Der substanzlose Weiterbildungsmarkt oder vom Zwang, den eigenen Lebenslauf zu konstruieren

Immer mehr Menschen nehmen sie in Anspruch, immer mehr wird sie von politischen und sozialen Interessen in Anspruch genommen und immer mehr wird die überkommene aufklärerische Intention von einer gegenläufigen Tendenz durchkreuzt. Die beschleunigte Umwälzung der ökonomischen und technologischen Basis der Gesellschaft fordert ihren pädagogischen Preis: Fassbar wird er z. B. im expansiven Zwang zum Dauerlernen, in dem sich der strukturelle Widerspruch von Fremd- und Selbstbestimmung handgreiflich zuspitzt: die Bildungsprozeduren im Zwangskorsett der Moderne kehren sich schliesslich gegen sich selbst. Das expandierende, hochdifferenzierte, funktional operierende Qualifizierungsgeschäft läuft mehr und mehr leer. Zielte es einstmals aufs Subjekt, genauer: auf die selbsttägige, kritische Aneignung seiner Lebensumstände, so löst der forcierte Weiterbildungsmarkt diesen Zusammenhang ausdrücklich auf. Er setzt auf den permanenten Durchfluss von Qualifikationen, in die die Verfallszeiten gleichsam schon eingebaut sind. Paradox formuliert: Der Erfolg des modernen Weiterbildungssystems ist seine Substanzlosigkeit. Es bleibt funktionalistischer Theorie überlassen, dies als blossen Gewinn zu verbuchen: als Universalisierung von Lernen und Qualifizierung, als wachsenden Zwang, den eigenen Lebenslauf zu konstruieren.

Ludwig A. Pongratz. Untiefen im Mainstream. Zur Kritik konstruktivistisch-systemtheoretischer Pädagogik. Ferdinand Schöningh: Paderborn 2009. (15)