Kolumne: Abtreibung – wenn die Hühner könnten, würden sie weinen

Vorschriften für die Schlachtung von Hühnern

Unsere «drei Tanten» (wunderschöne Barnefelder Hühner) litten an einer Krankheit. Wohl oder übel mussten wir uns von ihnen trennen. Wir suchten nach einem Ort, an dem wir sie schlachten konnten und stellten fest, dass es keine solchen in unserer Umgebung gibt. Die tiergesetzlichen Bestimmungen sehen die Möglichkeit der privaten Schlachtung vor, jedoch nur wenn entsprechende Fachkenntnisse vorhanden sind. Schlussendlich wurden unsere Tanten auf den Futterplan des nahen Wildparks gebracht.

Neue Vorschriften zur Abtreibung im Bundesstaat New York

Szenenwechsel: Der US-Bundesstaat genehmigte ein Gesetz, das die Abtreibung bis zur Geburt erlaubt. Im Gesetzestext dazu heisst es:

Every individual who becomes pregnant has the fundamental right to  choose to carry the pregnancy to term, to give birth to a child, or  to  have an abortion, pursuant to this article.

Beachten wir drei Begriffe: Es geht um ein fundamentales Recht. Der Magistrat bestimmt über grundsätzliche Rechte eines Menschen. Zweitens geht es um das Wahlrecht: Geburt oder Abtreibung. Beide Möglichkeiten werden als einander gleichwertig gegenübergestellt. Drittens wird von einem «Individuum» gesprochen, im zweiten Teil von einem «Kind». Da fragt sich, was mit erstem und mit zweitem gemeint ist.

Wer es sich antun will, sehe sich diesen Clip an. Da feiert eine säkulare Elite von Journalisten und Politiker das Recht von erwachsenen Menschen über dasjenige von Schwächeren. Für die Unterzeichnung dieses Aktes geben Menschen eine Standing Ovation. Ich kenne da nur eine Bewertung, und die lautet «abscheulich».

Abtreibung im säkularen Staat

Vor kurzer Zeit las ich ein Buch (Rezension) des deutschen Rechtsethikers Norbert Hörster (* 1937), der infolge Turbulenzen gegen seine Vorlesungen vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurde. Seine These lautet: „Auf rationaler, weltanschaulich neutraler Basis“ gebe es keine überzeugenden Argumente für ein Abtreibungsverbot. Er geht, wie das für säkulare Denker üblich ist, von einer vor-rationalen, «neutralen» Basis für ethische Entscheide aus. Hier liegt der Hund begraben. Eine solche Basis ist gar nicht möglich. Es gibt keinen Menschen, der ohne weltanschauliche Basis für seine Entscheide leben kann (auch wenn er sich dieser nicht oder kaum bewusst ist).

Nun stellt Hörster am Anfang des Buches folgerichtig den Syllogismus auf, dass ein generelles Tötungsverbot unter folgenden Bedingungen möglich sei:

  • Gott existiert.
  • Gott hat ein Tötungsverbot erlassen.
  • Das göttliche Tötungsverbot ist ein ausreichender Grund für die Ingeltungssetzung eines Tötungsverbots in der weltlichen Moral- und Rechtsordnung.

Umgekehrt formuliert heisst das: Wenn Gott nicht existiert, gibt es nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder bestimmt eine Mehrheit eines Volkes (von supra-nationalen Gebilden ganz zu schweigen) über den Wert und Unwert eines Menschen oder aber eine kleine Gruppe von Experten.

Hörster bleibt stringent, wenn er zugesteht, dass ein Fötus unselbständig sei «wie das Kleinkind auch» (25), jedoch von Anfang an ein «eigenständiger Angehöriger der biologischen Spezies Homo Sapiens» (ebd). Ebenfalls kommentiert er zu Recht: «Das geltende Recht geht weit über eine gravierende Gesundheitsgefahr der Schwangeren hinaus und umfasst eugenische Indikation (schwerwiegende gesundheitliche Schädigung des heranwachsenden Kindes), aber auch kriminologische und sogar wirtschaftliche!» (39f)

Wo die Willkür herrscht

Wollen wir es nicht sehen, dass hier der Willkür Tür und Tor geöffnet ist? Man stelle sich vor: Da entscheiden erwachsene Menschen über das Lebensrecht von (ja, sagen wir es mit aller Deutlichkeit) anderen Menschen, die sich nicht wehren können. Befindlichkeit und wirtschaftliche Gründe des Stärkeren reichen aus, um den Schwächeren zu eliminieren.

Entschuldigen will ich meine Schlussfolgerung nicht. Sie ist tiefschwarz. Eine solche Gesellschaft schafft sich selbst ab. Nichts gegen Vorschriften zur ordnungsgemässen Schlachtung von Tieren. Dazu sage ich nur: «Da lachen ja die Hühner.» Wenn sie könnten, würden sie vielmehr weinen. Der letztliche Unterschied, der über Leben und Tod entscheidet, ist derselbe: Funktionalität. Wo Gott in der Gleichung fehlt, ist der Mensch eine Null.

Weiterlesen: Die Kultur des Todes in unseren Hinterzimmern