, wurden Spuren in zahllose Leben hinein gelegt – auch in meines. Ich sammelte diese Brocken vor einigen Jahren. (Zu) häufig erlebte ich entweder entweder das Anliegen einer rigorosen Exegese der biblischen Texte oder aber das Bemühen um die Exegese der Kultur. In beiden Fällen schätze ich das Anliegen. Es scheint mir durch die fehlende Kombination oft die (Geist-gewirkte) Vitalität zu fehlen.

Sorgfältige Problemdiagnose

Was aus der Kombination entstehen kann, drückt der konservative Kolumnist der NYT, David Brooks, in seinem Nachruf aus – die unermüdliche Neuformulierung unseres grundlegenden menschlichen Problems:

Er führte keinen Kulturkampf gegen die Welt von Manhattan. Er konzentrierte sich nicht auf die Politik, sondern auf “unsere eigenen ungeordneten Herzen, die von unmäßigen Begierden nach Dingen geplagt sind, die uns kontrollieren, die uns dazu bringen, uns überlegen zu fühlen und diejenigen auszuschließen, die sie nicht haben, die uns nicht befriedigen, selbst wenn wir sie bekommen.”

Evangeliumsfülle als Antwort auf das urmenschliche Problem

Ray Ortlund weist in einem bereits übersetzten Artikel auf die “Evangeliumsfülle” von Kellers Dienst hin. Dies umreisst den zweiten Schritt: Die Lösung für unser ur-eigenstes menschliches Problem.

Mit „Evangeliumsfülle“ meine ich eine prinzipielle Sensibilität für das biblische Evangelium als Zentrum, das alles, was wahrhaft christlich ist, integriert. Ich meine eine Ehrfurcht vor dem Evangelium, das den Stand eines jeden von uns vor Gott völlig neu bestimmt – und auch vor all denjenigen, mit denen wir es tagtäglich in allen möglichen Alltagssituationen zu tun haben. Die Fülle des Evangeliums ist die Art und Weise Christus zu dienen, die seinem Wesen wahrhaft entspricht und ihn so sichtbar macht für die Augen der Welt. Auch unsere Gemeinden werden durch die Fülle des Evangeliums erneuert – dazu müssen wir aufhören, das Evangelium kleinzuhalten und ihm stattdessen erlauben, seine Kraft in praktischen Veränderungen zu entfalten.

Die kostbarsten Blüten in den schwierigsten Momenten des Lebens

Aus dieser Fülle heraus kann Frucht entstehen; es ist die Frucht der Dankbarkeit eines neuen Lebens. In der Einleitung zum Buch “Center Church” erwähnt Keller drei Elemente für die Evaluation von Kirchgemeinden. Das ist einmal der Erfolg im Sinne von zahlenmässigem Wachstum durch die Kreation von mächtigen religiösen Erfahrungen. Das zweite ist die Treue: “Nach dieser Auffassung kommt es nur darauf an, dass ein Pastor in der gesund in der Lehre, einen gottesfürchtigen Charakter trägt und Treue beim Predigen und in der Seelsorge beweist.” Beide Merkmale erweisen sich als unzureichend. Keller verweist auf ein drittes Kriterium der Fruchtbarkeit mit Bezug auf 1. Korinther 3: “Die Metapher der Gartenarbeit zeigt, dass sowohl der Erfolg als auch die Treue für sich genommen keine ausreichenden Kriterien für die Bewertung des Dienstes darstellen. Die Gärtner müssen in ihrer Arbeit treu sein, aber sie müssen auch Geschicklichkeit beweisen, sonst wird der Garten nicht gedeihen. Letzten Endes ist jedoch der Grad des Erfolgs des Gartens (oder des Dienstes) von Faktoren bestimmt, die sich der Kontrolle des Gärtners entziehen.”

Diese Frucht zeigt sich besonders in den schwierigsten Momenten des Lebens. DesiringGod gab einen denkwürdigen Ausschnitt aus der Predigt Kellers “The Gospel and Courage” vom 26. Mai 2013 wieder. Keller bezieht sich darin – wie oft –  auf eine Stelle aus dem Epos “Der Herr der Ringe”. Sie befasst mit sich mit dem Entschluss von Sam Gamdschie seinen Herrn Frodo zu retten, gespeist aus der Hoffnung. Nicht der schon im antiken Stoizismus vorhandene Selbstbemächtigungsgedanke “ich habe keine Furcht vor dem Tod”, sondern eine durch den Glaube und die daraus folgende Hoffnung, bestimmt das Leben des erlösten Menschen:

Willst du furchtlos sein? Willst du hinausschauen und sagen: “Nichts kann mich wirklich verletzen, weil ich eine unfehlbare Hoffnung habe”? Willst du hinausschauen und sagen: “Selbst das Schlimmste, was mir passieren kann – der Tod – kann mich nur besser machen”? “Verschone mich nicht, Tod! Ich bitte dich. Du könntest mich nur besser machen, als ich jetzt bin.”

Keller, gezeichnet von der erneuten Krebsdiagnose, schrieb 2021 über Glaubenswachstum im Angesicht des Todes, aus dem ich auszugsweise zitiert habe. Unter den letzten Publikationen von Keller finden sich übrigens drei kurze Werke zu drei Lebensmomenten, die auch in der säkularisierten Umgebung des Westens in der Form von Übergangsriten Aufmerksamkeit erregen: Geburt, Heirat und Tod (englisch in einer Box; deutsche Übersetzung “Tod”).

Es ermutigt mich ungemein, dass im christlichen Leben kein einziger Moment der Wirklichkeit ausgeblendet werden muss. Der Freund und Weggefährte Donald Carson (* 1946) bringt es in seinem Tribut auf den Punkt, weshalb Keller ein Zeitgenosse war, mit dem man gerne Zeit verbrachte:

Es kommt vor, dass man einen Menschen trifft, mit dem man sich sofort verbunden fühlt. Tim war diese Art von Freund. Unsere Gespräche gerieten nie ins Stocken, so als müssten wir uns abmühen, um etwas zu finden, worüber wir reden konnten. Theologie, der Zustand der Kirche, die Stärken und Schwächen des konfessionellen Evangelikalismus, die dringende Notwendigkeit von mehr auslegenden Predigten, die Analyse aktueller kultureller und anderer Trends in Amerika und anderswo, die Bedeutung bestimmter Bibelstellen, geistliche Disziplinen – all das und mehr nahm unsere Gespräche in Anspruch…

Weiterlesen:

  • Predigt zu Johannes 3 (TGC Konferenz 2019)
  • Letzte Botschaft an die Redeemer-Gemeinde in NY
  • Nachruf von Evangelium21
  • Matt Smetthurst hat 50 profunde Zitate Kellers gebloggt.
  • 20 Zitate zur Auferstehungshoffnung
  • Russell Moore publizierte einen Podcast zu Kellers himmlischer Hoffnung.
  • Artikel zum Lebenswerk und Einfluss Kellers

Input: Emotionaler Voluntarismus

Interessante These zur theologischen Psychologie von Matthew LaPine:

Matthew LaPine vertritt die Auffassung, dass die breite Strömung der modernen reformierten Theologie die Bedeutung des Körpers für die geistliche Entwicklung (formation) übersehen hat, indem sie sich auf ein zu stark vereinfachtes Bild davon verlassen hat, wie wir als menschliche Wesen funktionieren. Anstatt den Menschen ganzheitlich zu betrachten, hat sich die reformierte Theologie fälschlicherweise einen Dualismus zu eigen gemacht, in dem Körper und Seele nur in geringem Maße miteinander verbunden sind. LaPines Projekt der theologischen Rückbesinnung will hier Abhilfe schaffen, indem es auf die komplexere Anthropologie der mittelalterlichen Theologie zurückgreift, denn “die mittelalterlichen Theologen haben besser als viele moderne Theologen dargelegt, wie der Körper das Handeln qualifiziert” (39).

Die Logik des Körpers beginnt mit der Infragestellung des “emotionalen Voluntarismus”, der Lehre, dass “wir für Emotionen als intrusive mentale Zustände verantwortlich sind, die zeigen, was wir wirklich glauben. Außerdem kann das unerlaubte Verlangen oder der falsche Glaube durch die Anwendung des Evangeliums durch freiwillige geistige Arbeit überwunden werden” (24-25). Das vorgeschlagene Problem mit dem emotionalen Voluntarismus ist, dass er zu viel Raum zwischen Körper und Seele schafft und den Körper als unbedeutend für persönliche Probleme und Wachstum erscheinen lässt. Die gestufte Psychologie bietet ein robusteres und lebensnäheres Modell des menschlichen Funktionierens, indem sie den Körper als Faktor für die menschliche Veränderung berücksichtigt. Schließlich “findet das Denken selbst innerhalb körperlicher Beschränkungen statt” (38).

In einem Chart veranschaulicht Alpine modellartig das Zusammenspiel von Emotion und Kognition. Die Dissertation “The Logic of the Body: Retrieving Theological Psychology (Studies in Historical and Systematic Theology” steht auf meiner Liste.

50 Zitate aus … Carlisles Kierkegaard-Biografie: Leben – rückwärts verstanden, vorwärts gelebt

Es gibt Bücher, von denen ich Splitter bzw. Fragmente als Kostbarkeiten sammle und hüte. Clair Carlisles “Der Philosoph des Herzens”, ein genialer Abriss über Kierkegaards Leben und Werk und eine unbedingte Ergänzung zu Garffs epochaler Darstellung, gehört dazu. Ich kehrte zur Biografie zurück und hielt Nachlese.

  1. Kierkegaard hat Philosophie betrieben, indem er das Leben von innen heraus betrachtete. (xi)
  2. Er kanalisierte Gedankenströme in seine eigene Existenz und spürte, wie ihre Spannungen und Paradoxien ihn durchdrangen. (xii)
  3. (Dies war) die “Existenzfrage”, die ihn beflügelte und beunruhigte, die ihn zurückhielt und anspornte: Wie kann man ein Mensch in der Welt sein? (xii)
  4. (Kierkegaard’scher Aufbau des Buches) Wir erleben die Zeit nicht als einen äußeren Rahmen oder eine lineare Abfolge, wie ein Zuggleis, auf dem unser Leben verläuft. Während wir uns unaufhaltsam vorwärts bewegen, Atemzug für Atemzug und Herzschlag für Herzschlag, kehren wir in der Erinnerung zurück und rasen in Hoffnungen, Ängsten und Plänen vor uns her. (xiii)
  5. Seine Philosophie ist bekannt für ihre Paradoxien, und Kierkegaards rastloses Verlangen nach Ruhe, Frieden und Stille war ein Paradoxon – und eine Wahrheit – die er täglich lebte. (xvii)
  6. In seiner Dissertation argumentierte Kierkegaard, dass die moderne Ironie keinen Anker hat. Wir erheben uns über die Welt, stellen ihren Sinn in Frage, entlarven ihre Kontingenz – wozu? (10)
  7. Er glaubte, dass das Christentum – seine Bräuche, seine Vorstellungen, seine Ideale – so vertraut geworden ist, so selbstverständlich hingenommen wird, dass es bald hinter dem Horizont verschwinden könnte. (14)
  8. (drei innere Spannungsfelder) Einsamkeit, Angst vor dem, was andere von ihm dachten, und Frustration über sich selbst
  9. (Selbstverständnis) Er könnte auffällig am Rande der Gesellschaft stehen, sich mit ihr anlegen, ihre Annahmen in Frage stellen und sein anhaltendes Gefühl, ein Außenseiter zu sein, in der Welt zum Ausdruck kommen lassen. Er könnte der Sokrates der Christenheit werden! (22)
  10. Er schafft eine Philosophie, die in der Erfahrung verankert ist, in den Fragen, die durch die Ungewissheiten und Entscheidungen des Lebens lebendig werden… (Er konnte ein Jahrhundert später) eine ganze Generation von “Existentialisten” dazu inspirieren, zu argumentieren, dass die menschliche Natur weder eine feste, zeitlose Essenz noch eine biologische Notwendigkeit ist, sondern eine schöpferische Aufgabe für jedes einzelne Leben. (30)
  11. Seine Methode unterscheidet nicht zwischen Konzepten, sondern zwischen “Sphären der Existenz”: verschiedene Arten des Menschseins in der Welt. (37)
  12. Kierkegaard wird argumentieren, dass dies den Glauben entwertet und dass sich die wesentlichste Wahrheit in jedem menschlichen Herzen im Laufe des Lebens entfaltet – denn die Liebe, das Wesen Gottes und die Sehnsucht jeder Seele, ist die tiefste Wahrheit des Christentums. (37)
  13. K. ist der Ansicht, dass das moderne Christentum die radikalen, skandalösen Lehren des Neuen Testaments durch die Vermischung des Verhältnisses zu Gott mit bürgerlichen Werten korrumpiert hat. “Furcht und Zittern” wird davor warnen, dass Gott, sobald er in die ethische Sphäre aufgenommen wird, entbehrlich wird und schließlich ganz verschwindet. … Es gibt zwei klare Wege: Entweder man lässt den Glauben im rationalen, ethischen Humanismus aufgehen oder man beginnt die Aufgabe des Glaubens neu. (40f)
  14. Leid ist nicht nur ein philosophisches Problem, … die Aufgabe des Glaubens besteht nicht darin, das Leiden zu erklären, sondern mit ihm zu leben. Unsere dringlichsten existenziellen Fragen lauten nicht “Warum leiden wir?”, sondern “Wie sollen wir leiden?” (47)
  15. Von Kindheit an zu einem Leben voller Qualen verurteilt, wie es sich vielleicht nur wenige vorstellen können, in tiefste Verzweiflung gestürzt und aus dieser Verzweiflung wieder in die Verzweiflung, habe ich mich durch das Schreiben verstanden. … Obwohl seine Autorschaft eine Last ist, findet er nur im Schreiben Entlastung. (53, zit. K. + 60)
  16. Verzweiflung ist eine Wohltat, ein Segen, denn sie ist das Zeichen der Verbindung des Menschen mit Gott, seiner höchsten Möglichkeit. (60)
  17. Seine ersten Gegner waren sein Vater und seine Brüder, später waren es seine Kommilitonen, dann seine Schriftstellerkollegen. (67)
  18. Wenn er seine Werke komponiert, liest er seine Sätze laut vor, oft mehrmals, um ihren Rhythmus und ihre Melodie zu ergründen. (86)
  19. Er kämpft darum, sein “inneres Bedürfnis” nach Gott vor dem konventionellen Diktat von Sitte und Pflicht zu bewahren. (88)
  20. Der Beruf des Schriftstellers hat ihn in gewisser Weise vom bürgerlichen Leben abgehoben: 1841 war dies für ihn die klare Alternative zur Heirat mit Regine und zum Eintritt in einen Beruf. (89)
  21. (Beeinflusser) Männer wie Oehlenschläger und Heiberg, Sibbern und Møller lehrten Kierkegaard, von der Moderne zu sprechen und sie einer klassischen Vergangenheit gegenüberzustellen; Cervantes, Shakespeare und Goethe zu bewundern; Kunstwerke als spirituell wirksam zu betrachten; Legenden, Mythen und Volksmärchen zu schätzen; durch Literaturkritik zu philosophieren. (100)
  22. Es geht darum, ein Ziel zu finden, zu sehen, was ich nach Gottes Willen wirklich tun soll; das Entscheidende ist, eine Wahrheit zu finden, die für mich wahr ist, die Idee zu finden, für die ich bereit bin zu leben und zu sterben. (106, zit. K.)
  23. Das einzig Richtige ist, zu Gott zu flüchten – und zu handeln. (113, zit. K.)
  24. Er kümmert sich mehr um die Meinung der Welt, als er denkt, und (wiederum wegen seines Stolzes) mehr, als er zugeben will. (113)
  25. Die tiefe Gewohnheit des Nachdenkens, die in der inneren Zerrissenheit und Doppelzüngigkeit seiner Kindheit keimte und während seiner langen Studienzeit genährt wurde, ließ ihn “immer, immer außerhalb seiner selbst” fühlen. (116)
  26. (Schreibzyklus) Als seine Seele “das Zeichen der Hoffnung und der Sehnsucht” betrat, zog er sich in sich selbst zurück und tauchte dann “halb beschämt” wieder auf, um mit einer der flüchtigen Ideen, die er in seinem “inneren Heiligtum” entdeckt hatte, zu kämpfen und zu ringen. (116)
  27. Er glaubt, dass Gottes Führung sein persönliches Leben und seine philosophische Arbeit miteinander verwoben hat: All dies ist Gottes Weg, ihn zu den Fragen und Wendepunkten zu führen, die seine Seele durchlaufen muss, um zu wachsen, um der Mensch zu werden, der er sein soll. (121)
  28. Seit seiner Studienzeit interessiert er sich für die Entwicklung des Charakters und das geistliche Wachstum, wobei er die Betonung der Pietisten auf “Erbauung” und “Erweckung” mit dem romantischen Glauben an die Kunst als Mittel zur Selbstkultivierung verbindet. (127)
  29. Die Melancholie ist dem Christentum nicht näher als der Leichtsinn; beide sind gleichermaßen weltlich, ebenso weit von der Wahrheit entfernt und ebenso bekehrungsbedürftig. (145, zit. K.)
  30. Er kämpfte darum, die Wahrheit seines eigenen Lebens zu rekonstruieren – denn “Wiederholung” war sowohl die überarbeitete Geschichte seiner Verlobungskrise als auch ein Manifest des Existenzialismus. Er bettete seine metaphysischen Reflexionen in eine experimentelle psychologische Erzählung ein und teilte sich einmal mehr zwischen zwei Charakteren auf. (155)
  31. Es war seine selbst auferlegte “Buße”, in Kopenhagen zu bleiben und als Autor als christlicher Missionar im Herzen der dänischen Christenheit zu arbeiten. (166)
  32. Nachdem er durch sein eigenes Versagen aus der ethischen Sphäre verstoßen wurde, hat er die Welt als einen Ort des Leidens und der Aufopferung erkannt – und er hat sich entschlossen, in dieser Welt zu leben und sich der Öffentlichkeit zu stellen. (168)
  33. Seine Arbeit gab den Rhythmus seiner Tage und Nächte vor: hin und her zwischen seiner Wohnung in der Nørregade und den Straßen Kopenhagens, hin und her zwischen kreativem Rausch und körperlicher Erschöpfung.
  34. Er interpretiert die biblische Geschichte von Adams Sündenfall als Dramatisierung eines Falles, der sich im Leben eines jeden Menschen immer wieder ereignet, jedes Mal, wenn sich ein Moment der Freiheit ergibt. Dennoch teilt er die Ansicht von Augustinus, dass der Mensch von Natur aus unruhig ist: Er kommt in der Welt nie ganz zur Ruhe und kann nur in Gott wirklich zur Ruhe kommen. (174)
  35. Er hat seiner Stadt eine Autorenschaft angeboten, die die tiefsten existenziellen Fragen stellt und die tiefsten Bereiche des menschlichen Herzens erforscht; er hat seine eigene Seele erforscht und entblößt, seine dichterischen Kräfte und seinen philosophischen Einfallsreichtum beansprucht, sein Geld ausgegeben, seinen Körper erschöpft in dieser immensen Anstrengung, das Christentum wiederzubeleben, die Spiritualität wieder zum Leben zu erwecken – und die Leute spotten über seine dünnen Beine. (201)
  36. Wenn er stirbt, wird seine tiefgründige, witzige, komplizierte und wortgewandte Autorenschaft frei schweben, nicht mehr an den Stolperstein seiner Persönlichkeit gebunden. (201)
  37. Vielleicht hatte Kierkegaard ein Recht, das Christentum zu verkünden – vielleicht aber auch nicht. Dies war zur Frage seiner Autorschaft geworden, untrennbar verbunden mit der Frage nach seiner eigenen Existenz. (212)
  38. (Er) untersuchte den Unterschied zwischen strengem und mildem Christentum, zwischen Askese und Weltlichkeit, zwischen der Nachahmung Jesu in seinem Leiden und der Bewunderung aus sicherer Entfernung. (219)
  39. Sowohl Abraham als auch Maria gingen bereitwillig ihren göttlichen Aufgaben nach, wurden von ihren Familien und Freunden missverstanden und mussten den Verlust ihrer Söhne hinnehmen. (234)
  40. Ein echter christlicher Zeuge der Wahrheit, so Kierkegaard, “ist ein Mensch, der in seiner Armut für die Wahrheit Zeugnis ablegt, der so wenig geschätzt, so gehasst, so verachtet, so verspottet, so beleidigt, so verlacht wird”. (239, zit. K.)
  41. Meine Aufgabe ist eine sokratische Aufgabe, die Definition dessen auszuloten, was es heißt, Christ zu sein – ich nenne mich nicht Christ (ich halte das Ideal frei), aber ich kann deutlich machen, dass die anderen das noch weniger sind. (243, zit. K.)

Ähnlich ging es mir übrigens bei Rykens Biografie zu J. I. Packer sowie Pearce’ Abriss zu Solschenizyn.

Buchhinweis: Die bedeutendste christliche Geschichtsphilosophie

Im Zusammenhang mit meinem Umzug habe ich sämtliche Bücher kategorisiert und in Kisten verladen. Ich nütze diese Zeit um zu sehen, nach welchen Büchern in überhaupt greife. Es erweist sich, dass es fast nur Klassiker sind. Einer davon ist Augustins monumentale Geschichtsphilosophie “Vom Gottesstaat” (De Civitate Dei). Den Text gibt es online, ebenso in englischer Sprache ein Audiobuch.

Justin Taylor erstellte einen hilfreichen Überblick über die wichtigsten Kapitel.

  • 1.1-36: Warum Augustinus “Vom Gottesstaat” schrieb
  • 4.1-4: Das Wesen von Königreichen ohne Gerechtigkeit
  • 11,1-4: Der Ursprung der beiden Städte, der Stadt Gottes und der Stadt des Menschen
  • 12,4-9: Der Ursprung des Bösen
  • 13,1-24: Der Sündenfall und die Sündhaftigkeit des Menschen
  • 14,1-28: Die beiden Städte
  • 15,1-2: Die beiden Städte am Anfang der Zeit
  • 20,1-30: Das Ende der beiden Städte
  • 21,1-2: Die Ewigkeit der Strafe für die Bösen
  • 22,8-9: ein Exkurs über die Wunder
  • 22,29-30: Die selige Vision (visio beatifica)

Taylor fasst das Anliegen des Buches so zusammen:

“Vom Gottesstaat” muss vor dem Hintergrund der Plünderung Roms gelesen werden, als Kritiker behaupteten, Rom sei gefallen, nachdem es das Christentum angenommen und den Schutz der Götter verloren hatte. Augustinus argumentierte, dass die heidnischen Kritiker das Gute auf der Grundlage der Befriedigung ihrer eigenen Wünsche definierten und nicht nach der wahren Definition, nach der das höchste Gut allein in Gott zu finden sei. Augustinus zeigt, dass alles in der Geschichte in guter Absicht geschieht, wenn das Gute richtig verstanden wird. Er wies auf den Wunsch der Heiden hin, in die Stadt Rom zurückzukehren, und argumentierte, dass ihr Wunsch zwar richtig, ihr Ziel aber falsch sei. Das wahre Glück könne nur im himmlischen Jerusalem, der Stadt Gottes, gefunden werden.

Erst kürzlich habe ich auf die ausgezeichnete Analyse Watkins hingewiesen. Edward Feser machte mich zudem auf die wichtigen Abschnitte am Anfang des Buches zum Umgang mit Leid aufmerksam. Früher habe ich auf den Abschnitte über den Gottesstaat in vorchristlicher Zeit und Gott als erste Realität hingewiesen.

Zum Buch gibt es Augustine’s City of God: A Reader’s Guide sowie von “The Great Courses” eine Vorlesung Books That Matter: The City of God. Zudem greife ich immer wieder auf Augustine through the Ages: An Encyclopedia zurück.

Zitat der Woche: Es begann mit einem Dienstagsgottesdienst für Geschäftsleute

Dick Lucas (* 1925), langjähriger Rector der St. Helen’s Bishopsgate und Gründer von Proclamation Trust, hat Timothy Keller durch dessen Predigten massgeblich geprägt. Sein Nachfolger bei Proclamation Trust ist übrigens Vaughn Roberts, Autor von “Gottes Plan – kein Zufall”. Auf der Website der St. Helen’s Bishopsgate sind 1700 (!) Predigten von Lucas abrufbar.

Sehr eindrücklich an einem persönlichen Interview zu seiner geistlichen Entwicklung ist der unscheinbare Anfang. Kein spektakulärer Start nach der Bekehrung, keine grossartige Begegnung mit seinem Tutor C. S. Lewis in Oxford (er empfand ihn als unfreundlich), kein überragender Mentor in der ersten Kirchgemeinde und auch kein Blitzstart an seiner langjährigen Wirkungsstätte in London. Im Gegenteil: Er wurde aus vier Bewerbern nur gewählt, weil der Vorstand die Wahl des Bischofs verhindern wollte. Lucas berichtet:

Wir haben nicht mit einem großen Sonntagmorgen begonnen. Wir hielten das nicht für sinnvoll, weil das Parken so schwierig war. Es begann mit einem Dienstagsgottesdienst, weil eine Gruppe von Geschäftsleuten, die beteten und in der Bibel lasen, einen evangelistischen Gottesdienst wollten. Ohne diese Männer hätte ich niemals Erfolg haben können. Sie lasen einmal pro Woche in der Bibel… Sie sagten einfach zu mir: “Würden Sie bitte einen Mittagsgottesdienst einrichten?” Das taten wir dann auch. Sie waren es, die für den Erfolg verantwortlich waren.

… Es war nur eine halbe Stunde. Ich denke, ich war wenigstens so vernünftig, mich kurz zu fassen. Die Sache dauerte genau eine halbe Stunde, nur von 12:55 bis 1:25. Ich würde also um 13 Uhr auf die Kanzel steigen, eine Hymne würde angesagt werden, nach der Hymne würde ich ein Gebet sprechen, dann würde ich lesen und sofort predigen und genau um 13:25 Uhr aufhören. Ich habe so gelernt, 21 Minuten lang zu predigen. Und das wurde geschätzt. Die Leute wussten, wie lange sie zu bleiben hatten.

Input: 6 Lektionen aus einem theologischen Klassiker für eine Kulturanalyse

Christopher Watkin leitet sechs Lektionen aus dem Klassiker Augustins “Vom Gottesstaat” ab:

Insider-Aussenseitertum: Wir neigen heutzutage im Hinblick auf kulturelles Engagement häufig dazu, zwischen dem „einfühlsamen Insider“ und dem „tapferen Außenseiter“ zu unterscheiden. Augustinus zeigt uns, wie wichtig es ist, beide Aspekte zu vereinen.

Auseinandersetzung mit der gesamten Kultur: Augustinus bewertet nicht nur gewisse Einzeltrends innerhalb der spätrömischen Kultur. Stattdessen behandelt er ihre tiefen Strukturen und ihre grundlegenden Annahmen: ihre Tugenden wie auch die Laster, ihre Frömmigkeit wie auch die Philosophie, ihr politisches Umfeld und auch die Unterhaltung des Volkes. 

Kritische Auseinandersetzung anhand der gesamten Bibel: Augustinus setzt sich mit der römischen Kultur nicht etwa mit isolierten Bibelversen oder einigen Lieblingslehren auseinander. Die Bücher 11–20 aus Vom Gottesstaat durchleuchten systematisch die gesamte Schrift von der Schöpfung bis zur Offenbarung, um zu zeigen, dass die Bibel eine kohärente und überzeugende Alternative zu Roms wirren Glaubensvorstellungen bietet.

Tiefenstrukturen erkennen: Die Kulturkritik von Augustinus ist nicht oberflächlich. Er begnügt sich nicht mit einer Analyse dessen, was die römische Kultur über sich selbst behauptet. Vielmehr will er zum inneren Kern der Dinge vordringen, um aufzudecken, was unter der Oberfläche geschieht.

Keine Auflösung auf eine Seite: Augustinus vermeidet den doppelten Fallstrick, die beiden Städte entweder nur rein gegensätzlich zu sehen oder nur zu sehen, wie die Stadt Gottes die tiefsten Sehnsüchte der irdischen Stadt erfüllt. Auch vermeidet er einen faulen Kompromiss, den Unterschied zwischen Gegensatz und Erfüllung aufzuspalten.

Keine vereinfachte Darstellung von Kirche und Kultur: die Stadt Gottes und die irdische Stadt in der heutigen Zeit als miteinander verflochten und untrennbar darstellt, gleichzeitig aber aufzeigt, dass sie dazu bestimmt sind, beim letzten Gericht getrennt zu werden. Ein kulturkritischer Ansatz, der die Gegensätze überbetont, würde dazu tendieren, die zwei Städte als vollständig voneinander getrennt zu betrachten – und wäre somit blind für die Art und Weise, wie die Kirche von der Kultur geprägt wird.

Zitat der Woche: Was immer du für Tash getan hast, will ich dir anrechnen

Zu den theologisch umstrittenen Stellen gehört die Annahme von Emeth durch Aslan in «Der letzte Kampf». Lewis gibt ihm den Namen «Wahrheit» in griechischer Sprache. Es fragt sich, ob hier eine Art Inklusivismus gelehrt wird oder zumindest ein Konzept der «edlen Heiden». 

Emeth erzählt:

Ich hatte viel von Eurem Land (Narnia) gehört und sehnte mich sehr danach, Euch in der Schlacht zu begegnen. … (Ich habe) stets Tash gedient, und mein größtes Verlangen war es, mehr über ihn zu erfahren und ihn, wenn möglich, von Angesicht zu Angesicht zu sehen. … (A)ls ich das Gesicht des Tarkaans beobachtete und auf jedes Wort achtete, das er zu dem Affen sagte, änderte ich meine Meinung; denn ich sah, dass der Tarkaan selbst nicht daran glaubte. Und da begriff ich, dass er überhaupt nicht an Tash glaubte; denn hätte er geglaubt, wie hätte er es dann gewagt, ihn zu verhöhnen?

Die Schlüsselstelle der Begegnung mit Aslan:

(D)er Herrliche beugte sein goldenes Haupt herab und berührte meine Stirn mit der Zunge und sprach: ›Sohn, du bist willkommen.‹ Ich erwiderte: ›Ach, Herr, ich bin keiner deiner Söhne, sondern ein Diener Tashs.‹ Er antwortete: ›Kind, was immer du für Tash getan hast, will ich dir anrechnen, als hättest du es in meinem Namen getan.‹ Da überwand ich wegen meines großen Verlangens nach Weisheit und Erkenntnis meine Furcht und befragte den Herrlichen und sprach: ›Herr, ist es denn wahr, wie der Affe sagte, dass Ihr und Tash ein und derselbe seid?‹ Darauf knurrte der Löwe, sodass die Erde erzitterte (doch sein Zorn richtete sich nicht gegen mich), und sagte: ›Es ist Lug und Trug. Nicht weil er und ich eins wären, sondern weil wir so verschieden sind, rechne ich mir die Dienste zu, die du ihm erwiesen hast. Denn er und ich sind von so verschiedener Art, dass mir kein schändlicher Dienst geleistet werden kann, und ihm keiner, der nicht schändlich ist. Wenn darum ein Mensch bei Tash schwört und seinen Schwur um des Schwures willen hält, hat er in Wahrheit bei mir geschworen, auch wenn er es nicht weiß, und ich bin es, der ihn belohnen wird. Und wenn ein Mensch in meinem Namen Grausames tut, dann ist es, führt er auch den Namen Aslan im Munde, Tash, dem er dient, und von Tash wird seine Tat angenommen. Verstehst du, Kind?‹ Ich sprach: ›Herr, Ihr wisst, wie viel ich verstehe.‹ Aber ich sagte auch (denn die Wahrheit zwang mich dazu): ›Doch ich habe mein Leben lang Tash gesucht.‹ – ›Geliebter‹, sprach der Herrliche, ›hätte es dich nicht nach mir verlangt, so hättest du nicht so lange und so wahrhaftig gesucht. Denn ein jeder findet, was er wahrhaftig sucht.‹

Ich mahne zur Vorsicht. Es empfiehlt sich nicht, zu viel aus der Erzählung systematisch-theologisch zu zerpflücken. Zudem gilt: Lewis korrigiert nicht den biblischen Bericht, sondern umgekehrt.

Weiterlesen: Randy Alcorn über C. S. Lewis und die Lehre der Hölle