Bonhoeffer schreibt zu Weihnachten 1942, um sich und den Seinen im aufgezwungenen Widerstand gewisser zu machen:
Wir haben in diesen Jahren viel Tapferkeit und Aufopferung, aber fast nirgends Civilcourage gefunden, auch bei uns selbst nicht. Es wäre eine zu naive Psychologie diesen Mangel einfach auf persönliche Feigheit zurückzuführen. Die Hintergründe sind ganz andere. Wir Deutschen haben in einer langen Geschichte die Notwendigkeit und die Kraft des Gehorsams lernen müssen. In der Unterordnung aller persönlichen Wünsche und Gedanken unter den uns gewordenen Auftrag sahen wir Sinn und Grösse unseres Lebens. Unsere Blicke waren nach oben gerichtet … im freien Vertrauen, das im Auftrag einen Beruf und im Beruf eine Berufung sah … Wer wollte dem Deutschen bestreiten, dass er im Gehorsam, im Auftrag, im Beruf immer wieder das Äusserste an Tapferkeit und Lebenseinsatz vollbracht hat? Seine Freiheit aber wahrte der Deutsche darin…, dass er sich vom Eigenwillen zu befreien suchte im Dienst am Ganzen. Beruf und Freiheit galten ihm als zwei Seiten derselben Sache. Aber … er hatte nicht damit gerechnet, dass seine Bereitschaft zum Lebenseinsatz für den Auftrag missbraucht werden könnte zum Bösen … Es musste sich herausstellen, dass eine entscheidende Grunderkenntnis dem Deutschen noch fehlte: die von der Notwendigkeit der freien, verantwortlichen Tat auch gegen Beruf und Auftrag. An ihre Stelle trat einerseits verantwortungslose Skrupellosigkeit, andererseits selbstquälerische Skrupelhaftigkeit, die nie zur Tat führte. Civilcourage aber kann nur aus der freien Verantwortlichkeit des freien Mannes erwachsen. Die Deutschen fangen erst heute an zu entdecken, was freie Verantwortung heisst. Sie beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis verantwortlicher Tat fordert und der dem, der darüber zum Sünder wird, Vergebung und Trost zuspricht.
Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 14-15; zitiert bei Eberhard Bethge (Hg.). Dietrich Bonhoeffer – Widerstand in preussischer Tradition? Kohlhammer: Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1983. 106-107.