Wir werden darauf getrimmt, den aussergewöhnlichen Anlässen entgegenzufiebern und sie aus der grauen Masse des Alltags herauszuheben: Festtage, Geburtstage, vielmehr noch Wochenenden, Urlaube, Sabbaticals und end-gültig die dritte Lebensphase. Wir denken dabei: "Wenn ich endlich…, dann…" Das bedeutet: Wir führen ein paralleles Leben in unseren Vorstellungen. Gott hat uns die Fähigkeit geschenkt, uns Zustände zu auszudenken, die jetzt (noch) nicht sind. Zum Glück gibt es Fantasien, Ideen, Spekulationen. Das weitet Horizont und Handlungsspielraum. Ich spreche jedoch etwas anderes an: Wie lebe ich meinen stinknormalen Alltag? Eigentlich ist schon das Wort "stink-normal" nicht angebracht. Es enthält nämlich die Behauptung, dass das Normale stinkt und das Aussergewöhnliche Glückseligkeit mit sich bringe.
Wie aber sieht dieser mein All-Tag aus? Mit was kämpfe ich? Ich kämpfe zum Beispiel manchmal mit dem Schlaf. Die Söhne werden grösser und haben abends zunehmend Gesprächsbedarf. Das geht mir ganz schön in die Komfortzone, weil ich abends oft sehr müde bin. Morgens geht es früh weiter. Meine Frau ist Frühaufsteherin, mein Ältester verlässt das Haus um sieben Uhr. Also beginnt es in der Frühe. Finde ich Zeit, meine Frau liebevoll zu begrüssen und mit ihr zu beten? Reicht es zum Frühstück mit meinem Sohn? Eigentlich beginnt es schon vorher: Morgens holen mich gleich meine Gedanken ein. Es geht weiter im Bus. Kann ich mich auf den Bibeltext konzentrieren? Oftmals lese ich die Abschnitte mehrmals, bete darüber, kämpfe um Konzentration und Verständnis. Dann führe ich morgens Gespräche mit Führungskräften. Ich tauche Mitte des Morgens arg beschäftigt wieder auf. Erst jetzt beginnt die Projektarbeit. Dazwischen kommen mir Ideen für Aufsätze und Artikel. Ich denke an kommende Predigten und Vorträge. Auf Wegstrecken lese ich gerne, doch auch das kostet Überwindung. Mich bewegen – muss das noch sein? Spazieren, turnen, einige hundert Höhenmeter absolvieren. Abends die Rückfahrt, wieder ein Kampf um Konzentration und aufkommende Müdigkeit. Das Bemühen auf dem Rückweg eine Gebetszeit zu halten, oft einen Teil zu Fuss zu gehen. Am Abendbrottisch gibt es muntere Gespräche, es muss noch geordnet und aufgeräumt werden. Der Kampf um eine kurze Andacht, nochmals einige Aufgaben wie Reflexion des Lerntages, einen Impuls für ein Fach oder das Üben des Instrumentes zu setzen.
Meine Vorstellung geht nicht dahin, dass dies alles anders werden muss. Ich bete viel mehr darum, dass Gott mich an diesen Tagen verändert. "Herr, stärke mein Verlangen nach dir. Gib mir die innere Ruhe. Hilf, dass ich gelassen bleiben kann." Das beinhaltet, Dinge auszuhalten oder eben beim anderen zu lassen. Unser Leben ist ein Ringen, jedoch ein freudiges Ringen. Die göttliche Freude bricht wie Sonnenstrahlen in den Nebel oder das Dickicht des Alltags durch. Ich kämpfe einen guten Kampf, denke über dieses Leben hinaus. Ich lebe bewusst – egal ob ich eine Toilette reinige, den Staubsauger in die Hand nehme, lese, schreibe, gehe, frage oder schriftlich zu einer Frage Stellung nehme. Das ist Leben, mein Leben, gutes Leben, Leben, das ich leben will.