Kolumne: Die verlorenen Jahre unserer Generation

Bei einem Besuch sprach ich mit einem vorzüglich gebildeten, weit gereisten Ehepaar. Sie bekommen in nächster Zeit ihr drittes Kind. Sie drückten ihr Bedauern darüber aus, dass manche Erwachsenen (zunehmend später) ein, zwei Kinder bekommen. "Kaum sind sie auf der Welt, werden sie an die Krippe abgegeben." Abgesehen vom finanziellen Entgelt, das sie zu entrichten haben, verzichten sie durch die Fremdbetreuung freiwillig auf entscheidenden, bildenden, Weg weisenden Einfluss. Sie überlassen die Betreuung und damit einen wichtigen Teil der Charakterbildung einer anscheinend "neutralen", "professionellen" Institution. Diese kann zwar dafür sorgen, dass das Kind ernährt und die Grundsätze der Hygiene eingehalten werden. Doch was viel zu wenig in Betracht gezogen wird: Das Kind lernt am Modell. Wer nimmt sich die Zeit, das Kind nach Begabung zu fördern? Wer korrigiert seine Sprache? Mindestens ebenso wichtig: Wer bespricht Verletzungen und Enttäuschungen, die im Austausch mit anderen Kindern entstehen? Wer korrigiert fehl geleitete Motivationen? Wer spricht das Kind auf Überforderungen an und nimmt es charakterlich "an der Hand"?

Zurück zu unserem Paar. Die Mutter meinte: "Viele Frauen, die mich ansprechen, empfinden die Wochen und Monate zu Hause als verlorene Zeit." Sie sind froh, wenn sie nach kurzer Zeit wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren können. Um was geht es dann? "Die Tätigkeiten sind oftmals nicht sehr herausfordernd. Etwas Excel, telefonieren, Formulare ausfüllen." Geht es nicht um etwas anderes als um die Routinetätigkeiten? Zu Hause fehlt die Wertschätzung und die (monetäre) Anerkennung. Letztlich geht es doch um die beiden Leitwerte des Westens: Ruhe und Wohlstand. Mann und Frau wollen nicht zu arg in ihren Plänen und Projekten gestört werden und ihren Wohlstand halten und wenn möglich steigern. Die obersten Ziele scheinen berufliche Bestätigung, Luxusobjekte und die Ermöglichung von teurem Urlaub zu sein.

Ich weiss, dass dies unangenehme Gedanken sind. Doch unsere Gastgeber spannten den Bogen noch weiter. "Gott hat unser Leben in Phasen eingeteilt. In der ersten Lebenszeit eignen wir uns Fähigkeiten an. Wir bilden uns." In dieser Etappe sind wir Empfangende. Dann kommt die nächste Phase, in der wir vordergründig zurückstecken, um einer nächsten Generation unsere Fähigkeiten weiterzugeben und sie für ihre Aufgabe für und vor Gott zuzurüsten. In der dritten Phase bekommen sie mit der übernächsten Generation nochmals die Gelegenheit, den Glauben und die reiche Erfahrung Heranwachsenden weiterzugeben, bis sie in den letzten Jahren selbst wieder Empfangende werden.

"Das wichtigste ist jedoch zu sehen, dass unser Leben auf der Erde erst der Anfang ist." Diese Perspektive ist die entscheidende. Sie fehlt auch uns Christen oft. Wir werden auf der neuen Erde in Ewigkeit weiter lernen. Doch die Weitergabe unserer Welt- und Lebenssicht an die nächste Generation, die eigene Charakterbildung, die Heiligung – all dies ist unserem Leben auf der Erde vorbehalten. Ich bin davon überzeugt, dass wir in vielen Bereichen gedanklich die Dogmen der uns umgebenden Religion, des Säkularismus, übernommen haben. Es ist noch übler: Wir echoen mit Verspätung die Maximen unserer Gott-losen Umgebung. Dadurch geht uns ein bedeutender Teil des Generations-übergreifenden Segens abhanden. Wie können wir Charakterführerschaft übernehmen, wenn wir gedankenlos unsere Umgebung kopieren? Wie kann der Glaube sämtliche Lebensbereiche durchdringen, wenn wir strategische Teile säkular "besetzt" halten? Wie wollen wir zum fordernden Gesprächspartner für suchende Menschen werden, wenn wir ihnen nichts Besseres zu bieten haben als eine verdünnte Version ihrer eigenen Ideale?