In einem intensiven Tischgespräch haben wir als Familie die Teilnahme an einem katholischen Gottesdienst analysiert. Wie in jedem anderen Gottesdienst stellten wir uns die Frage: War die Botschaft der Predigt die Botschaft des Bibeltextes? Die Antwort: Die Predigt drehte sich um eine Heilige. Die Buben konnten mir keinen Bibeltext nennen. (Leider ist das auch in der protestantischen Kirche und in vielen Freikirchen nicht viel anders.)
Mit unseren säkularen Grundüberzeugungen sind wir geneigt die äussere Form nach unserem ästhetischen und emotionalen Eindruck zu bewerten. Zudem klingt mir ein Podiumsgespräch in einer Kirche nach, in dem die konfessionellen Vertreter zu Protokoll gaben, dass es früher zwar Streit gab, man heute jedoch zur Einsicht gekommen sei, dass alle am Kern dasselbe lehrten.
Ein näherer Blick auf den Katholischen Katechismus zeigt jedoch wichtige Unterschiede auf. Ich behaupte, dass wir erst dann die Grundlehren richtig verstehen können, wenn wir die Beziehung zwischen Natur und Gnade nachvollziehen können. In einer ausführlichen Buchbesprechung (GuDh 2/2015, S. 44f) bin ich darauf eingegangen:
Das zentralste Stück ist die Verbindung zwischen Natur und Gnade. Beide Elemente stehen in einem Kontinuum. Die Natur stellt einen Kanal der Gnade dar. Die Gnade hebt die Natur empor und vervollkommnet sie … Obwohl die Natur von der Sünde zwar betroffen ist, verfügt sie immer noch über die Kapazität Gnade zu empfangen, weiterzugeben und mit ihr zu kooperieren.
Dadurch wird der Einfluss der Sünde reduziert. Sünde ist ernsthaftes, aber nicht gänzlich zerstörendes Sekundärelement (engl. „serious yet not devastating secondary element“). Die thomistische Theologie stützt sich deshalb auf die innere Fähigkeit der Natur für Gott ab (capacitas dei).