Zitat der Woche: Die säkulare Sicht auf Welt und Leben ausformuliert

Die naturalistische Sicht auf Welt und Leben, unwahrscheinlich scharf skizziert von Carl F. Henry (in “God, Revelation and Authority”, 135-140):

Die Überzeugung, dass die Natur die umfassendste und tiefste Umgebung des Menschen ist, beherrscht heute praktisch die gesamte westliche Geisteswelt. …

Der radikal-säkulare Mensch lässt keine Alternative zu einer naturalistischen Erklärung der gesamten Wirklichkeit zu. Er lehnt es daher ab, sich dem gegenkulturellen Appell an eine innere Welt der Entscheidung und Transzendenz anzuschließen oder sich mit sozialen Aktivisten zu verbünden, die sich auf so genannte praktische Dinge konzentrieren und dabei Fragen der Ontologie und Epistemologie ausweichen.

Da die empirische Wissenschaft als der zuverlässigste Index für die letztendliche Realität gilt, wird die von ihr anerkannte Sicht der Existenz, nämlich dass die Welt und der Mensch Nebenprodukte unpersönlicher Kräfte und Ereignisse darstellen, als verständlicher angesehen als Projektionen, die menschliche Werte in einem unsichtbaren spirituellen Kontext begründen oder verankern. Nur was wissenschaftlich erforschbar ist, hat rationale Bedeutung.

Die säkulare Weltanschauung postuliert das Sein und die Bestimmung des Menschen allein im Hinblick auf endliche Kräfte, die Verflechtung aller kosmischen Prozesse und die Relativität aller historischen Ereignisse. … Keine objektiv gegebene Ordnung der Wirklichkeit scheint gänzlich unempfindlich gegen seine Manipulation zu sein; die Technologie hat ihn in die Lage versetzt, seine einst scheinbar unkontrollierbare Umwelt so umzugestalten, dass sie seinen eigenen Interessen und Wünschen dient.

In einer Welt ohne objektiven Grund und Zweck braucht der Mensch autonome Freiheit, um seinen eigenen Sinn und seine eigene Sicherheit zu schaffen und wiederherzustellen. … Er hat den Gott der Schöpfung vertrieben und lehnt eine ewig gegebene Sinn- und Wertordnung für die geschöpfliche Wirklichkeit ab, indem er alle Existenz, das Leben, die Wahrheit und den Wert in einen Kontext stellt, der völlig bedingt und vorläufig ist.

Die säkulare Theorie der vollständigen Zufälligkeit (comprehensive contingency), d.h. des lediglich vorläufigen Charakters aller Wirklichkeit, lässt keine transzendente Dimension der Existenz zu. … Es gibt keinen entscheidenden Grund für das Universum und den Menschen, keinen ultimativen Plan oder Entwurf, keine Verantwortlichkeit der Kreatur gegenüber ursprünglichen Strukturen von Kohärenz und Werten, keinen transkosmischen Anker für menschliche Belange. 

Mit der Kontingenz verbunden ist die moderne Auffassung von der totalen Vergänglichkeit der Wirklichkeit und der Erfahrung. Beteuerungen der göttlichen Ewigkeit, des ewigen Lebens und der überzeitlichen Eschatologie werden als unbegründet abgetan. … Offenheit für die Zukunft wird im Sinne von Möglichkeiten historischer – insbesondere gesellschaftspolitischer – Veränderungen verstanden.

Die säkulare Weltanschauung setzt sich für die radikale Relativität oder Verflechtung (interrelatedness) des gesamten historischen Prozesses ein. Sie bekräftigt die Relativität aller Wahrheiten, Werte und Ereignisse gegenüber ihrem wechselnden kulturellen Kontext und ihrer historischen Situation. … Nicht nur werden alle Weltreligionen und philosophischen Systeme als relativ zum historischen Prozess betrachtet, sondern auch die Kategorien der Vernunft, der Moral und der Schönheit selbst werden als historisch relativ angesehen.

(Dazu kommt) die absolute Autonomie des Menschen. Der Mensch bleibt allein, selbstgenügsam und autonom, um den Kosmos aus der Absurdität und Wertlosigkeit zu retten. Kein göttlicher Souverän stellt das menschliche Leben unter unveränderliche Befehle, keine göttliche Offenbarung sagt dem Menschen, was wahr und vertrauenswürdig ist.

Input: Zwei gegensätzliche Visionen des Menschen

Douglas Groothuis verweist in seinem Plädoyer für politischen Konservatismus auf Thomas Sowells (* 1930) Begriffe für zwei gegensätzliche Visionen des Menschen (dargestellt in A Conflict of Visions, zusammengefasst hier):

Die dahinter stehende Frage:

Warum neigen dieselben Menschen dazu, bei jedem Thema zu politischen Gegnern zu werden, obwohl die Themen sehr unterschiedlich sind und manchmal kaum miteinander in Verbindung zu stehen scheinen? Die Wurzel dieser Konflikte, so Sowell, sind die „Visionen“ oder die intuitiven Gefühle, die die Menschen über die menschliche Natur haben; unterschiedliche Visionen haben radikal unterschiedliche Konsequenzen für die Art und Weise, wie sie über alles angefangen vom Krieg bis zum Begriff der Gerechtigkeit denken.

Uneingeschränkte Vision des Menschen (Unconstrained Vision)

Sowell argumentiert, dass sich die uneingeschränkte Sicht auf die Überzeugung stützt, dass die menschliche Natur im Wesentlichen gut ist. Menschen mit einer uneingeschränkten Vision misstrauen dezentralisierten Prozessen und sind ungeduldig gegenüber großen Institutionen und systemischen Prozessen, die menschliches Handeln einschränken. Sie glauben, dass es für jedes Problem eine ideale Lösung gibt und dass Kompromisse niemals akzeptabel sind. Kollateralschäden sind lediglich der Preis für das Vorankommen auf dem Weg zur Perfektion. Sowell bezeichnet sie oft als „die Selbstgesalbten“ (“The Self Anointed”). Letztlich glauben sie, dass der Mensch moralisch perfektionierbar sei. Aus diesem Grund sind sie der Überzeugung, dass es einige Menschen gibt, die auf dem Weg der moralischen Entwicklung weiter fortgeschritten sind, den Eigennutz überwunden haben und gegen den Einfluss der Macht immun sind und daher als stellvertretende Entscheidungsträger für den Rest der Gesellschaft fungieren können.

Eingeschränkte Sichtweise (Constrained Vision)

Sowell argumentiert, dass die eingeschränkte Sichtweise stark auf der Überzeugung beruht, dass die menschliche Natur im Wesentlichen unveränderlich ist und dass der Mensch von Natur aus eigennützig ist, ungeachtet der besten Absichten. Menschen mit einer eingeschränkten Sichtweise bevorzugen die systematischen Prozesse der Rechtsstaatlichkeit und die Erfahrung der Tradition. Kompromisse sind unerlässlich, da es keine idealen Lösungen gibt, sondern nur Kompromisse. Diejenigen mit einer eingeschränkten Sichtweise bevorzugen empirische Beweise und bewährte Strukturen und Verfahren gegenüber Interventionen und persönlichen Erfahrungen. Letztlich fordert die eingeschränkte Sichtweise Kontrollen und lehnt es ab zu akzeptieren, dass alle Menschen ihr angeborenes Eigeninteresse zurückstellen können.

Vortrag: Kulturelle Figuren

Christopher Watkin gehört zu meinen Entdeckungen der letzten Jahre und auch zum Menüplan für den Sommer 2024. Für afet habe ich eine Rezension zu seinem Werk “Biblical Critical Theory: How the Bible’s Unfolding Story Makes Sense of Modern Life and Culture” verfasst.

Nun versuchte ich erstmals in zwei Abendvorträgen einige gesellschaftliche Dogmen (damit sind unhinterfragte Lehrsätze der säkularen Kultur gemeint) der biblischen Lehre der Schöpfung gegenüber zu stellen.

Vortrag 1

  • Warum rechte Lehre und rechtes Handeln zusammengehören
  • Begriffe: Gesellschaft, Dogma, Heilsgeschichte
  • Kirchengeschichtliche Vorlage: Augustins Klassiker “Vom Gottesstaat”
  • Eine umfassende Definition des Begriffs Weltanschauung inkl. Beispielen
  • Figur “Über- und Unterschätzung des Menschen” mit Diagonalisierung

Vortrag 2

  • Warum wir eine Theologie der Kultur brauchen
  • Biblische Heilsgeschichte als Schutz vor Ungleichgewicht
  • Sünde als kulturanalytisches Instrument
  • Figur “Optimismus und Pessimismus”
  • Figur “Zweiteilungen” (politische Linke und Rechte)
  • 3 Figuren “Menschliche Rollen”
  • Narrativ der Performance und der Gnade

Interview: Theologisch Konservative brauchen eine reflektierte Kulturtheologie

Im Interview der Podcastfolge “Alltagsmissionare” antwortete ich u. a. auf folgende Fragen:

  • Was ich lese und wie ich das Lesen in meinen Tagesablauf einbaue
  • Über ein umfassendes Evangeliumsverständnis
  • Warum wir von Anfang an Teil der Kultur sind – und worüber wir tagtäglich katechisiert (unterwiesen) werden
  • Warum wir zu wenig auf dem Hintergrund von Gottes weltweitem Wirken denken und handeln
  • Wie die kulturellen Trends unvermittelt theologisch Konservative treffen
  • Was es bedeutet im Alltag als Christen zu leben
  • Was ich dabei als begnadigt-sündiger Vater von heranwachsenden Söhnen empfehle
  • Was in einer schnell wandelnden Zeit gleich bleibt
  • Über die Herausforderung meiner aktuellen Lebensetappe
  • Was ich als Lesestoff im Bereich säkularer Kultur empfehle

Vor zwei Jahren wurde ich in München über Prinzipien biblischer Weltsicht interviewt.

Buchhinweis: Über den Wandel des Männerbildes

Im neu erschienen “Der toxische Kampf gegen Männlichkeit” schreibt Nancy Pearcey – deren Werk mir wesentliche Einsichten beschert hat – über den Wandel des Männerbildes:

Kolonialzeit: Christlich geprägtes Männerbild

  • In der Kolonialzeit konnten sowohl Mütter als auch Väter ihre Kinder aufziehen und gleichzeitig einer wirtschaftlich produktiven Arbeit nachgehen. (115)
  • Der Haushalt war eine Miniaturgesellschaft. (119)
  • Wer eine Autoritätsposition innehatte, war dazu berufen, seine eigenen Ambitionen zum Wohle der Allgemeinheit aufzuopfern. (121)
  • »Die Identität eines Mannes war untrennbar mit den Pflichten verbunden, die er seiner Gemeinschaft schuldete.« (123)
  • Die Puritaner waren davon überzeugt, dass die Liebe zwischen Mann und Frau so erhebend ist, dass sie sie dazu inspirieren kann, Gott noch mehr zu lieben. (126f)
  • Der gute Mann war der gute Vater, der seine Kraft zum Schutz und zur Versorgung seines Haushalts und seiner Gemeinschaft einsetzte. (132)

Industrialisierung: Entkoppelung von Zuhause und Arbeit

  • Männer hatten kaum eine andere Wahl, als Haus und Feld zu verlassen und ihrer Arbeit in Fabriken und Bürogebäude zu folgen. (141)
  • Um in der neuen, kommerzialisierten Arbeitswelt zu überleben, mussten Männer ehrgeiziger und durchsetzungsfähiger werden und sich hauptsächlich um sich selbst kümmern. (142)
  • (Mann und Frau) kommunizierten »nur noch in flüchtigen Momenten, die er aus der Peripherie seiner Karriere stahl.« (144)
  • Der industrialisierte Arbeitsplatz … basierte auf unpersönlichen Beziehungen, die durch Verträge und Löhne definiert wurden. (147)
  • Wenn der Vater abends nach Hause kam, wurde von der restlichen Familie erwartet, dass sie sich um seine Bedürfnisse und Wünsche kümmerte. Auf der anderen Seite fühlte er sich zu Hause aber auch irgendwie fehl am Platz. (150)
  • »Die Idee des Selfmademan … lockte junge Männer zum Altar des Fleißes und der Beharrlichkeit, wo der Erfolg der Götze war.« (151)
  • (Es kreierte) … ein Gewissen für die Kirche und ein anderes für den Schreibtisch und die Arbeit. (159)
  • Viele begannen, sich nicht über ihre moralischen Qualitäten, sondern über ihre Persönlichkeitsmerkmale zu definieren. (168)
  • Männer waren zu Hause nicht mehr präsent genug, um sich als Ehemänner und Väter intensiv zu engagieren. Sie verbrachten die meiste Zeit im öffentlichen Raum, der zunehmend säkularisiert wurde. (169)

Sentimentalisierung des Heims im 19. Jahrhundert

  • Das Zuhause wurde sentimentalisiert, fast sakralisiert. (175)
  • Das Heim sollte von der Geschäfts- und Finanzwelt abgegrenzt werden, damit es als Zufluchtsort vor der rauen, konkurrenzbetonten Welt da draußen fungieren konnte. (176)
  • Da Moral privatisiert wurde, wurden die Männer von der Verantwortung entbunden, in der öffentlichen Sphäre eine christliche Weltanschauung zu praktizieren. (182)
  • Eine Mutter war dazu berufen, das Feuer der Zuneigung zu schüren, ihren weltmüden Ehemann zu betreuen und ihren Kindern moralische Empfindungen aufzuprägen. (183)

Zitat der Woche: Jüdische Weltgeschichte

Der deutsche Historiker Michael Wolffsohn (* 1947), geboren in Tel Aviv als Kind jüdischer Flüchtlinge, schreibt in seinem Werk “Eine andere jüdische Weltgeschichte” (Herder, 2022) zusammenfassend (13f):

Das ist der dreischichtige Kern der jüdischen Geschichte. Er gilt über alle Epochen hinweg bis in die Gegenwart. Je nach Ort und Zeit wechselt der Einfluss des jeweiligen Faktors:
1. Das Spannungsfeld zwischen dem Land Israel und der Diaspora-Vielzahl.
2. Der innerjüdische Gegensatz zwischen Weltoffenheit (Universalismus) und – teils durchaus selbstgewählter – Abgeschlossenheit (Partikularismus). …
3. Was ist Zeit und Raum übergreifend das Grundfaktum jüdischen Seins und Daseins, individuell ebenso wie kollektiv? Es ist eine ‘Existenz auf Widerruf’ (Georges-Arthur Goldschmidt), wobei der Widerruf von draussen in und auf die jüdische Welt ertönt.

Etwas später (33f):

Grundfaktum 1 der jüdischen Geschichte: Die längste Zeit lebten und leben die meisten Juden in Städten, wenngleich man … in der Hebräischen Bibel agrarische Traditionen erkennt. … Am Anfang war die Landwirtschaft. …. Während der hellenistisch-römischen Epoche Judäas setzte die städtische, besonders die Jerusalemer Oberschicht allmählich ihre materiellen und ideellen Interessen gegen die Lebensnotwendigkeiten der ländlich-bäuerlichen Unterschichten durch. … Auch die Diaspora-jüdische Gemeinschaft lebt und lebte überwiegend in Städten und dort meistens geballt in einem Stadtteil oder wenigen anderen.

Grundfaktum 2 der rund 3000-jährigen ‘Geografie’ der Juden: … 400 Jahre jüdische Geografie in Alt-Israel (nämlich während der altrorientalischen Königszeit) … knapp weitere 600 Jahre Jüdische Geografie in Alt-Israel (zwischen der Rückkehr der jüdischen Minderheit 518 v. u. Z. und der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 u. Z.). 74 Jahre Jüdische Geografie in Neu-Israel (1948-2022).

Interview: Carl F. Henry über Leben, Theologie und Evangelikalismus

Anlässlich des Studiums der Klassiker “God, Revelation and Authority” stiess ich auf das Interview von Marc Dever mit Carl F. Henry (1997).

Ab Minute 35 berichtet Henry über Billy Graham, die Begegnung mit Karl Barth und unmittelbar danach mit Martyn Lloyd-Jones.

Henry attestiert Barth Brillanz als Theologe, als Kenner der Kirchengeschichte sowie Standhaftigkeit im Kirchenkampf, ebenso profunde Kenntnisse der Gegenwartskultur. Gleichzeitig kommt er zum Schluss, dass sein Kampf gegen den theologischen Liberalismus zu einer Alternative geführt hätte, die sich ähnlich auswirkten wie das von ihm Bekämpfte. Er erwähnt den impliziten Heilsuniversalismus anlässlich der Anekdote eines Besuchs von Barths Nichte an einer Evangelisation Grahams.

Bei allem Respekt gegenüber dem Schaffen Barth: Ich pflichte Henry zu. Ich empfehle die Beiträge von Carl Trueman zu Barth, Donald Carson sowie Albert Mohler zum US-amerikanischen Evangelikalismus.

Letzthin stiess ich auf diesen Podcast eines Interviews der Barth-Biografin Christiane Tietz. Sie kommentiert dort Barths Dreiecks-Verhältnis wie folgt:

Er fühlte sich schuldig, dass er nicht in der Lage war, die Ehe aufrechtzuerhalten, und auf der anderen Seite hatte Barth das Gefühl, dass er einer Scheidung nur zustimmen konnte, wenn seine Frau der Scheidung zustimmte. Also gab es keine. …

Ich hatte das Gefühl, dass jeder der drei Beteiligten sich irgendwie verantwortlich fühlten. Das klingt vielleicht ein bisschen komisch, aber es ist sehr wichtig für mein Verständnis. Jeder von ihnen versuchte, verantwortlich zu sein für die anderen. … 

Enge Freunde wussten um die Beziehung und dass er sich schuldig fühlte… Einem Freund schrieb er 1942, dass Charlotte sein grösster irdischer Segen gewesen sei. (Er bezeichnet es als) ‘das härteste Urteil über mein irdisches Leben. Ich stehe also vor Gottes Augen, ohne dass ich ihm auf die eine oder andere Weise entkommen kann. Es ist durchaus möglich, dass deshalb ein Element der Erfahrung in meine Theologie einfließt. Mir wurde verboten, der Legalist zu werden, der ich unter anderen Umständen hätte werden können.’

(Frage, ob Tietz beschämt war, als sie diese Briefe las) Ich habe diese Erfahrung gemacht, vor allem, wenn man diese Briefe liest, wo man spürt, wie sie weinen oder wie sie keine Lösung gefunden  und gekämpft haben.

(zur Publikation des Briefwechsels mit Charlotte von Kirschbaum) Das war sehr spät, erst im Jahr 2000 wurden die ersten Briefe veröffentlicht, in denen man die Spannungen in der Ehe sowie zwischen Barth und den Kindern spüren konnte, Diese sagten in einer Erklärung, dass sie wollten, dass das veröffentlicht wird, weil sie wollten, dass die Gerüchte aufhören und sie wollten, dass die Leute verstehen, wie wichtig das ist.

Ich verweise zudem auf die Rezension des nuancierten asiatischen Barth-Experten Shao Kai Tseng.

Input: Indoktrination und der Glaube an Gott

Ich bin kürzlich wieder auf die Dissertation des Erziehungsphilosophen John Shortt (2022 an Krebs gestorben) gestossen. Im 6. Kapitel wendet er die reformierte Epistemologie auf das Themenfeld der Indoktrination an. Hier geht es zu einem gewaltigen Reservoir christlicher Erziehungsphilosophie.

Methode (78)

Die grundlegenden Überzeugungen (properly basis beliefs) von Plantinga und anderen reformierten Erkenntnistheoretikern haben weitreichende Auswirkungen, insbesondere der Glaube, dass Gott existiert, und die damit verbundene These, dass die göttliche Offenbarung sich selbst bestätigen kann. Kann es sein, dass kein Verfahren, das mich zu diesen Überzeugungen bringt, unvernünftig sein kann oder dass sie nicht Gegenstand einer indoktrinierenden Methode sein können? Dies scheint eine seltsame Schlussfolgerung, denn viele Autoren verwenden genau solche Überzeugungen in ihre paradigmatischen Beispiele für Indoktrination. Ich werde darauf hinweisen, dass ein inhaltliches Kriterium für Indoktrination nicht ausreichen kann und dass ein Absichtskriterium nicht notwendig ist. Wenn also die paradigmatischen Fälle, die solche Fälle mit solchen Überzeugungen wirklich Indoktrination darstellen, muss es sich (teilweise) um eine Frage der Methode handeln, die nicht auf wirklich grundlegende Überzeugungen anwendbar sind.

Inhalte (80)

Grundüberzeugungen aller Art sind so beschaffen, dass sie nicht als wahr bewiesen werden können, obwohl daraus nicht folgt – so behaupten reformierte Erkenntnistheoretiker -, dass man nicht wissen kann, dass sie wahr sind.
Ob die grundlegenden Axiome eines mathematischen oder logischen Systems in diese Kategorie fallen würden, bin ich mir nicht sicher, aber das zweite Element der obigen Definition lenkt die Aufmerksamkeit auf die vermeintlichen weltanschaulichen und praktischen Implikationen eines Lehrsystems. Dies scheint eher auf die höheren und umfassenderen Ebenen der Hierarchie der Wissensformen zuzutreffen als auf Mathematik und Logik. Metaphysische, religiöse, moralische und politische Grundüberzeugungen wären eher offensichtlich doktrinär.
Die Grundüberzeugungen von Systemen wie Naturalismus, Materialismus und dergleichen wären ebenfalls lehrhaft. Die obige Definition besagt jedoch nicht, dass lehrhafte Überzeugungen grundlegend sein müssen. Sie legt vielmehr nahe, dass sie integraler Bestandteil von Glaubenssystemen sind, die sowohl eine unbestreitbare Grundlage haben als auch die sowohl unbeweisbare Grundlagen als auch durchdringende Konsequenzen für die gesamte Lebensanschauung und Lebensweise einer Person darstellen.
Dies weist auf eine wichtige Art und Weise hin, in der grundlegende Überzeugungen vermittelt werden können. Da sie von anderen Überzeugungen in einem Lehrsystem vorausgesetzt werden, können sie bei der Festlegung des Rahmens für eine Lektion oder Diskussion als selbstverständlich angesehen werden.

Absicht (82)

Ein Absichtskriterium ist weder notwendig noch ausreichend für die Indoktrination. Einerseits kann eine Person unbeabsichtigt oder sogar ungewollt indoktriniert werden. Es ist möglich, dass es indoktrinierende Erziehungssysteme gibt, in denen die Person, die die indoktrinierende Tätigkeit ausübt, unreflektiert oder mit der Absicht, einfach das zu tun, was von ihr erwartet wird. Wenn ich damit richtig liege, ist ein Absichtskriterium nicht erforderlich. Andererseits könnte eine Person beabsichtigen zu indoktrinieren oder zumindest feste Überzeugungen einzupflanzen oder ein ähnliches Endergebnis seiner Tätigkeit. Es kann nicht viele geben, die tatsächlich beabsichtigen, in einem Sinne zu indoktrinieren, den sie als absichtsvoll akzeptieren würden. Diese Person könnte das, was er beabsichtigt, nicht erreichen. Ein fehlgeschlagener Indoktrinationsversuch ist niemals Indoktrination, also kann die Absicht für eine Indoktrination nicht ausreichen.

Fazit (104)

(Die) reformierte Kritik an der rationalen Autonomie und das ihr entgegengesetzte Ideal der vertrauensvollen Antwort auf eine autoritative Offenbarung (ist für die Klärung dieser Frage) von
Bedeutung. Ein Großteil der Diskussion zu diesem Thema setzt entweder den starken Innerlichkeitsgedanken der eher traditionellen Formen des Rationalismus oder die neueren Entwicklungen des allumfassenden Rationalismus voraus. Sie hat daher von vornherein die Möglichkeit ausgeschlossen, dass der Glaube an Gott unmittelbar gerechtfertigt ist oder die göttliche Offenbarung sich selbst bestätigt. Die Indoktrination ist sowohl eine Frage des Lehrinhalts als auch einer Methode, die weniger rational ist, als sie sein könnte. Wenn es sich so verhält und der Glaube an Gott wirklich grundlegend ist, ist es unmöglich, den Glauben an Gott zu indoktrinieren, da seine Rechtfertigung nicht von anderen gerechtfertigten Überzeugungen abgeleitet werden kann.
Das Lehren auf der selbstverständlichen Verpflichtung gegenüber der Vernunft, (kann jedoch aus vorgelagerten Gründen abgeleitet werden). Daraus folgt nicht, dass in Bezug auf die
Lehre eines grundlegenden Glaubens an Gott alles erlaubt wäre. Einige Arten, einen solchen Glauben zu vermitteln, wären unvereinbar mit den darauf aufbauenden Überzeugungen wie z. B. der Achtung des Menschen als Ebenbild Gottes. Weil der Glaube an Gott nur unter bestimmten Umständen wirklich grundlegend ist, kann ein Schüler nicht unmittelbar berechtigt sein, ihn
ihn zu vertreten, wenn er sich nicht in diesen Umständen befindet. Eine angemessene Art des Unterrichts unter diesem Gesichtspunkt bestände darin, die göttliche Offenbarung als etwas Schönes darzustellen und auf ihre Merkmale hinzuweisen, in der Hoffnung, dass der
in der Hoffnung, dass der Schüler dazu kommt, selbst auf sie zu antworten. Dies könnte bedeuten, dass er in die Lage versetzt wird, die Einwände gegen diese Überzeugungen zu verstehen und rational darauf zu reagieren. Sie sorgt für eine rationale Autonomie, soweit dies in dieser Perspektive möglich ist und stellt die vermeintliche Neutralität alternativer Ansätze in Frage.

Input: Der Kult des Nonverbalen

In der Einführung zur magistralen “God, Revelation and Authority” (6 Bände, Crossway 1999; Bd. 1, The Crisis of Truth and Word) schildert Carl F. Henry (1913-2003) vor über 50 Jahren (!) die Verlagerung von der Wort- zur Bildkultur:

  • (Feststellung am Anfang des Kapitels) Keine Tatsache des gegenwärtigen westlichen Lebens ist offensichtlicher als das wachsende Misstrauen gegenüber der endgültigen Wahrheit und die unerbittliche Infragestellung jedes sicheren Wortes. … Das schwindende Vertrauen in die verbale Kommunikation ist ein Merkmal unserer Zeit. … Radio- und Fernsehsendungen konzentrieren sich heute oft auf Ton und Bilder, um eine emotionale statt einer kognitiven Reaktion des Publikums zu erreichen.
  • Die Medien sind „nicht die Ursache, sondern der Ausdruck der zeitgenössischen Leere“ (Malcolm Muggeridge).
  • Die Medien setzen sich nur selten ernsthaft und tiefgründig mit den letzten Prinzipien auseinander.
  • (Diese) Krise der Wahrheit und des Wortes stellt sich als ein Konflikt zwischen dem Logos Gottes als Medium der göttlichen Offenbarung und den modernen Massenmedien als Zulieferer des säkularen Geistes dar.
  • (Anschauungsunterricht marxistische Nationen und westliche Werbeindustrie) Wie totalitäre Tyrannen die Macht der Medien ausnutzen, um die Massen zu versklaven, indem sie die Kontrolle über Radio, Fernsehen und Presse an sich reißen, ist allgemein bekannt. In kommunistischen Ländern diktiert die Parteilinie, was die Öffentlichkeit zu hören und zu sehen hat; die Medien sind ein Instrument zur Verbreitung des Marxismus. Die Unternehmer der freien Welt sind sich des allgegenwärtigen Einflusses der Medien nicht weniger bewusst und nutzen die Madison Avenue, um für Produkte, Persönlichkeiten oder Prinzipien von unterschiedlichem Wert oder Wertlosigkeit zu werben.
  • (wider die Ansicht, dass früher alles besser war) Gottes Wort macht dem so genannten geschichtlichen Fortschritt des Menschen keinerlei Komplimente; vielmehr weist es die Pseudoparadiese des Menschen als wahre Türme zu Babel an, die Gottes Wahrheit und Wort verdunkeln und verfälschen.
  • Alle Kommunikationsmedien zwingen ihren Anhängern eine Stimmung ständiger Krisen im gesellschaftspolitischen Bereich und nicht im ethisch-geistigen Bereich auf.
  • Die erschöpfende Wirkung der medialen Präsentation neigt auch dazu, der religiösen Auseinandersetzung die Wirksamkeit zu nehmen, die sie einst hatte.
  • Besonders auffällig ist diese Vorliebe für das Nonverbale bei der jüngeren Generation, die immer häufiger vermutet, dass Worte eher der Verschleierung als der Enthüllung der Wahrheit dienen, d. h. dass Worte dazu benutzt werden, zu verschleiern, zu verzerren und zu täuschen.
  • Werbetreibende nutzen religiöse und ethische Begriffe, um potenziell schädliche Produkte anzupreisen. … Worte werden ihrer traditionellen Bedeutung beraubt und zu fragwürdigen Zwecken verkauft.
  • Viele moderne Kirchenmänner, die von der höheren Kritik verwirrt und von der existentiellen Theologie begeistert sind, haben selbst behauptet, dass der Inhalt des Wortes Gottes nicht in Worten formuliert werden kann.
  • Wenn sich die Auffassung durchsetzt, dass man Worten als Wahrheitsträger nicht trauen kann, und wenn man religiösen Begriffen freien Lauf lässt, dann leidet das Christentum, weil es eine Religion der verbalen Offenbarung ist, mehr als andere Weltreligionen.
  • Der Anspruch von Jesus von Nazareth, das Wort und die Lehre Gottes zu kennen und zu verkünden, ist Unsinn, wenn Worte von Natur aus verzerrend und trügerisch sind.

Zitat der Woche: Wir sind auf der Bühne, weder Verfasser, Regisseur noch Zuschauer

In meinem Re-Reading aus dem reichhaltigen Fundus von Aufsätzen (Hörbuch) über C. S. Lewis kam ich am wunderbaren Aufsatz “Die letzte Nacht der Welt” (1951/52; englischer Text) vorbei:

Wir haben gelernt, uns die Welt als etwas vorzustellen, das langsam seiner Vollendung entgegenwächst, als etwas, das ‘fortschreitet’ oder ‘sich entfaltet’. Die christliche Apokalyptik bietet uns dergleichen Hoffnung nicht. Sie sagt nicht einmal – was unseren Denkgewohnheiten erträglicher schiene – einen allmählichen Zerfall voraus. Sie prophezeit ein plötzliches, gewaltsames Ende, das von aussen kommt…

Die Idee, die … das Zweite Kommen aus unserem Geiste verdrängt – dass nämlich die Welt langsam ihrer Vollendung entgegenreife -, ist ein Mythos und kein verallgemeinernder Schluss aus der Erfahrung. … Sie stellt unsern Versuch dar, den Handlungsablauf des Dramas zu erraten, in welchem wir als Personen auftreten. Aber wie können die Personen eines Stückes dessen Handlungsablauf erraten? Wir sind nicht der Verfasser, wir sind nicht der Regisseur, wir sind nicht einmal die Zuschauer. Wir stehen auf der Bühne. Die Szenen, in den wir vorkommen, gut zu spielen, geht uns viel mehr als, als die folgenden Szenen zu erraten. …

Die Lehre vom Zweiten Kommen des Herrn unterrichtet uns darüber, dass wir nicht wissen und nicht wissen können, wann das Welttheater zu Ende ist. Der Vorhang kann jeden Augenblick fallen

(Wir denken:) Kein guter und weiser Gott könnte doch wohl so unvernünftig sein, all (unser Tun) zu unterbrechen! Nicht ausgerechnet jetzt! Aber wir denken so, weil wir dauernd annehmen, wir verstünden das Spiel. Wir kennen das Stück nicht. Wir wissen nicht einmal, ob wir im ersten oder im fünften Akt stehen. Wir wissen nicht, wer die Haupt- und wer die Nebenpersonen sind. Der Autor weiss es. Das Publikum, wenn es eines gibt (wenn Engel und Erzengel und die ganze himmlische Heerschar Parkett und Ränge füllen) hat vielleicht eine Ahnung. Aber wir, die wir das Stück nie von aussen sehen, die wir keine andern Personen kennenlernen als die winzige Minderheit, die im selben Auftritt mitspielt wie wir, ohne die mindeste Kenntnis der Zukunft und sehr unzulänglich über die Vergangenheit informiert, wir können nicht ausmachen, welches der richtige Augenblick für das Ende ist.

… Wir sollenten die Lehre von der Wiederkunft des Herrn nicht ablehnen, weil sie sich schlecht mit unserer modernen Lieblingsmythologie verträgt. Gerade darum sollten wir sie um so höher schätzen und sie um so häufiger zum Gegenstand unseres Nachdenkens machen. Sie ist die Medizin, deren unser Zustand besonders bedarf.