Ich stecke mitten in Recherchen zu Alexander Solschenizyn. Hier ein Auszug aus dem Anfang seines doppelbändien Romans Krebsstation (Buch I, Luchterhand 1975, S. 21-25). Der Autor selbst lag eine Zeit wegen Krebs auf einer solchen Station in der fernen Provinz Russlands.
Die Betten standen mit dem Kopfende zur Wand, in schmalen, der Breite der Nachttischchen entsprechenden Abständen, der mittlere Gang, der quer durch das Zimmer lief, war ebenfalls von zwei Nachttischchen verstellt. In diesem Mittelgang stand ein untersetzter breitschultriger Kranker in weiss-rosa gestreiftem Pijama. Sein Hals war dick und dicht mit Binden umwickelt, die fast bis an seine Ohrläppchen reichten. Der weisse enge Ring dieser Binden liess ihm nicht die Freiheit, seinen schweren, stumpfsinnigen, mit braunem Haar bewachsenen Kopf zu bewegen. Dieser Kranke sprach gerade mit heiserer Stimme zu den anderen, die ihm von ihren Betten aus zuhörten. Als Rusanow eintrat, wandte er sich ihm mit seinem ganzen Körper, auf dem der Kopf so unbeweglich sass, zu, sah ihn teilnahmslos an und sagte: ‘Sieh da – noch ein Krebs.’
… Der harte Klumpen der Geschwulst – dieser unerwarteten, sinnlosen, niemandem und nichts dienlichen Geschwulst – hatte ihn hierhergeschleift, wie der Angelhaken einen Fisch ins Schlepp nimmt, und ihn auf dieses Eisenbett geworfen – ein enges, erbärmliches, ächzendes Gestell mit kümmerlicher Matratze. Er hatte sich nur unter der Treppe umzuziehen, von den Angehörigen zu verabschieden und die Treppe zum Krankenzimmer hinaufzusteigen brauchen, und schon war sein ganzes früheres, sinnnvoll geordnetes Leben abgeschnitten und er hier in ein grässliches neues hineingestossen worden, das ihm noch mehr Grauen einjagte als die Geschwulst selbst. Er konnte nicht mehr aussuchen, was er betrachten wollte, sondern musste acht niedergedrückte Wesen ansehen, mit denen er jetzt so gut wie gleichgestellt war, acht Kranke in weiss-rosa gestreiften, stark verschossenen und abgetragen Pyjamas, die, teils geflickt, teils verschlissen, kaum einem von ihnen passten. Auch konnte er sich nicht mehr aussuchen, was er hören wollte, sondern war gewzungen, die unerträglichen Unterhaltungen dieser ungebildeten Leute über sich ergehen zu lassen, die (ihn) nicht im geringsten interessierten und noch weniger berührten. …
In wenigen Stunden hatter er seine Position, seine Verdienste, seine Zukunftspläne verloren – und wurde zu einem siebzig Kilgroamm schweren warmen weissen Körper, der nichts über sein Morgen mehr wusste. … ‘Selbst wenn du nach Hause kommst – dann nicht für lange. Bist bald wieder hier. Der Krebs liebt die Menschen. Wenn er einmal mit seinen Scheren zupackt – hält er dich fest, bis du tot bist.’