Kinder in die Selbständigkeit begleiten (19): Drei Arten unfruchtbarer Strafe

Das Wort "Strafe" enhält eine bedrohliche Note. Kein Wunder will der Mensch von Strafe nichts wissen. Strafe ist jedoch die Kehrseite von Verantwortung: Er wird an den Konsequenzen seines Handelns beteiligt. Aus biblischer Weltsicht hat "Strafe" mit "Sünde" zu tun. Gott straft, jedoch nicht so linear, wie wir Menschen es uns vorstellen. Das führt manche Menschen zu falschen Schlüssen. "Weil das Urteil über böses Tun nicht sogleich ergeht, wird das Herz der Menschen voll Begier, Böses zu tun." (Prediger 8,11)  Der vermeintliche Spielraum reizt zu neuen Taten. Der Gottlose spricht "in seinem Herzen: »Gott hat's vergessen, er hat sein Antlitz verborgen, er wird's nimmermehr sehen.«" (Psalm 10,13) Der Mensch meint, Gott registriere sein Tun nicht.

"Strafe" ist seit langem ein Reizwort in der Erziehung. Die humanistischen Psychologen verteufelten es. Andere reden von "natürlichen Konsequenzen". Sie betonen also eher die Ereignisse, die sich von der Natur her für das Kind ergeben und nicht auf primär angeordnete Sanktionen der Eltern zurückzuführen sind. Im Laufe meiner Vaterschaft habe ich mir oft Gedanken über beide Arten gemacht. In diesen Zeilen beschäftige ich mich drei irreführenden Wegen zu strafen.

  1. Sanktionen beim Nichterreichen aufgesteller (zu hoher) Ziele
    In gewissen Teilbereichen der Erziehung – z. B. kognitiver oder sportlicher Natur – geben wir unseren Kindern ausgesprochene und (noch häufiger) nicht ausgesprochene Zielsetzungen vor. Wenn diese über der von Gott geschenkten Entwicklung des Kindes liegt, also nicht durch zumutbare Anstrengung erreicht werden kann, bestrafen wir das Kind. Auf welche Weise? Da ist unser elterliches Herz sehr erfinderisch. Eine kurze zynische Bemerkung kann genügen; ein strafender Blick kann demütigen; das eisige Schweigen kann niederdrücken; das körperliche Abwenden kann die Distanz überdeutlich zum Ausdruck bringen. Was liegt hinter dem Anspruch der Eltern? Es sind selbst aufgestellte Erwartungen. Und was liegt hinter diesen Erwartungen? Es ist der eigene Stolz. Wer die Bibel aufschlägt, wird darin lesen, dass der Stolz des Menschen Gott aufs Äusserste widerstrebt. In Bezug auf die Kinder unterscheide ich zwischen zwei Reaktionen. Beim Bestraften entsteht das Gefühl nicht zu genügen. Dadurch kann sich Verzweiflung entwickeln. Noch viel häufiger ist jedoch eine Haltung der Resignation und der Faulheit. Wieder andere reagieren in die andere Richtung und entwickeln Ehrgeiz. Bis ins hohe Alter suchen Menschen ihren Eltern zu beweisen, dass sie die Ziele trotzdem erreichen können. Sehr vielschichtig – und nicht zu unterschätzen – ist zudem die Wirkung auf die Geschwister. Die einen nehmen die Botschaft gleich auch für sich auf und rechtfertigen resignierendes Verhalten. Andere werden stolz und überheblich, weil sie die elterlichen Vorgaben ja mit Leichtigkeit erreichen. Diese Gedanken verdeutlichen, dass die Auswirkungen dieser Strafe sehr komplex sind. Es macht aber auch deutlich, dass Eltern, das betroffene Kind und (wichtig!) auch die Geschwister in eine Auflösung der fehl geleiteten Bestrafung miteingeschlossen werden müssen.
     
  2. Bestrafung durch Ausschluss aus der Gemeinschaft
    Kann sündiges Verhalten dazu führen, dass ein Kind temporär aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden muss? Wer die Geschichte von Gottes Volk im Alten Testament nachverfolgt, wird mit einem entschiedenen "Ja" antworten. Hier geht es mir jedoch um einen fehl geleiteten Ausschluss. Es geht um eine Art Mechanismus. Das Kind sündigt, indem es sich zum Beispiel wiederholt den elterlichen Anordnungen widersetzt. Es hat also das fünfte Gebot gebrochen. (Wie vielen Kindern ist dieser Zusammenhang nicht bewusst, weil er auch den Eltern nicht bewusst ist! Noch viel weniger begreift es die Langzeitfolgen, die Gott damit verbindet: Die mutwillige Verkürzung des eigenen Lebens.) Die Eltern wissen sich nicht besser zu helfen, als sich das widerstrebende Kind vom Leib zu halten. Ich wage noch weiter zu gehen: Die Strafe erfolgt deshalb, weil die Eltern in ihrer Ruhe gestört worden sind. Es geht gar nicht um die Sünde. Sie wird darin abgeändert, dass Sünde nicht gegen Gott und sein Gesetz, sondern ein Verstoss gegen das Ersatzgesetz der Eltern, sie in Ruhe zu lassen, erfolgt. Diese Art von Bestrafung treffe ich sehr häufig an. Sie hat fatale Folgen. Das Kind lernt so z. B., dass die Sünde nicht angesprochen wird. Dafür lernt es eine andere Notwendigkeit: Die Eltern müssen in ihrer Komfortzone gehalten werden. Kommunikation wird dann erstickt, wenn sie am nötigsten wäre. Daraus kann sich menschengefälliges Verhalten entwickeln, noch mehr ein Doppelleben. Unglücklicherweise überträgt sich dieser Eindruck von Nähe und Distanz auch auf die Vorstellung des Glaubens!
     
  3. Bestrafung durch Entzug von Material
    Die dritte sehr häufige Form des Strafens besteht darin, dass gewisse Privilegien vor allem in materieller Form angekündigt (und nach sehr vielem Hinauszögern) dann entzogen werden. Besonders beliebt ist der Entzug von elektronischen Geräten. Favorit Nummer 2 ist der Verzicht auf Süssigkeiten. Dämmert es Ihnen schon? Auf diese Weise können sich wunderbar Kompensationshandlungen entwickeln. Man belohnt sich wie? Eben über diese elektronischen Geräte oder durch den Konsum von Süssigkeiten. Es entsteht durch den Entzug der vertiefte Eindruck, dass solche Dinge zu einem glücklichen Leben gehören. Die Eltern machen es vor. Ohne ihre Gadgets sind sie ja auch unglücklich!

Entschiedene Gegner von Strafen würden hier applaudieren. Also nicht mehr strafen? Nein! Aber Strafen müssen immer auf ein anderes Ziel gerichtet sein. Das Ziel, dass die Eltern ihre Ruhe wieder bekommen, ist ein Ersatzgebot. Die indirekte Demonstration, dass elektronische Güter und Zucker zu den Belohnungen des Lebens gehören, sind eine Trauerbotschaft! Eltern und Kinder sollen durch den Heiligen Geist zur Erkenntnis gebracht werden, dass sie gegen Den rebellieren, der sie gemacht hat und dem sie Rechenschaft schulden. Sie sollen die Unmöglichkeit erkennen, aus der eigenen Kraft aus diesem Mechanismus herauszukommen. Dies schlägt sie im Bild gesprochen zu Boden. Wir können Gott NICHTS bringen. Wir haben beide das Gericht verdient! Wir benötigen einen Retter von aussen. Es ist Zeit, dass wir als Familien wieder das Evangelium aufleuchten lassen.