“Denn das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn.” So argumentiert Paulus in Philipper 1,21, im Brief der Freude. Dieser Brief ist vom Gefängnis aus geschrieben. Hätte Paulus nicht produktiver (transformatorischer) wirken können, wenn weiterhin Gemeinden hätte gründen können? Oder wäre es besser bestellt gewesen, wenn er zum Präsidenten der Universität von Jerusalem oder zum römischen Gouverneur ernannt worden wäre? Nein. Durch seinen Standort im Gefängnis bekam er Zugang zu ganz neuen Menschen, u. a. zu Angehörigen der kaiserlichen Familie!
Von welchem Sterben spricht Paulus? Er redet von seinem körperlichen Tod. Er definiert sich durch Christus. Dieser Christus ist durch Leiden in die Herrlichkeit eingegangen. Die zukünftige Herrlichkeit ist nicht wert verglichen zu werden mit dem gegenwärtigen Leid. Trotz körperlichem Zerfall wurde sein Geist täglich erneuert und erfrischt. Aus dieser Gemeinschaft mit Christus bezog er die Kraft für die täglichen Strapazen. Ein Gefängnis war damals kein Hotel.
War Paulus weltflüchtig, weil er im Sterben Gewinn sah? Eben nicht. Im nächsten Satz spricht er davon, dass das Bleiben auf dieser Erde nötiger wäre – aber nicht darum, um sich selbst zu verwirklichen, sondern um seines Auftrages willen. Es war den Philippern nützlich, wenn er ihnen den Brief noch schreiben konnte. Diese Haltung tut uns Christen in der westlichen Welt Not: Wenn wir wissen, was unsere Identität ist, wenn wir gewiss sind, dass diese Erde Durchgangsstation ist, dann kann Gott in uns erst recht Wirkung entfalten. Es erscheint mir sogar, dass erst die Klarheit, dass wir mit Christus gestorben und wieder auferstanden sind, uns die rechte Perspektive auf die Jetztzeit geben kann.
Unsere Gesellschaft ist hoffnungslos diesseitsorientiert. Sie muss das Glück um jeden Preis vor den Tod verschieben. Nur befürchte ich, dass die westliche Theologie zu stark von der Gegenwartshypnose der Glückspsychologie benommen ist. Woher sollten die über 100 Millionen verfolgten Christen Kraft beziehen für ihren Auftrag im Jetzt, wenn sie nicht um ihre Identität in Christus und um die geistlichen Segnungen und Verheissungen wüssten? Heute Nachmittag habe ich einen Ägypter kennengelernt, der als Missionar unter Ausländern in der Schweiz arbeitet. Ich durfte auch seine betagten Eltern begrüssen und mit ihnen eine Weile das Leid ihres Volkes teilen und beten. Diese Begegnung hat mich tief bewegt. In solchen Augenblicken sortieren sich die Prioritäten neu. Weil ich um das Morgen gewiss bin, kann ich im Jetzt fokussieren.