John Frame (* 1939) gehört zu den Autoren, die ich in einer jährlichen Reprise wieder lese bzw. mir anhöre. Bei einem Waldspaziergang so geschehen zu Kapitel 10 seiner Systematic Theology (Lehre der Schöpfung). Seine Ehrlichkeit und das nuancierte Abwägen eines solchen Schwergewichts sind mir Modell für die eigene Haltung.
a) Zum Alter der Schöpfung und zur Deutung der Schöpfungstage
Zu seiner Qualifikation und Unsicherheit:
“I have no new insight on these issues, nor even any view on the matter that I could argue with confidence. I would direct readers to the many other scholars who are producing articles and books on these subjects. Frankly, I tend to be persuaded by the last person I have listened to (Prov. 18:17)!”
Übersetzung: “Ich habe keine neue Einsicht in diese Fragen, noch nicht einmal eine Ansicht zu dieser Sache, die ich mit Überzeugung vertreten könnte. Ich würde die Leser an die vielen anderen Gelehrten verweisen, die Artikel und Bücher zu diesen Themen verfassen. Ehrlich gesagt, neige ich dazu, von der letzten Person überzeugt zu werden, der ich zugehört habe (Spr 18,17)!”
“I am even less well equipped than in the last case to deal adequately with the remaining “hot-button” issues, namely, the age of the earth and evolution. The reason, alongside the fact that I tend to leave hot-button issues to other people, is that I don’t have much scientific training, aptitude, or knowledge. Of course, I don’t think theological conclusions should be based on scientific theories. But someone who writes on the age of the earth and on evolution is entering areas of vigorous debate about scientific claims. One cannot deal with these questions in a satisfying way unless he is able to relate his exegetical conclusions to the scientific discussion. In that respect, my treatment of these issues here will be inadequate.”
Übersetzung: “Ich bin noch weniger gut ausgerüstet …, um angemessen mit den verbleibenden ‘heißen Eisen’ umzugehen, nämlich dem Alter der Erde und der Evolution. Der Grund ist, neben der Tatsache, dass ich dazu neige, heiße Eisen anderen Leuten zu überlassen, dass ich nicht viel wissenschaftliche Ausbildung, Begabung oder Training habe. Natürlich denke ich nicht, dass theologische Schlussfolgerungen auf wissenschaftlichen Theorien basieren sollten. Aber jemand, der über das Alter der Erde und über Evolution schreibt, betritt Bereiche lebhafter Debatten über wissenschaftliche Behauptungen. Man kann diese Fragen nicht auf befriedigende Weise behandeln, wenn man nicht in der Lage ist, seine exegetischen Schlussfolgerungen zur wissenschaftlichen Diskussion in Beziehung zu setzen. In dieser Hinsicht wird meine Behandlung dieser Themen hier unzulänglich sein.”
Zu seiner aktuellen Position:
“My exegetical position at the moment is that the earth is young, rather than old. I argued above that the creation narrative suggests a week of ordinary days, and that there is no compelling evidence against that interpretation.”
Übersetzung: “Meine exegetische Position im Augenblick ist, dass die Erde jung ist eher als alt. Ich habe .. argumentiert, dass die Schöpfungserzählung eine Woche gewöhnlicher Tage nahelegt und dass es keine zwingenden Beweise gegen diese Interpretation gibt.”
Zu seiner Zurückhaltung bezüglich Dogmatismus:
“I myself see no reason to suppose that the creation week was longer than a normal week. But I see no reason either to require that view as a test of orthodoxy.”
Übersetzung: “Ich selbst sehe keinen Grund anzunehmen, dass die Schöpfungswoche länger war als eine normale Woche. Aber ich sehe auch keinen Grund, diese Ansicht als Test der Rechtgläubigkeit zu verlangen.”
“But I think it unwise to dogmatize on just how far to take this analogy, that is, how precisely to take the correspondence between God’s workdays and ours.”
Übersetzung: “Aber ich halte es für unklug, darüber zu dogmatisieren, wie weit diese Analogie zu treiben ist, das heißt, wie genau die Entsprechung zwischen Gottes Arbeitstagen und unseren zu nehmen ist.”
Zum Zweck der Genesis-Erzählung:
“In all this discussion, we should remind ourselves that God, speaking through Moses in Genesis 1–2, has a purpose, namely, to display God’s glory in his creative work and to provide background for the narrative of the fall. It is certainly not the primary purpose of the narrative to tell us precisely how God made the world, when he did it, how long it took, and how all of this relates to the theories of modern science.”
Übersetzung: “In all dieser Diskussion sollten wir uns daran erinnern, dass Gott, der durch Mose in Genesis 1-2 spricht, einen Zweck hat, nämlich Gottes Herrlichkeit in seinem Schöpfungswerk zu zeigen und den Hintergrund für die Erzählung vom Sündenfall zu liefern. Es ist sicherlich nicht der primäre Zweck der Erzählung, uns präzise zu sagen, wie Gott die Welt gemacht hat, wann er es tat, wie lange es dauerte und wie all dies zu den Theorien der modernen Wissenschaft in Beziehung steht.”
b) Zur Evolution
Zu seiner wissenschaftlichen Qualifikation:
“Although I am not well equipped to judge scientific evidence, I will simply add that as a layman I am not convinced by the evidence presented to me for evolution.”
Übersetzung: “Obwohl ich nicht gut ausgerüstet bin, wissenschaftliche Beweise zu beurteilen, füge ich einfach hinzu, dass ich als Laie nicht von den mir für die Evolution vorgelegten Beweisen überzeugt bin.”
Zu den Beweisen:
“Evidence for macroevolution, the derivation of all living organisms from the simplest by natural selection and mutation, seems to me to be sketchy at best.”
Übersetzung: “Die Beweise für Makroevolution, die Ableitung aller lebenden Organismen von den einfachsten durch natürliche Selektion und Mutation, scheinen mir bestenfalls dürftig zu sein.”
Zum Grund der Überzeugungskraft der Evolutionstheorie:
“Further, I agree with Phillip Johnson that the real persuasive power of the theory of evolution is not based on evidence, but rather on its being the only viable naturalistic alternative to theism. Of course, that consideration carries no weight with me, nor should it influence any other Christian to view the theory favorably. Indeed, it should make us very open to criticism of the theory.”
Übersetzung: “Weiterhin stimme ich mit Phillip Johnson überein, dass die wirkliche Überzeugungskraft der Evolutionstheorie nicht auf Beweisen beruht, sondern vielmehr darauf, dass sie die einzige tragfähige naturalistische Alternative zum Theismus ist. Natürlich hat diese Überlegung für mich kein Gewicht, noch sollte sie irgendeinen anderen Christen beeinflussen, die Theorie günstig zu betrachten. Tatsächlich sollte es uns sehr offen für Kritik an der Theorie machen.”
Zum Schaden der Evolutionstheorie:
“I agree with Johnson and many others that the theory of evolution has brought great harm to society, leading it to deny the biblical view of human nature as the very image of God, the awful nature and consequences of sin, and our need for the redemption of Christ.”
Übersetzung: “Ich stimme mit Johnson und vielen anderen überein, dass die Evolutionstheorie großen Schaden für die Gesellschaft gebracht hat, indem sie dazu führte, die biblische Sicht der menschlichen Natur als das Ebenbild Gottes zu leugnen, ebenso die schreckliche Natur und Konsequenzen der Sünde und unsere Notwendigkeit für die Erlösung durch Christus.”
c) Zu den Positionen innerhalb des Evangelikalismus und seit den Kirchenvätern
Zu den drei Hauptpositionen unter Evangelikalen:
“The three major views being discussed today among evangelicals are (1) the normal-day view, that the days are around twenty-four hours each, succeeding one another chronologically, (2) the day-age view, that the narrative gives a chronological history of God’s creative acts, but that the “days” are of indefinite duration, most likely periods of many years, and (3) the framework view, that the passage describes God’s creative acts topically, and that the succession of days is a literary device for presenting those topical categories, not asserting a chronological sequence.”
Übersetzung: “Die drei Hauptansichten, die heute unter Evangelikalen diskutiert werden, sind (1) die Normal-Tage-Ansicht, dass die Tage jeweils etwa vierundzwanzig Stunden dauern und einander chronologisch folgen, (2) die Tag-Zeitalter-Ansicht, dass die Erzählung eine chronologische Geschichte von Gottes Schöpfungsakten gibt, aber dass die ‘Tage’ von unbestimmter Dauer sind, höchstwahrscheinlich Perioden von vielen Jahren, und (3) die Rahmenansicht, dass der Abschnitt Gottes Schöpfungsakte thematisch beschreibt und dass die Aufeinanderfolge der Tage ein literarisches Mittel zur Darstellung dieser thematischen Kategorien ist, nicht eine Behauptung einer chronologischen Sequenz.”
Zur Aufrichtigkeit aller drei Positionen:
“This discussion concerns the interpretation of Genesis 1 and 2. The question is not whether we should abandon the teaching of these chapters to accommodate secular science. The question is: what does this passage actually say? It is an exegetical issue. I am convinced that the main advocates of all three views are seeking to be true to the teaching of the passage.”
Übersetzung: “Diese Diskussion betrifft die Interpretation von Genesis 1 und 2. Die Frage ist nicht, ob wir die Lehre dieser Kapitel aufgeben sollten, um der säkularen Wissenschaft entgegenzukommen. Die Frage ist: was sagt dieser Abschnitt tatsächlich? Es ist eine exegetische Frage. Ich bin überzeugt, dass die Hauptvertreter aller drei Ansichten danach streben, der Lehre des Abschnitts treu zu sein.”
Zur historischen Akzeptanz verschiedener Ansichten:
“On the other hand, I am not persuaded that figurative views should be considered heresy, because of the following: (a) Although the literal view seems the most natural way to take Genesis 1, it does not seem to me that the argument is sufficiently strong as to absolutely exclude a figurative view, especially if points 10 and 11 below are taken seriously. (b) There have long been differences among Christians on this matter, and various views have been accepted in the church. Only recently has there been a movement to make the literal view a test of orthodoxy.”
Übersetzung: “Andererseits bin ich nicht davon überzeugt, dass figurative Ansichten als Häresie betrachtet werden sollten, aus folgenden Gründen: (a) Obwohl die wörtliche Ansicht der natürlichste Weg zu sein scheint, Genesis 1 zu verstehen, scheint mir das Argument nicht ausreichend stark zu sein, um eine figurative Ansicht absolut auszuschließen, besonders wenn die Punkte 10 und 11 unten ernst genommen werden. (b) Es gab lange Zeit Differenzen unter Christen in dieser Sache, und verschiedene Ansichten sind in der Kirche akzeptiert worden. Erst kürzlich gab es eine Bewegung, die wörtliche Ansicht zu einem Test der Rechtgläubigkeit zu machen.”
Zur Unabhängigkeit anderer Lehren von der wörtlichen Tagesansicht:
“It is not clear to me that any other doctrines rest logically on a literal view of the days of Genesis. A figurative view does not, I think, imperil our confession of biblical inerrancy or the historicity of Genesis, for the figurative views under discussion claim to be derived precisely from the text. A figurative view of the days does not as such warrant an evolutionary view of man’s ancestry. Nor does it compromise the literal historicity of the fall of Adam and Eve, or any of the truths concerning our new creation in Christ. Normally we do not make literal exegesis a test of orthodoxy, and I do not see why the days of Genesis should be an exception.”
Übersetzung: “Es ist mir nicht klar, dass irgendwelche anderen Lehren logisch auf einer wörtlichen Ansicht der Tage von Genesis beruhen. Eine figurative Ansicht gefährdet, denke ich, nicht unser Bekenntnis der biblischen Irrtumslosigkeit oder die Historizität von Genesis, denn die diskutierten figurativen Ansichten behaupten, präzise aus dem Text abgeleitet zu sein. Eine figurative Ansicht der Tage rechtfertigt als solche keine evolutionäre Ansicht der Abstammung des Menschen. Noch kompromittiert sie die wörtliche Historizität des Falls von Adam und Eva oder irgendeine der Wahrheiten über unsere neue Schöpfung in Christus. Normalerweise machen wir wörtliche Exegese nicht zu einem Test der Rechtgläubigkeit, und ich sehe nicht, warum die Tage von Genesis eine Ausnahme sein sollten.”