Kolumne: Nachgedanken zu Hamburg

6 Fragmente (mit fiktivem Ich-Erzähler)

Päng. Ein präziser Kopfschuss, zwei Zentimeter über dem linken Auge. Habe ich ihn endlich. Ein dünner Blutstrahl läuft quer über das Gesicht. Der Krawattenträger liegt verkrümmt auf dem dunklen Gehsteig. Das gibt 4600 Extra-Punkte. Endlich steige ich auf Level 8 auf. Wurde auch Zeit. Seit elend vielen Tagen sass ich auf Level 7.

Päng. Verärgert schaut der Nachbar im Zug mich von der Seite an. Ich spüre seinen verächtlichen Blick. Die drei Flaschen mit Hochprozentigem sind eben unsanft zusammen gestossen. Eine stark nach Ausdünstung riechende ältere Frau hat sich noch zu uns ins Abteil gedrängt. Ich schiebe die Beine unmerklich drei Zentimeter vor. Was bildet sich diese Kuh ein, sich noch zu uns ins Abteil zu setzen. Mit Beinfreiheit ist es endgültig vorbei.

Päng. Eine Nebelpetarde zum Empfang im Hauptbahnhof. Das will doch mal ein Anfang sein. Wo ist nur Madde? Er hat doch versprochen, mich mit seinen Kumpels abzuholen. Da kommt er schon. Sieht einem Krawallmacher gar nicht ähnlich mit seinem bleichen, schmalen Gesicht und dem Flaum am Kinn. Doch wenn die wüssten…

Päng. Mit einer Holzstange ein schönes Loch das Fenster des Café gebohrt. Links zwei brennende Wagen, ein grauer VW eines Kleinbürgers, auf der gegenüberliegenden Seite ein C-Klasse-Mercedes. Recht geschehen. Diese Idioten.

Päng. Runter flog die volle Flasche. Es ist nach Mitternacht. Ich stehe auf dem Dach eines Wohnhauses. Madde hatte sich über n’Kumpel die Schlüssel besorgt. Unten steht die POLICE. Diesen Drecksocken lasse ich es mal regnen.

Päng. Die Tür schlug ins Schluss. Erschreckt streckte Mutti ihren Kopf in den Gang. „Biste wieder da?“ Ohne ein Wort zu verlieren, werfe ich den schwarzen Rucksack im Flur hin und die Tür meines Zimmers ins Schloss. Jetzt wird erst mal richtig ausgeschlafen.

10 Hypothesen: Wohlstands-Prekariat

  • Der Übergang von der virtuellen zur realen Lebenswelt ist fliessend.
  • Es ist prioritär einen Stimulus zu bekommen.
  • Es geht um Vereinzelung und Vereinsamung.
  • Punktuell jedoch findet man sich zu einem pervertierten Gemeinschaftserlebnis.
  • Alkohol dient als Schmiermittel.
  • Mann wohnt in Hotel Mama.
  • Der Vater tritt nicht in Erscheinung.
  • Hass wird kultiviert.
  • Es wird übersehen, dass jeder Teil unausweichlich Teil eines Kollektivs (Familie, Staat) bildet.
  • Mann sägt am Ast, auf dem er sitzt.

5 Vorschläge zur Kur

  • Abschalten: Aus der virtuellen Welt hinaus
  • Arrest: Zur Besinnung kommen
  • Ausziehen aus dem Hotel Mama
  • Arbeit mit Befriedigung
  • (für die anderen:) Ansprechen