Augustinus gewährt uns in seinem Schlüsselwerk „Bekenntnisse“, in seinem 45. Altersjahr geschrieben, einen Rückblick in sein eigenes Leben. Die ersten acht Bücher berichten von seiner intensiven Gottessuche. Besser drücke ich es umgekehrt aus: Von Gottes Suche nach ihm. Augustinus wird mit seiner eigenen Sündhaftigkeit konfrontiert. Es ist kein Wunder, dass Pelagius eben an dieser Schrift Anstoss genommen hatte, insbesondere an seiner oft wiederholten programmatischen Aussage: Gib, was du befiehlst…
Schon im ersten Buch über seine frühe Jugend findet Augustinus starke Worte: Das kleinste Kind ist sündig. Diese für unsere Ohren unerhört klingende Aussage unterstreicht er durch selber Erlebtes:
Erhöre mich, Gott. Wehe über die Sünden der Menschen! So spricht ein Mensch, und du erbarmst dich sein, denn du hast ihn geschaffen, aber seine Sünde schufest du nicht. Wer zeigt sie mir, die Sünde meiner Kindertage? Ist doch niemand vor dir vor Sünde rein, auch kein Kindlein, das nicht älter ist als einen Tag. … Mit eigenen Augen sah und beobachtete ich einmal eines Knäblein Eifersucht. Es konnte noch nicht sprechen und schaute doch blass, mit bitterbösem Ausdruck auf seinen Milchbruder! Wer kennt das nicht?Aurelius Augustinus, Bekenntnisse, dtv: München 2007. (38-39)
Er reflektiert seinen jugendlichen Eifer – für das Unrecht der anderen. Er erlebte sich als Menschen, der gerne auf andere zeigte:
Denn was war mir so zuwider, was schalt ich, wenn ich andere darüber ertappte so heftig wie eben das, was ich ihnen selber tat? Wurde ich aber selbst ertappt und ausgescholten, tobte ich lieber, als dass ich nachgegeben hätte. (54)
Seine Lehrer waren auf äusseres Ebenmass beacht, während seines Inneres ungepflegt blieb:
Nur darauf war er erpicht, dass ich in wohlgepflegter Rede mich ergehen lerne, mochte auch das Ackerfeld meines Herzens verwahrlosen, dessen einzig wahrer und guter Herr du bist, du, mein Gott. (59)
Eine sehr bekannte Szene ist die Schilderung des Birnendiebstahls im Rudel mit anderen Jugendlichen. Was uns als Bagatelle vorkommen mag, ist für ihn Anlass für eine mehrseitige Analyse. Besonders pikant daran ist, dass er nicht aus Not, sondern aus Spass stahl:
Ich aber wollte stehlen, und stahl auch, von keinem Mangel gedrängt, nur dass die Gerechtigkeit mir mangelte und zuwider war und die Sünde mich reizte. Denn ich stahl, was ich selbst im Überfluss und viel besser besass, wollte das gestohlene Gut auch nicht etwa geniessen. Sondern den Diebstahl selbst und die Sünde wollte ich geniessen. (61)
Im Kontrast dazu findet Augustinus immer wieder Worte der Dankbarkeit für seinen Erlöser:
Deiner Gnade allein und Barmherzigkeit verdanke ich’s, dass meine Sünden wie Eis geschmolzen sind. Deiner Gnade danke ich auch das Böse, das ich nicht getan habe. (66)
Als nunmehr erwachsener Mann und aktiver Anhänger der Manichäer glaubte er selbst an seiner Sünde keinen Anteil zu haben:
Noch meinte ich, nicht wir seien es, die sündigen, sondern in uns sündige irgendeine fremde Natur. … meine unheilbare Sünde war, dass ich kein Sünder zu sein glaubte… (127)
Seine Gewohnheiten bezeichnet er als Schlamm, dem er nicht selber zu entfliehen vermochte:
Nun war ich dreissig Jahr alt und sass noch immer fest in demselben Schlamm, voll Gier, die flüchtigen, zerstreuenden Freuden der Gegenwart zu geniessen… (153)
Intensiv dachte er – wie auch in späteren Jahren – über den Ursprung des Bösen nach und darüber, warum er als Gottes Geschöpf Böses wollte:
Schuf mich nicht mein Gott, der nicht nur gut, sondern das Gute selbst ist? Woher kommt es denn, dass ich Böses will und Gutes nicht will? (166)
Seine Bekehrung erlebte er als Gesundungsprozess und als allmählicher Durchbruch des Lichtes:
Mit inneren Stacheln triebst du mich, dass ich keine Ruhe fände, bis du mir durch innere Schau gewiss geworden wärst. Unter der heilenden Kraft deiner geheimnisvoll wirkenden Hand schwand mein Geschwulst dahin, und meines Geistes getrübte und verdüsterte Hellsicht ward durch die scharfe Salb heilsamer Schmerzen allmählich geheilt. (175)
Er erlebte es am eigenen Leib, dass sein Wille, durch Gewohnheiten geformt, eben nicht dem Guten nachstrebte:
Und ich forschte, was Sünde sei, und fand kein Wesen, sondern die Verkehrtheit des vom höchsten Wesen, von dir, o Gott, dem Niedersten sich zuwendenden Willens, der ‚sein Innerstes wegwirft‘ und draussen sich aufbläht. (182)
Denn aus verkehrtem Willen ward Leidenschaft, und da der Leidenschaft ich nachgab, ward Gewohnheit daraus, Gewohnheit aber, der man nicht widersteht, wird zum Zwang. …mit dem Willen war ich dahin gelangt, wohin ich nicht wollte. (199)
In Gottes Licht gestellt, erblickte er seinen eigenen Schmutz. Seine Umkehr ist gefolgt von einer Zeit des Bekenntnisses.
Jetzt stelltest du mich Auge in Auge mir selbst gegenüber, dass ich schaute, wie hässlich ich sei, wie entstellt und schmutzig, voller Flecken und Schwären. Ich sah’s und schauerte und wusste nicht, wohin ich vor mir selbst hätte fliehen sollen. (204)
Ich erröte über mich selbst, verschmähe mich und erwähle dich und kann dir und mir nur in dir gefallen. (246)
Er will nun als erlöster Mensch ein Leben aus der Kraft des Erlösers leben. Dabei ist er sich bewusst, dass dies auf der Erde ein „Leben in Vorläufigkeit“ bleibt.
Ich will nicht mein eigenes Leben führen. Übel hab‘ ich gelebt, als ich aus mir lebte, und war mir selbst zum Tode. In dir lebe ich auf. (338)
Meine Gedanken, das innerste Leben meiner Seele, werden vom wirren Wechsel zerrissen, bis ich dereinst, gereinigt und geläutert durch das Feuer deiner Liebe, einmünde in dir. (330)
Diese biografische Optik hilft uns zu verstehen, warum Augustinus mit solcher Heftigkeit dem Pelagianismus gegenübertrat – einer Bewegung, die der Natur des Menschen und der Leistungsfähigkeit des menschlichen Willens einen überhöhten Stellenwert einräumte.