Warum Ehe und die Lebensstrategie des Touristen sich nicht vertragen

Ron hat mit seinem Post zu den neusten Scheidungszahlen den Kontrastpunkt zu meiner Ode an die Ehe gesetzt. Ich gebe ihm Recht, wenn er meint, dass die gängigen Erklärungsmuster für die ansteigenden Scheidungsraten zu kurz greifen.

Es geht auch um eine geistliche Krise. Im postmodernen Denken ist nämlich kein Platz mehr für stabile Werte oder Beziehungen. Da der Mensch die Erfindung von Machtdiskursen ist, orientiert er sich nicht an ewigen Wahrheiten, sondern handelt Normen und Beziehungen ständig neu aus. Lyotard weist darauf hin, dass permanente „Institutionen in beruflichen, affektiven, sexuellen, kulturellen, familiären und internationalen Bereichen wie in politischen Angelegenheiten“ durch „zeitweilige Verträge“ ersetzt werden (Jean-François Lyotard, Das Postmoderne Wissen, S. 191). Ähnlich wertet der Soziologe Zygmunt Bauman: Bezeichnend für das „postmoderne Lebensspiel“ ist das Leben im Augenblick. Inbegriff der postmodernen Lebensstrategie ist die Gestalt des Touristen. Ein Tourist bindet sich nicht, kennt keinen Befriedigungsaufschub und vor allem: er konsumiert. In einer Zeit des globalen Kapitalismus ist alles auf Bedürfnisstimulation und rasche Befriedigung angelegt. Wie ein Nomade verhält sich der Tourist als Durchreisender. Das Leben bleibt episodenhaft, die Verpflichtungen sind überschaubar. Der Nomade bindet sich nicht an den Aufenthaltsort oder Partner. Wenn ein Stamm mit dem dazugehörigen Vieh einen Weideplatz abgegrast hat, zieht er weiter (Zygmunt Bauman, Flaneure, Spieler und Touristen. Eassys zu postmodernen Lebensformen, 1997.)