Aus Paris: Von den Alltagssorgen einer vierköpfigen Familie

Zwei Wochen nach den schrecklichen Anschlägen in Paris waren meine Frau und ich für einen kurzen Abstecher in der Hauptstadt Frankreichs. Uns interessierten nicht die touristischen Attraktionen; wir fragten uns vielmehr, wie Menschen in Paris leben und was ihre täglichen Sorgen sind. Wir kamen mit unseren Gasteltern ins Gespräch, die uns einen Einblick in die täglichen Freuden und Sorgen des Lebens in Paris gewährten. Der Mann ist an der Produktion von Dokumentarfilmen beteiligt, weshalb Wohn- und Arbeitsplatz Paris ein Muss sind. Die Frau arbeitet als Psychologin in der Stadtverwaltung und begleitet Kinder in schwierigen Lern- und Lebenssituationen. Ich schreibe hier keine Gesprächszusammenfassung, sondern fokussiere auf fünf Aspekte, die mir als Beobachter aufgefallen sind.

1. Überrissene Mietpreise

Anscheinend sind die Mietpreise in der Stadt Paris sehr hoch. Es kann gut sein, dass die Wohnungsmiete das Doppelte oder Dreifache des Nettolohns eines Angestellten beträgt. Als Eigentümer treten reiche Private, aber auch der Staat auf. Das bedingt nicht nur, dass beide Partner einer bezahlten Erwerbsarbeit nachgehen müssen, sondern zudem noch ein Nebenerwerb erschlossen werden muss. Das bedeutet nicht nur einen gewaltigen Erwerbsdruck, sondern hat auch zur Folge, dass zahlungsunfähige Familien von der staatlichen Unterstützung abhängig werden.

Frage: Wo sind die christlichen Vordenker, welche sich neue Formen des Wohnens überlegen? Wo sind die Menschen, die aufstehen, um das Unrecht zu hoher Mietpreise anzuprangern?

2. Beanspruchung der Kinder durch die Schule

Die beiden Kinder unserer Gesprächspartner besuchen eine konfessionell geführte Privatschule. Die Mutter seufzte über den sehr straffen Stundenplan. Von Montag bis Freitag sind die Kinder von morgens 0800 Uhr bis abends 2100 Uhr (Musikunterricht eingeschlossen) beschäftigt. Das heisst, sie sind lange ausser Haus. Abends haben sie kaum mehr die Energie ihre Hausaufgaben zu erledigen. Die Mutter hat sich überlegt, zusammen mit anderen Familien eine Privatschule zu gründen. Das Vorhaben scheiterte jedoch an den hohen Mietpreisen und den Auflagen des Staates (u. a. Lizenzen für jedes Lehrmittel).

Frage: Wo sind die christlichen Vordenker, welche in der Stadt Paris private Schulen gründen? Wer weiss, vielleicht könnte das Modell von christlichen Gemeinden, die auch Schulen betreiben, eine Alternative sein.

3. Vom Schaden gelebter Promiskuität

Ähnlich wie in anderen Grossstädten machen sich bei einem Teil der Bevölkerung die Folgen gelebter Promiskuität bemerkbar. Familien ohne Vater, Aufwachsen mit vielen (Stief-)Geschwistern in prekären Wohnsituationen (ein Raum, Dreck, kaum Material ausser Matratzen und dem Fernseher), überforderte Mütter, Armut. Welche Perspektiven kann ein Bube in einer solchen Umgebung entwickeln? Welche übergeordneten Botschaften vermitteln die Programme, die im Fernsehen ausgestrahlt werden? Konzentrationsschwierigkeiten und Aggression in der Schule sind die logische Folge.

Frage: Wo sind die christlichen Vordenker, die sich Möglichkeiten überlegen, solchen Kindern und Müttern zu helfen? Was sind Ideen, insbesondere vaterlosen Buben eine Perspektive zu vermitteln?

4. Suchtpotenzial von sozialen Medien

Wie gehen insbesondere Jungen mit sozialen Medien um? Die Furcht der Eltern besteht darin, dass er ausgeschlossen wird, wenn er nicht an den Online-Spielen teilnimmt. Die gemeinsamen Spiele schaffen einen (virtuellen) Gestaltungsspielraum. Es scheint mir fast, als habe dieser Raum sich als Ersatz für den realen angeboten. Diese Parallelwelt zieht Jungs magisch an und wirkt wie eine Droge.

Frage: Wo sind die christlichen Vordenker, die sich Alternativen zur Online-Welt für Jungs überlegen? Wo eröffnen sich Gestaltungsräume in der realen Welt (einmal abgesehen von Sport)? Wie können Jungs lernen etwas zu erobern, zu pflegen, zu unterhalten?

5. Minimal Lifestyle

Es scheint uns, dass bei manchen Familien Optimierungspotenzial beim materiellen Ressourcenverbrauch besteht. Wie kann man teure Ausgaben verhindern? Welche Dinge werden nur wegen sozialem Prestige gekauft oder um Schmerz zu betäuben? Diesbezüglich haben sich unsere Gasteltern hervorragend organisiert. Nicht nur achten sie auf die Ernährung, sondern auch darauf, gemeinsam als Familie hinzusitzen und zu essen. Die Mutter: „Übergewicht und unregelmässige Essenszeiten hängen eng zusammen.“

Frage: Wo sind die christlichen Vordenker, die sich überlegen, wie man als Familie in der Konsumgesellschaft überleben kann?

Das Evangelium für das ganze Leben

Diese Fragen sind nicht rhetorischer Natur, sie beschäftigen mich nachhaltig. Ich habe den Eindruck, dass Menschen für das Evangelium offen werden könnten, wenn sie die Veränderungen im Alltag bemerken. Damit meine ich nicht, dass wir aus eigener Kraft und mit Hilfe eines vorbildlichen Lebens Menschen für Christus gewinnen können. Es läuft umgekehrt: Ein durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes veränderter Lebensstil bewirkt Änderungen im gesamten Denken und Leben. Dies bleibt nicht nur auf das Innere beschränkt.