Ein vertiefter Zugang zum Johannes-Evangelium

Das Johannes-Evangelium war in meinem bisherigen Leben zwar immer wieder Gegenstand meiner Lektüre. Ich bin fasziniert von der Andersartigkeit. Der nüchterne Erzählstil der Synoptiker ist so anders als der Zugang, den Johannes schafft. Er war der Jünger, der Jesus am nächsten stand. Einige vermuten gar, dass er Ereignisse, die er exklusiv schildert (Nikodemus, Frau am Jakobsbrunnen etc.), allein mit Jesus erlebt hätte. Gut möglich. Aber das Evangelium blieb mir bislang trotzdem fremd. Man lese einmal den Einstieg. Er hört sich sehr kryptisch, sehr tief an. Ähnlich erging es mir auch, wenn ich die Abschiedsrede von Jesus in Johannes 13-17 las. Durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema der Trinität hat mir Gott einen ganz neuen Zugang zu diesem Evangelium geschenkt. Ich liebe es, immer wieder darin zu lesen. Ein kleiner Ausschnitt:

Abschied zu nehmen ist etwas sehr Emotionales. Gott hat uns Menschen so geschaffen, dass wir in unserem Sein aufgestört und bewegt werden, wenn wir etwas verlassen – sei es die Arbeitsstelle, einen Wohnort, einen Lebensabschnitt (wenn zum Beispiel die Kinder ausfliegen), körperliche Funktionen, eine Kirche. Noch viel krasser ist jedoch das, was Jesus bevorstand. Dies wird in Johannes 13,1 angedeutet. Diese Rahmung der Rede ist mir noch nie so aufgefallen wie beim neuerlichen Studium:

Vor dem Passahfest aber, da Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen war, aus dieser Welt zum Vater zu gehen: wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende.

  •  Vor dem Passahfest: Was seit dem Auszug aus Ägypten, 1400 Jahre früher, immer wieder gefeiert wurde, geht jetzt in Erfüllung. Christus, das Passah (1Kor 5,7) würde geschlachtet werden. Es ist also kein Zufall, dass Jesus das Abendmahl mit der Passahfeier verknüpfte, dass er vom Blut des neuen Bundes spricht, dass sein Tod am Passahfest geschah.
  • Jesus weiss, dass seine Stunde gekommen ist: Dieser Ausdruck, dass die Stunde nahte, durchzieht das ganze Evangelium. Es lohnt sich, alle diese Stellen einmal nachzuschlagen. So gewiss er wusste, dass sein Dienst noch nicht vollendet war und dies seine Umgebung auch deutlich wissen liess, so klar war ihm jetzt, dass die Vollendung bevorstand. Diese Stunde würde zum Brenn- und Wendepunkt der Heilsgeschichte werden.
  • Jesus würde aus dieser Welt zum Vater gehen: Es wird nicht zuerst der Tod erwähnt, sondern das Ziel. Jesus, der Gesandte des Vaters (ebenfalls ein häufiges Motiv des Evangeliums), würde nach vollendetem Auftrag zu seinem Vater zurückkehren. Da finden wir bereits die erste Aussage von Gott dem Sohn und Gott dem Vater.
  • Jesus liebte die Seinigen: Bereits am Anfang des Evangelium wird von denen gesprochen, die ihm gehören – denen er das Recht gab, Kinder Gottes zu heissen (Joh 1,12). Alle, die der Vater zog, würden zu Jesus kommen (Joh 6). Und er liebt die Seinigen bis zum Ende. Hier wird seine Total-Hingabe angesprochen. Nebenbei bemerkt: Liebe ist – Hingabe, nicht das Verwöhnt-werden vom Anderen. Liebe beginnt mit der völligen Hingabe an den anderen.

Vollzeiter ade

Hier wird ein Tabu gebrochen – das des “vollzeitlichen” Dienstes. Als überzeugter Zeltmacher kann ich nur beipflichten:

Im Früh­jahr 2003 habe ich fröh­lich meine Stelle gekün­digt und eine Kar­riere auf­ge­ge­ben, um dem HERRN voll­zeit­lich zu die­nen. Im Herbst 2011 bewerbe ich mich nun genauso fröh­lich um eine neue Stelle, weil ich dem Zir­kus rund ums Geld end­gül­tig absa­gen will. Seit Jah­ren balan­cie­ren wir auf einem Hoch­seil gespannt zwi­schen der Unter­stüt­zung treuer Geschwis­ter und den Ein­nah­men aus unse­rem Gewerbe, das wir ange­fan­gen haben bzw. anfan­gen muss­ten. Es reicht ein­fach nicht, wir fal­len oft vom Seil und es fehlt das solide Fang­netz, das Mis­sio­nare bes­ser haben sollten.

Die Lehre des Menschen – drei kirchliche Hauptströmungen

Dank einem Hinweis bin ich auf eine Seite gestossen, die einen geistesgeschichtlichen Abriss über die drei Hauptströme der theologischen Anthropologie (Lehre des Menschen) wiedergibt. Auch wenn aus meiner Sicht einige Vereinfachungen (zum Beispiel dunkles Mittelalter oder die Bindung von Personen an einzelne Lehren) vorgenommen worden sind, gibt es einen groben Überblick über den Transport von Ideen aus dem 5. Jahrhundert in die Gegenwart. Und wohlgemerkt: Das Bild des Menschen beeinflusst viele Bereiche, gerade auch die Seelsorge und die Pädagogik.

Momente im grünen und im roten Bereich (1): Apfelstunde.

Ich wandere am vergangenen nebligen November-Montagnachmittag mit meinen drei jüngeren Buben in Seelen-Ruhe zum Bauern am Stadtrand. Wir erstehen grosse Boskoop-Äpfel. Ich schwärme von den feinen Grafensteinern. Die Bäuerin schmunzelt und holt aus dem Kühlraum einige köstliche Restexemplare. Mein Vierter zu mir: “Ich freue mich.” Ich antworte: “Ich auch.”

Von vergänglichen Dingen gefesselt

Elend war ich, und elend ist jede Seele, die von der Liebe zu den vergänglichen Dingen gefesselt und dann zerrissen wird, wenn sie sie verliert.

Wohin sich auch wenden mag des Menschen Seele, wendet sie sich nicht zu dir, bleibt sie hängen an Schmerzen, hängte sie sich auch an noch so schöne Dinge, wie sie ausser dir und ihr irgendwo sein mögen. Doch es gäbe gar keine, wären sie nicht von dir. Sie entstehen und vergehen.

Augustinus, Bekenntnisse, dtv: München 2007. (95+99)

Augustinus und der Sex

Als Verächter der Sexualität ist Augustinus in die Geschichte eingegangen. Zu Recht?

Gewiss gibt der Kirchenvater zu, dass in der ehelichen Vereinigung von Mann und Frau zum Zweck der Kindererzeugung die Geschlechtslust in guten Gebrauch genommen wird; aber sie selbst bleibt trotzdem ein Übel (malum), zwar nicht im Sinn einer Sünde, aber doch einer Strafe für die Sünde des ersten Menschen. So ist sie nach Augustinus nicht vom Schöpfer selbst in die menschliche Natur hineingelegt worden, sondern stellt eine Verderbnis an dieser gottgeschaffenen Natur (vitium naturae), eine Krankheit (morbus concupiscentiae) dar, die nach Heilung verlangt. Agustinus scharfe Ablehnung der Geschlechtslust erklärt sich zum Teil aus seinem Kampf gegen den Pelagianismus, der die Erbsünde und damit auch deren verderblichen Einfluss auf den Geschlechtstrieb im Menschen laugnete, zum Teil aber wohl auch aus einer persönlichen Abwehrstellung gegenüber dem Geschlechtstrieb, dessen verheerendes Ungestüm er in seiner Jugend an sich selbst erlebt hatte. (Aurelius Augustinus, Schriften gegen die Pelagianer, Bd. II, Erläuterungen zu „Die Erbsünde“, 536-537)

Seine Vorstellungen sind durch seine Biografie geprägt (bei wem übrigens nicht?). Dazu gehört auch die Vorstellung über die Ehe im Paradies: Seine Vorstellungen über die Paradiesehe haben eine Entwicklung durchgemacht. Zuerst deutete er das Wort „Wachset und mehret euch“ rein geistig. Adam und Eva hätten in einer geistigen Verbindung geistige Früchte, das heisst gute Werke zum Lobe Gottes hervorbringen sollen.  Augustinus hielt auch in der Entwicklung dieser Lehre daran fest, dass es in der Ehe der ersten Menschen vor dem Sündenfall keine Geschlechtslust gegeben habe.

Vielmehr habe der geschlechtliche Verkehr damals voll und ganz dem Willen des Menschen unterstanden und die Genitalien wären nicht vom Ungestüm der Geschlechtslust, sondern vom Befehl ruhiger Liebe regiert worden. (Ebd. 538-539)

Die Ehe ist durch den Sündenfall in Mitleidenschaft gezogen. Trotzdem ist die ein Gut, ja in ihr kann auch das Übel der Lust zu einem guten Gebrauch, zur Erzeugung von Nachkommenschaft gewendet werden. Der eheliche Beischlaf ist insofern durchaus ehrbar und erlaubt.

Fazit: Tatsächlich ist Augustinus’ Vorstellung über die Sexualität m. E. enger gefasst, als Gott es vorsieht. Er hat jedoch durchaus differenziert argumentiert.

Das Leid ist die Lust

Augustinus beschrieb den Theaterbesuch der Menschen so:

Als Zuschauer will er (unter dem Schmerz der anderen) leiden, und eben dies Leid ist seine Lust.

Augustinus, Bekenntnisse, dtv: München 2007. (70)

Ähnlich geht es uns heute, wenn wir fernsehen.