Zitat der Woche: Zwei Verdrehungen in der Lehre über Gott

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Eduard Böhl formuliert in seiner Lehre über Gott (S. 57 der Online-Version) scharf die doppelte philosophische Verirrung:

Es schwankt hier die Philosophie zwischen Determinismus (Pantheismus) einerseits und einem atomistischen Freiheitsbegriff (Deismus) andererseits.

Betrachten wir das erstere System: Das Vorauswissen Gottes soll alles determinieren, d. h. im voraus festsetzen, so dass an Freiheit irgendwelcher Art nicht gedacht werden kann. Es geht im Weltall her, wie bei dem Raderwerk einer Uhr oder einer Maschine. Gott habe die Welt geschaffen; dabei habe nun die Allwissenheit die Stifte in das Raderwerk der Welt eingelassen; die Allmacht setze das Werk in Bewegung, und die Allgegenwart durchdringe und trage das Werk. So denkt die pantheistische Philosophie, sie kann nicht anders, und auch Schleiermacher (Der christliche Glaube § 55,1) denkt also, da mit dem Wissen das Wollen sich stets decken musse. Aber die Philosophie hebt damit alle Religion und den so tief empfundenen Begriff der Schuld, ja die Moglichkeit, dass Gott die Welt richte, auf.

Wo nun die Philosophie vor solchem Determinismus zuruckschreckt, da wirft sie sich auf das andere Extrem und huldigt einem atomistischen Freiheitsbegriff. Aus der Scylla der Notwendigkeit entronnen, sturzt man in die Charybdis der Freiheit oder besser Willkur. Hier soll nun Gott nichts zu tun haben mit den freien Entschliesungen der vernunftigen Wesen; diese gehen auf der Insel des menschlichen Selbstbewusstseins vor sich, und Gott entdeckt dasjenige, was auf dieser Insel vorgeht, erst nachdem es wirklich geworden. Dass dies nun Gottes ganzlich unwurdig sei, erhellt sogleich; ein Ratschluss ist bei solcher Verhaltungsweise Gottes nicht denkbar. Andere helfen sich damit, dass sie sagen: Gott schaue auf die freien Entschliesungen der Menschen als auf blos Mogliches. Es bleibe alles auf Erden so lange nur moglich, gleichsam eine unreife Wirklichkeit, bis der Mensch das Mogliche zur Wirklichkeit durch seine freie Tat erhoben.

Die zweite Verirrung betrifft die Liebe und Gerechtigkeit Gottes (S. 60f).

Die Liebe hindert nicht das Walten der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes; die Liebe sinkt den Sündern gegenüber nicht herab zur Parteilichkeit und menschlichen Schwäche. Die Liebe ist selber eine heilige und gerechte. Sie will, dass die Kreaturen rein und durchsichtig seien, um die Herrlichkeit und den Glanz ihres Urhebers zu reflektieren. Somit ist sie eine heilige Liebe. Die Liebe Gottes ist ferner darauf bedacht: dass alles nach Recht und Billigkeit zugehe, dass keiner Ordnung Gottes zu nahe getreten werde. Sie weiß, dass nur auf den geraden Wegen der Gerechtigkeit der Mensch dauerhaft mit seinem Gott vereinigt wird. Insofern hat die Liebe auch das Moment der Gerechtigkeit an sich. Die Liebe übereilt also nichts – sie liebt nicht, um zu lieben, sondern erst muss der Gerechtigkeit Gottes Genüge geschehen, bevor Gott in Christo uns als Kinder liebt. Man darf also bezüglich des gefallenen Menschen nicht von einer Spannung zwischen den Eigenschaften Gottes reden, aus welcher Spannung dieselben erst durch die Genugtuung Christi befreit worden wären; man darf insbesondere nicht von einem Streit zwischen Liebe und Gerechtigkeit reden. Dabei herrscht das Missverständnis vor, als ob Gott zufolge seiner Liebe wohl mit dem Sünder Frieden schließen möchte; jedoch es nicht vermag, indem die Gerechtigkeit hindernd dazwischen tritt und Gott nötigt, dass er zuvor auf Genugtuung bestehe. Man muss sich also frei machen von der Anschauung, als ob die Liebe Gottes die nachgiebige, schwächliche Art der menschlichen Liebe, die nur zu leicht in Parteilichkeit ausartet, an sich trüge.

… eine Liebe, welche die Erhaltung der Kreaturen um jeden Preis – selbst auf Kosten der Gerechtigkeit und Heiligkeit durchsetzen wollte, wäre eine unordentliche Liebe. Auch die Heiligkeit also ist eine Eigenschaft Gottes, der die Liebe ist. Er vergisst seiner Liebe nicht, wo er sich als den Heiligen erweist. Die Liebe Gottes ist ja – wie gesagt – keine menschenförmige und krankhafte, sondern dieselbe hat die Heiligkeit und Gerechtigkeit zu ihren Exponenten oder zu Hütern und stetigen Begleitern; sie ist selber eine heilige und gerechte Liebe ohne Gerechtigkeit und Heiligkeit würde die allseitigste Verkennung Gottes und seines Tuns mit den Menschenkindern zur Folge haben. Übersähe Gott die Sünde ohne Genugtuung, so würde dies den Allerheiligsten zum Mitschuldigen an der Sünde machen; der liebende Gott wäre nicht länger der Heilige. Die Liebe, welche nicht zu strafen versteht, wo die Menschen Gottes heiliges Gesetz übertreten haben, ist die größte Lieblosigkeit – man flucht zuletzt solcher schwachen Liebe. Denn das Gesetz wird herabgewürdigt und Gottes Wille zu etwas, womit der Mensch sein Spiel treiben kann. Mithin stehen die höchste Interessen auf dem Spiele, wenn die Liebe nicht im Einklang mit der Gerechtigkeit und Heiligkeit vorgehen würde.